Heft 23 (2013) ist erschienen!

Musiktherapie und Migration

Während die MuG für das obige Schwerpunktthema bereits in Arbeit war, füllten die Medien die Saure-Gurken-Nachrichtenzeit des Sommers mit folgender Meldung: Die Arbeitsstelle für Diskriminierungsfragen der Bundesregierung meldet seit ca. 15 Jahren wieder (!) ein alarmierendes Ansteigen der Meldungen von Diskriminierungsfällen gegenüber Mitbürgern mit Migrationshintergrund.

Diese amtliche Information ist eine Bestätigung dessen, was MusiktherapeutInnen in Klinik und freier Praxis längst in ihre Arbeit der Begleitung von „Migrations-Opfern“ aufnahmen. Musik als das Medium mit „crossing border-“Eigenschaften, Musik als Grenzüberschreitung per se ist ein Schlüssel zum Verstehen und therapeutischen Begleiten von Migrations-Patienten in unsere Gesellschaft, die auch die ihre ist, hinein.
Die Einbeziehung der Musik des Heimatlandes solcher Klienten in die Musiktherapie öffnet diese uns gegenüber und uns ihnen gegenüber. MuG 23 bringt Beispiele aus der Praxis und zugehörige Theoriebildungen, die unserer keineswegs schon „offenen Gesellschaft“ weiterhelfen, besonders den Mitbürgern mit der Prägung anderer Kulturen, von denen wiederum wir lernen können.

Inhaltsverzeichnis

Editorial
Hans-Helmut Decker-Voigt

Musiktherapeutischer Klinikspaziergang
Die Sokrates-Klinik am Bodensee
Thomas Schröter

Praxisvorstellung
Klangwerk – Studio für Musiktherapie, Saarbrücken
Barbara Fuchsberger/Birgit Leibfried/Jochen Wagner

Patienteninterview: Neurologische Musiktherapie
Alexandra Takats

Schwerpunktthema: Ein "musiktherapeutischer Brückenbau" über das "Fremde" hinweg
Eric Pfeifer

Musiktherapie mit nichtdeutschsprachigen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
Kirsten Ghosh/Hans Ulrich Schmidt/Tonius Timmermann

Schwerpunktthema II: Migration der Lieder
Georgische polyphone Gesänge – ein kraftvolles Werkzeug für die westliche Musiktherapie
Imke McMurtrie/Madge Bray/Nana Mzhavanadze

Kinder gehen auf Spurensuche
Michaela Weyand

Ausbildung: Studierende berichtenn: Freies Musikzentrum München (FMZ)
Martina Obermeier/Monika Bachmann

Aus der Musikmedizin: Anxioalgolytische Musik zur Behandlung von Schmerz, Angst und Stress in der Schmerzmedizin
Ralph Spintge

Menschen und Orte: News. Hochschulnachrichten

Bücher und Medien

Zum Mitmachen: Musiktherapeutisches im Alltag
Giraffenmusik – Musiktherapie und Gewaltfreie Kommunikation
Selma Emiroglu/Oliver Schöndube

Editorial

Von Immigration und Exmigration


Die Bevölkerung der BRD wächst wieder! Diese Nachricht ging in der 2. Januarwoche durch die Medien und entlastete unsere Nation in ihren Untergangs-Ängsten, denn in der 1. Januarwoche titelten die Medien unterschiedlich dieselbe Botschaft aufgrund der demographischen Prognosen für 2050: Wir werden ein nationales Altenheim.
Die Freude am Wachstum währte für Kenner weiter, für Skeptiker gegenüber Einwanderung schrumpfte sie beim Weiterlesen der o.e. Nachricht, denn unser Bevölkerungswachstum ist nur auf die steigenden Einwanderungszahlen zurückzuführen.
Dabei haben wir unser Auferstehen aus selbstverschuldeten Ruinen im Wirtschaftswunder der 60er Jahre auch eben diesen zu verdanken: Menschen, die bereit und vertrauensvoll genug waren, ihre Heimat zu verlassen und zu immigrieren: zu uns.

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Musiktherapeutischer Klinikspaziergang

Die Sokrates-Klinik am Bodensee

Von Thomas Schröter

 

Rehabilitation für Menschen mit Krebs und anderen schweren chronischen Erkrankungen
Die Diagnose Krebs hinterlässt auch nach einer medizinischen Behandlung durch Operation, Chemotherapie und Bestrahlung weitreichende Spuren, die oftmals ebenfalls einer Therapie bedürfen. Während die Erkrankung dank der Fortschritte der Medizin nach fünf Jahren Symptomfreiheit als überwunden gilt, rücken seelische Folgen wie Ängste, innere Unruhe, Schlafstörungen und Fatigue immer stärker ins Bewusstsein. Viele Patienten verbinden die durch die Erkrankung ausgelöste Krise mit der Frage nach einer umfassenden Veränderung ihres Lebens. Zur Stabilisierung, Neuorientierung und Wiedererlangung von Lebensqualität nach der Krebsdiagnose stehen dem Patienten heute sehr vielfältige Therapien und Rehabilitationsmöglichkeiten zur Verfügung. Patienten sind bei ihrer Therapiewahl in unserem Gesundheitssystem allerdings noch immer überwiegend mit einem Nebeneinander von Schulmedizin und Naturheilkunde konfrontiert und geraten nicht selten in einen Konflikt. Wir wollen dieses Nebeneinander zu einem Miteinander vereinen. Seit Oktober 2012 gehen wir in unserer neu eröffneten Klinik Sokrates des Gesundheitszentrums am Bodensee einen Weg der Integration. Die Sokrates Klinik ist eine gemeinnützige Privatklinik mit karitativ-christlicher Grundhaltung, die konfessionell und politisch neutral geführt wird. Übergreifendes Ziel ist es, Körper, Seele und Geist gleichermaßen zu stärken, so dass unsere Patienten Vertrauen und Zuversicht in das Leben zurückgewinnen.

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Praxisvorstellung

Klangwerk – Studio für Musiktherapie, Saarbrücken

Von Barbara Fuchsberger, Birgit Leibfried und Jochen Wagner

 

Stellen Sie sich bitte kurz vor.

Unserer Praxis heißt ‚Klangwerk – Studio für Musiktherapie’ und befindet sich in einem Kultur- und Werkhof im Herzen von Saarbrücken. Zurzeit arbeiten wir hier mit drei Musiktherapeuten zusammen: Barbara Fuchsberger, Birgit Leibfried und Dr. Jochen Wagner, wobei erstere und letzterer auch privat ein Paar und Eltern von drei Töchtern (Anastasia, Jule und Liese) sind.


Welche Situation Ihres musiktherapeutischen Berufslebens lag vor der Eröffnung Ihrer ambulanten Praxis?

Barbara und Jochen haben die Praxis 2006 gegründet, Barbara war gerade in den letzen Zügen ihres Aufbaustudiums Musiktherapie und hatte in Hamburg vor allem in einer Erwachsenenpsychiatrie schon Berufserfahrung gesammelt, während Jochen sein Studium bereits vier Jahre zuvor beendet hatte und seit 2001 – anfangs auf Honorarbasis, dann in Festanstellung – als Musiktherapeut in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie tätig war. Birgit stieß dann 2008 zu dem Team dazu, nachdem sie vorher auch schon in einer nahen Kleinstadt eine eigene musiktherapeutische Praxis geführt hatte.

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Schwerpunktthema

Ein ‚musiktherapeutischer Brückenbau‘ über das ‚Fremde‘ hinweg

Von Eric Pfeifer

 

Auszüge einer musiktherapeutischen Pilotstudie bei Erstklässlern mit und ohne Migrationshintergrund an einer Volksschule in Österreich

Rudi Raupe und Klara Räupchen würden wohl aus dem staunenden Berichten gar nicht mehr herauskommen, wäre es an ihnen beiden, hier eine kleine Zusammenfassung zu bieten, was denn im Zuge der in der Überschrift genannten Pilotstudie alles erlebt, gefühlt und beobachtet wurde. Ach, Sie fragen sich vielleicht, wer Rudi Raupe und Klara Räupchen sein mögen? Nun, um es kurz zu fassen, könnte man sie gut und gerne als in diesem Pilotstudienprojekt stets anwesende ‚Zeitzeugen‘ betrachten. Es handelt sich dabei nämlich um zwei gebastelte Rainmaker-/Regenmacher-Instrumente in Raupengestalt, die die Kinder in verschiedensten Funktionen begleiteten und unterstützten. Einerseits konnten Rudi Raupe, und vor allem die kleinere Klara Räupchen, in Situationen, in denen Trost benötigt wurde, als Kuscheltierchen dienen. Andererseits war der symbolische Charakter von großer Bedeutung. Mit Klara Räupchen, als über alle Sprachbarrieren hinwegsehendes Sprach- und Sprechrohr, konnte Schwer-Sagbares, Trauriges, Belastendes, Fröhliches und Erfreuliches auf musikalischem Wege, verbal wie non-verbal ausgedrückt und ausagiert werden, während Rudi Raupe ein wichtiger Begleiter, ja Überleiter auf dem Weg vom Klassenzimmer zum Musikzimmer war, wo die Musiktherapiestunden stattfanden.

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Schwerpunktthema II

Migration der Lieder

Von Imke McMurtrie, Madge Bray und Nana Mzhavanadze

 

Georgische polyphone Gesänge – ein kraftvolles Werkzeug für die westliche Musiktherapie

„Was die Georgier singen, ist wichtiger als alle Neuentdeckungen der modernen Musik. Es ist unvergleichlich und einfach. Ich habe nie etwas besseres gehört!“
(Igor Strawinsky)

Die Musikethnologinnen und Sängerinnen Madge Bray, Nana Mzhavanadze und Imke McMurtrie verbindet die Liebe und der Respekt für die georgischen polyphonen geistlichen und weltlichen Gesänge. Sie begegneten sich in Georgien beim Erforschen der Wirkung solcher Lieder auf Gruppen und Individuen.
Dieser Beitrag ist ein Exzerpt aus ihren Treffen, Gesprächen, akademischen Forschungsarbeiten und Niederschriften. Sie teilen die Überzeugung, dass georgisches polyphones Singen als ein wirkungsvolles physisches und psychisches Harmonisierungsmittel einen wichtigen Beitrag für die Musiktherapie, die Salutogenese, die Gesundheitsprävention und die persönliche Entwicklung von Menschen im Westen leisten kann. Eine Kultur, in der noch gesungen wird, verfügt über ein integrales Mittel zum Umgang mit kollektiven und individuellen psychischen Prozessen. Obwohl nicht so viele Georgier in Deutschland leben, sind doch ihre Lieder seit den siebziger Jahren bei uns immer bekannter geworden und finden aufgrund ihres ungewöhnlichen Harmoniespektrums zunehmende Wertschätzung.
Könnte es sein, dass diese Lieder uns etwas lehren wollen, so wie jede Immigration, so schwierig sie sich gestalten mag, neue Inspiration, Erfahrung und Werte in die Gastkultur transportiert? Könnte es sein, dass die Lieder einer anderen Ethnie uns das Herzstück ihrer Identität als kostbare Mitteilung schenken wollen? Könnte es sein, dass uns gerade in Deutschland, wo zwar vieles aufgedeckt, aber vieles noch nicht wirklich betrauert worden ist (was uns die Arbeiten zur transgenerationalen Weitergabe von Traumata zeigen), ein Volk, das sich nicht scheut, über Trauer und Reue zu singen, etwas Wertvolles zu zeigen hat? Am Beispiel der georgischen ethnischen Lieder möchten wir Austausch-, Unterstützungs- und Integrationsmöglichkeiten aufzeigen.

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