Zum Mitmachen

Vom Umgang mit Grenzen

 Von Sabine Ritter

 

Fühlen Sie sich manchmal erschöpft, ausgebrannt, wie leergelaufen? Haben Sie das Gefühl, vor lauter Anforderungen des Alltags sich manchmal selbst zu verlieren? Fällt es Ihnen schwer, bei Entscheidungen klar ja oder nein zu sagen? Keine Angst, dies soll durchaus kein psychologischer Test sein, ...

... bei dem Sie jetzt Punkte zusammenzählen müssen. Vielleicht verdeutlichen Ihnen meine Fragen aber, dass es dringend an der Zeit ist, etwas für die Klarheit der eigenen Grenzen zu tun. Unser Selbstwert und unsere Beziehungsfähigkeit beruhen auf der Fähigkeit, klare und gleichzeitig durchlässige Grenzen aufbauen zu können. Wo diese fehlen oder zu hart gesetzt werden, laufen wir Gefahr, körperlich und emotional auszubrennen oder zu „verhungern“. Das adäquate Setzen von Grenzen geschieht zwischen den Extremen der Überforderung/Erschöpfung und der Einsamkeit/Isolation. Sich auf gesunde und flexible Weise abgrenzen können bedeutet immer auch, die eigene Mitte wiederzufinden, zentriert zu sein, sich auf das Leben im einzigartigen Augenblick des Jetzt zurück zu besinnen.
Heute möchte ich Ihnen eine Übung vermitteln, mit der die Grenzen des schützenden Eigen­Raumes, der Ihren Körper umgibt, gestärkt werden können. Ist dies geschehen, so fällt es leicht, uns wieder zu öffnen und gestaltend unseren Lebensraum zu verändern. Mit dieser Übung übersetzen wir die bildhafte Metapher der „Grenzen“ in eine reale, sinnlich spürbare Körpererfahrung. Wenn Sie gleich mitmachen möchten ist alles, was Sie dazu benötigen: die Bereitschaft, jetzt etwas für sich selbst zu tun, ein ruhiger Ort, etwa 20 Minuten Zeit und ein Stuhl.

Setzen Sie sich aufrecht und entspannt auf die Vorderkante des Stuhls. Die Arme liegen entspannt auf den Oberschenkeln. Die Augen bleiben während der gesamten Übung geöffnet.

  1. Heben Sie nun die rechte Hand, spreizen die Finger weit auseinander und schauen dabei in Ihre geöffnete Handfläche hinein. Dann lassen Sie wieder los und legen die Hand zurück auf den Oberschenkel. Genauso geschieht es nun mit der linken Hand: die Hand öffnen, weit dehnen, wieder entspannen und ablegen. Wenn Sie dies im Wechsel von rechts und links einige male wiederholen, so werden Sie feststellen, dass Ihr Atem spontan auf die Dehnung der Hand mit einem Einatemimpuls reagiert und auf das Loslassen mit Ausatmen. Folgen Sie der sich jeweils öffnenden Hand mit ihrem Blick und lassen ihre Hände abwechselnd im langsamen Rhythmus Ihres Atems sich öffnen und wieder lösen. Der Einatem strömt dabei durch die Nase ein, der Ausatem entweicht mit einem stimmlosen „www“ hörbar durch die leicht geöffneten Lippen. Dies wiederholt sich gemächlich, ohne irgendetwas zu forcieren, etwa 1 Minute lang.
  2. Nehmen Sie nun wahr, wie sich mit dem Einatem zwischen Ihrer Hand und Ihrer Körperoberfläche ein Raum herausbildet, der sich nach und nach mit Atemenergie „anfüllt“. Dies ist Ihr Eigen­Raum, der Ihren Körper umgibt. Im ruhigen Wechsel des Öffnens und Loslassens, des Ein­ und Ausatmens bewegen sich die Hände abwechselnd mit jeder Dehnung intuitiv an eine andere Stelle um Ihren Körper herum. Ihre Hände spüren, wo ihr Eigen­Raum Bedarf hat an Atemenergie: vielleicht mehr an den Flanken, in der Nierengegend, vor dem Gesicht, im Nacken oder neben den Ohren? Beobachten Sie Ihre Hände dabei, wie diese selbst herausfinden, wo es Ihrem Körper besonders gut tut, „beatmet“ zu werden (etwa 3 Minuten lang.)
  3. Allmählich werden die abwechselnden Bewegungen der Hände fließender. Sie stehen vom Stuhl auf und lassen Ihre Armbewegungen weiter werden, ohne nun Ihre Hände jedes mal absinken zu lassen. Vielleicht bemerken Sie, dass sich der Ihren Körper umgebende Eigen­Raum weitet und mehr und mehr anreichert mit der Energie Ihrer Aufmerksamkeit. Er wird wie ein angenehm weicher Puffer, der Sie überall umgibt. (Kennen Sie die kleine, rundliche Figur des „Michelin“­Reifenmännchens?) Möglicherweise stellen Sie sich vor, dass Sie dabei von Licht, Farbigkeit, Wärme oder Klang umgeben sind. Diesen Tanz Ihrer Hände im Rhythmus des Atems lassen Sie etwa 5 Minuten lang geschehen.
  4. Wenn Sie spüren, dass ihr Eigen­Raum innerhalb Ihrer Grenze prall gefüllt und überall gut mit Atemenergie „genährt“ ist, so drehen Sie beim nächsten Ausatem Ihre Hand nach außen und lassen ihn aus der Mitte Ihrer geöffneten Handfläche mit einem deutlich hörbaren „fff“ in den Raum hinein ausströmen. Stellen Sie sich vor, Sie könnten die Wände und die Decke des Raumes, der Sie umgibt, mit dem Strom Ihres Ausatems aus Ihren Handflächen heraus „anmalen“. Welche Farbe würde Ihnen an der Decke gefallen, welche an den Wänden? (etwa 3 Minuten.)
  5. Beziehen Sie nun Ihre Stimme mit ein, mit deren Klangfarben Sie noch mehr Farbigkeit in den Raum hinein bringen. Lassen Sie tönend die Bewegungen Ihrer Hände und Arme in einen Tanz übergehen, der den ganzen Körper ergreift. In diesem Fluss aus Atem­Bewegung­Stimme gestalten Sie Ihre Umgebung. Spielen Sie dabei mit Vorstellungen, was Sie verändern, verschönern, neu gestalten möchten in Ihrem Lebensraum und lassen Sie es mit der Stimme hörbar werden. (Diese Phase kann 3 Minuten oder auch länger dauern.)
  6. Erst wenn alles so gestaltet ist, wie Sie es sich imaginieren, lassen Sie Ihren Tanz allmählich zur Ruhe kommen. Spüren Sie im Stehen nach, welche Veränderungen Ihrer Stimmung, Ihrer Körperwahrnehmung Sie bemerken. Wie weit geht Ihr Körper­eigenraum? Wie deutlich können Sie seine Grenze um sich herum wahrnehmen? Wie geschlossen und doch durchlässig ist sie? Wie ist Ihr Kontakt zum umgebenden Raum? Setzen Sie sich nun hin und „ernten“ Sie mit geschlossenen Augen ein paar Minuten lang die angenehmen Veränderungen, die mit Ihnen durch diese Übung geschehen sind.

Ich wünsche Ihnen Freude und Gelassenheit im flexiblen Umgang mit Ihren klaren und doch durchlässigen Grenzen.

Herzlichst,
Ihre Sabine Rittner

 

Die Autorin:

Sabine Ritter
Musikpsychotherapie (approbiert), Atem­, Stimm­ und Körpertherapie, Hypnotherapie, Traumatherapie. Tätig am Institut für Medizinische Psychologie der Universitätsklinik Heidelberg und in freier Praxis. Forschungen, Veröffentlichungen, Vorträge und Seminarangebote, schwerpunktmäßig zu den Themen „Stimme“, „Klang“ und „Trance“, finden Sie unter:

www.SabineRittner.de,

künstlerische Arbeiten unter:
www.SabineRittner­-Kunst.de

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