Musiktherapeutischer Klinikspaziergang

Hans-Prinzhorn-Klinik, LWL-Klinik Hemer

Von Halina Deutschmann-Hütt

 

In sanften, grünen Hügeln des Sauerlandes, im Dorf Frönsberg, heute ein Stadtteil Hemers, nah am dicht besiedelten Ruhrgebiet, liegt die Hans-Prinzhorn-Klinik des Landschaftsverbandes Westfalen Lippe. Nicht weit davon gab es von 1964 bis 1978 die Westfälische Landespflegeanstalt Frönspert, die im Zuge der allgemeinen Novellierung der psychiatrischen Behandlung geschlossen und abgerissen wurde. Das Westfälische Landeskrankenhaus Frönspert-Hemer wurde gegründet und nahm in einem neuen Bau seine Arbeit auf. Es wurde ein für diese Zeit moderner, offener Klinik-Entwurf verwirklicht, der noch heute in weiten Teilen einer modernen Psychiatrie gerecht wird. 1988, zum 10jährigen Bestehen, erhielt die Klinik den Namen LWL – Hans-Prinzhorn-Klinik Hemer.

Hans Prinzhorn (1886 in Hemer geboren) erkannte als einer der ersten Ärzte das schöpferische Potential seelisch und geistig erkrankter Menschen und maß deren Bildern, im Gegensatz zur damaligen allgemeinen Überzeugung, eine inhaltliche und ästhetische Qualität zu. Als Assistenzarzt in Heidelberg sammelte er zwischen 1919 und 1921 im In- und Ausland Bilder von Patienten, die heute in der Sammlung Prinzhorn in Heidelberg zu sehen sind. Diesem Namen verbunden fand und findet ein breites, regelmäßiges Angebot künstlerischer und kreativer Therapien Einzug in die Behandlung. Die Klinik veranstaltet Ausstellungen mit Werken psychisch kranker bildender Künstler, initiiert Theaterprojekte mit Patienten, die auch außerhalb der Klinik zur Aufführung gelangen, und fördert außerdem die künstlerischen Ambitionen seiner Mitarbeiter.

In dem Zentralbau der Klinik befinden sich Räume der Medizintechnik, der Versorgungseinrichtungen, der zentralen Arbeits-, Sport- und Physiotherapie und ein neu gestaltetes Schwimmbad mit Wellnessbereich, in dem die Atmosphäre über eine Lichtdesign-Anlage verändert werden kann. Die fünf 2–3-geschossigen Bettenhäuser gegenüber sind mit Balkonen versehen und in einem gepflegten Gartenareal über geschwungene Wege verbunden. Der Anlage vorgelagert ist ein kleineres Gebäude, in welchem sich die Betriebsleitung, die zentrale Aufnahme und die Patientenverwaltung befinden. Die Bepflanzung und Pflege der Anlage und Balkone besorgt unsere Arbeitstherapie und Gärtnerei. Bis in den späten Herbst hinein schmücken viele blühende Pflanzen den Garten und die Balkone. Die nahe Umgebung besteht aus Wald und Wiese und im Sommer kann man Schafherden weiden sehen. Im Garten der Klinik ist ein „Weg der Be-Sinnlichkeit“ angelegt, der in Bögen an Skulpturen, Klang­objekten und kleinen Sitznischen vorbei führt. Die Therapieräume der Musiktherapie befinden sich alle im mittleren Bettenhaus, ein Einzeltherapieraum direkt auf einer Station und ein großer Gruppentherapieraum mit Ausgang zum Garten sowie ein kleinerer Gruppen-/Einzeltherapieraum im Hanggeschoss. Dort befindet sich auch unsere Disco, die jeden Mittwochabend gut besucht wird und für uns als Ausweichquartier zur Verfügung steht. Der Musiktherapieraum auf der Psychotherapiestation ist in direkter Nähe zu den Patientenzimmern gelegen und mit einem speziellen, zur Lichttherapie entwickelten Blue Light Lichtsystem ausgestattet. In allen Räumen befindet sich eine vielfältige Instrumenten-Ausstattung. Neben einem Klavier gibt es zahlreiche Schlagin­strumente, Saiten- und Blasinstrumente und auch exotische Instrumente. Im Hörsaal der Klinik befindet sich ein Steinway-Stutzflügel, der von uns Musiktherapeuten für Kammermusik genutzt werden kann, oder auf dem pianistisch gebildete Patienten üben können.
Das therapeutische Angebot der Klinik ist vielfältig. Es umfasst neben einer modernen pharmakologischen Behandlung auch psychologische Testverfahren und störungsspezifische Therapieangebote wie das DBT-Programm für Borderline-Patienten, Spezial-Stationen für affektive Störungen sowie eine Station für griechischsprechende Patienten. Um einen hohen Qualitätsstandard zu erfüllen, ist die Klinik nach KTQ der QMS Cert. zertifiziert (Registrierung: Z-2004-03). In der Klinik arbeiten elf künstlerische Therapeuten (vier Kunsttherapeuten, drei Ausdruckstherapeuten, eine Kreativtherapeutin und drei Musiktherapeuten), so dass auf allen Stationen künstlerische Therapien angeboten werden können. Musiktherapie wird auf den allgemein-psychiatrischen, psychotherapeutischen und gerontoneuropsychiatrischen Stationen angeboten. Wir arbeiten eingebunden in die jeweiligen Stationskonzepte in multiprofessionellen Teams. Frau Siegmund, musiktherapeutische Kollegin, leistet ihre Kernarbeit auf den Stationen für Psychotherapie. Außerdem bietet sie eine Gruppe im gerontoneuropsychiatrischen Bereich an (s. Kasten). Der fachliche Schwerpunkt meines Kollegen Herrn Kupski liegt in der Behandlung der Borderline-Erkrankung nach dem Konzept der DBT, für welches er speziell ausgebildet ist. Daneben betreut er das gesamte Spektrum seelischer Erkrankungen, auch in der Gerontoneuropsychiatrie. Die Autorin betreut allgemeinpsychiatrische Patienten mit gemischten Diagnosen, von der Kriseninterventionsbehandlung bis zu längeren einzeltherapeutischen Behandlungen auf Grundlage der psychodynamischen Musiktherapie (s. Fallbeispiel). Außerdem bietet sie auf der Station für transkulturelle Psychiatrie für griechische Mi­granten kunst-musiktherapeutische Gruppenangebote und kulturelle Exkursionen an.

Die Behandlungsdauer ist sehr verschieden und reicht von ein bis zwei Wochen als Krisenintervention bis hin zu mehreren Monaten, wenn es um eine Langzeit-Psychotherapie geht. Zur Krisenintervention werden zumeist chronisch Erkrankte aufgenommen, die durch wiederkehrende klinische Behandlung und Betreuung über Jahre einen therapeutischen Prozess durchlaufen haben und davon profitieren, dass sie auf lang gereifte therapeutische Beziehungen zurückgreifen können. Die musiktherapeutische Behandlung findet ein bis zwei Mal wöchentlich statt und beginnt meistens in der zweiten Behandlungswoche. Die Verordnung der MT erfolgt durch den behandelnden Arzt oder Psychologen. Das spezielle musiktherapeutische Verfahren wird durch uns Musiktherapeuten festgelegt. Wenn ein Patient den Wunsch nach Musiktherapie äußert, versuchen wir ihn zu erfüllen. Wenn ein Patient unsicher ist, ob er an der musiktherapeutischen Behandlung teilnehmen möchte, empfehle ich drei Sitzungen zur Probe, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Für die musiktherapeutische Behandlung brauchen die Patienten keine musikalische Vorbildung. In den ersten Therapiestunden erklären wir die Hintergründe unseres Handelns und versuchen so, das Verfahren transparent werden zu lassen.Der besondere Unterschied einer Musiktherapie zu einer Gesprächstherapie ist, dass man sich bei der Improvisation ohne zu sprechen in einem fließenden Zeitfluss begegnet und kommuniziert. Dabei wird die Aufmerksamkeit weg vom Gedanken hin zur Empfindung gelenkt und mit dem Therapeuten geteilt. Dadurch kann manches, was noch keine Worte hat, zum Ausdruck gebracht werden. Musiktherapie weckt aber auch die Freude an der Musik, am Musizieren – sei es beim Singen von Liedern, beim Trommeln oder beim bewussten Gestalten von Musik nach Spielregeln. Mit Musik können jedoch auch starke Spannungen abgebaut werden, z. B. durch Trommelarbeit oder intensives lautes Singen mit CD. Ebenso kann das Hören von Musik zur Konzentrationsübung werden, ähnlich einer Meditation, die Gedanken sammeln hilft und entspannend wirkt. Wir Musiktherapeuten stehen untereinander in stetigem Kontakt, beraten uns gegenseitig und nehmen an Fortbildungen teil, um unsere Arbeit zu verbessern. Manchmal kommt es zu intensiven Flur-Disputen. Die Klinik unterstützt das durch eigene Fortbildungsveranstaltungen und durch bezahlte Freistellungen für Symposien und Kongresse.

Abschließend möchte ich auf das Leitbild der Klinik hinweisen, in dem es heißt:
„Dem Namensgeber der Klinik Hemer, Hans Prinzhorn, verbunden, hat die Klinik neben den in einer hochqualifizierten Institution üblichen diagnostischen und therapeutischen Angeboten einen besonderen Schwerpunkt gesetzt im Bereich Kunst und Psychiatrie. Die kreativen Therapien setzen innerhalb eines künstlerischen Prozesses die Medien Klang, Farbe, Form und Bewegung ein, um die Gestaltungs-, Ausdrucks- und Wandlungskräfte in der Persönlichkeit des Patienten zu beleben. Sie vermitteln positive Erfahrungen. Hinzu kommen kulturelle Projekte, an denen sich verschiedene Berufsgruppen beteiligen: Theaterarbeit mit psychisch Kranken, Konzerte, Kunstausstellungen und Kunstak­tionen, in denen künstlerische Werke aus den therapeutischen Prozessen hier und Arbeiten anderer Künstler, darunter auch psychisch Erkrankte, zusammengeführt werden. Künstlerische Tätigkeit hinterlässt in den Skulpturen am Rande unserer ›Wege der Besinnlichkeit‹ dauerhafte Spuren im Klinikgelände. Wir sehen die Kunst als ein Tor zwischen bekannten und unbekannten Welten. So mag sie Brücken schlagen zwischen Normalität und Abweichung und helfen, das Stigma psychischer Krankheit abzumildern.“


Dies ist für uns eine gute Arbeitsgrundlage.

 

Die Autorin:

Halina Deutschmann-Hütt
Dipl. Musiktherapeutin
Psychotherapie (HP)
Dipl. Musikpädagogin
Künstlerisches Diplom – Violine
Nach dem Musikstudium Violine in Dresden (Abschluss 1986) folgten Engagements an den Opernhäusern in Dessau, Essen und Dortmund sowie dem Rundfunkorchester des WDR. Sie wirkte in diversen Kammerensembles mit (Trio d’Este) und beteiligte sich als Mitglied der Dresdner Sinfoniker an Crossover-Projekten und Ur-/Aufführungen serieller Musik der Gegenwart.
Aufbaustudium Musiktherapie in Hamburg, Diplom 2002. Seit 2001 fest angestellt an der LWL-Klinik Hemer.
Mitglied der Deutschen musiktherapeutischen Gesellschaft DMtG
Mitglied der Gesellschaft für Psychoanalyse und Musik DGPM
Nebenberuflich als Musikpädagogin tätig.
Jurorin bei „Jugend Musiziert“.

Kontakt
Tel. 02372-861694
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Quellen:

Angaben zur Klinik:

WL-Klinik-Hemer
Hans-Prinzhorn Klinik
Psychiatrie · Psychotherapie ·
Psychosomatik
Ärztlicher Direktor
Prof. Dr. U. Trenckmann
Frönsberger Str. 71
58675 Hemer
Tel.: 02372 861-0
www.hans-prinzhorn-klinik.de
LWL-Psychiatrieverbund Westfalen
www.lwl.org