Musiktherapeutischer Klinikspaziergang

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Die LVR-Klinik Langenfeld

Von Sarah Bonnen

Der Landschaftsverband Rheinland (LVR) ist ein Kommunalverband, der mit 19.000 Beschäftigten für die Behinderten- und Jugendhilfe, Psychiatrie und Kultur im Rheinland zuständig ist.
Zum Verband gehören insgesamt neun Kliniken, die sich auf die Versorgung von psychisch kranken Menschen spezialisiert haben.
Eine davon ist die LVR-Klinik Langenfeld. Sie liegt auf halber Strecke zwischen Köln und Düsseldorf, besteht seit März 1900 und versorgt PatientInnen aus dem südlichen und mittleren Kreis Mettmann, Solingen, Leverkusen, Burscheid und Leichlingen.
Die Klinik umfasst 32 Stationen sowie vier Tageskliniken mit insgesamt 663 Behandlungsplätzen. Sie gliedert sich in acht Fachabteilungen:
Allgemeine Psychiatrie (drei Abteilungen)
Gerontopsychiatrie und Neurologie
Abhängigkeitserkrankungen
Forensische Psychiatrie (zwei Abteilungen)
Therapeutische Dienste

Betritt man das Gelände, so fallen die vielen alten Gebäude sowie das parkähnliche Gelände mit großem Baumbestand auf. Besonders imposant ist auch das Hauptgebäude direkt am Eingang der Klinik. Seit etwa drei Jahren wird innerhalb des Geländes, in dem es auch allerlei Kunstinstallationen zu sehen gibt, allerdings auch fleißig gebaut. Die Klinik befindet sich zurzeit mitten in einem Umbau- und Dezentralisierungsprozess, der vermutlich im Jahr 2020 vollständig abgeschlossen sein wird und schon jetzt erste Veränderungen im Behandlungsangebot mit sich bringt.

Musiktherapie in der LVR-Klinik Langenfeld
Der Fachbereich Musiktherapie gehört ebenso wie die Kunst-, Sport- und Bewegungs-, Tanz-, Ergo- und Physiotherapie seit 2011 zur Abteilung therapeutische Dienste. Seither konnte sich die Musiktherapie personell, angefangen von einer Honorarstelle, stetig vergrößern.
So arbeiten wir jetzt in einem Team von insgesamt vier Kolleginnen mit einem Stellenanteil von insgesamt 3,2 Vollzeitstellen.
Damit versorgen wir in unterschiedlicher Intensität PatientInnen von 17 Stationen und zwei geronto­psychiatrischen Tageskliniken.
Das Arbeitsfeld gliedert sich hauptsächlich in die Bereiche Allgemeine Psychiatrie, Gerontopsychiatrie sowie den Bereich geistig behinderte Erwachsene mit psychischen Erkrankungen.
Dementsprechend haben wir unser Angebot, an den Bedürfnissen der PatientInnen orientiert, sehr breit aufgestellt. Von psychodynamischen über gestalttherapeutische bis hin zu verhaltenstherapeutischen und erlebniszentrierten Ansätzen bieten wir Einzel- und Gruppentherapien an.
Unser Musiktherapieraum befindet sich im ersten Stock des mittelalterlichen restaurierten Gutshofs der Klinik. Ebenfalls auf dem Gutshof befindet sich die Kunsttherapie und die Arbeitstherapie Biologischer Gartenbau, was neben dem wunderschönen Gebäude zusätzlich zu einer besonderen, „wenig klinischen“ Atmosphäre beiträgt.
PatientInnen, die zum ersten Mal in die Musiktherapie kommen, erleben die Atmosphäre auf dem Gutshof als entspannt und geschützt. Es sehe hier weder nach Krankenhaus aus noch fühle es sich so an.
Neben stationsübergreifenden Gruppen wie der Entspannungsgruppe und dem Angebot „Stimme-Selbstwert-Selbsterfahrung“ finden im Gutshof vor allem stationsbezogene Angebote statt, in denen die aktive Musiktherapie, meist in Form freier Improvisation, im Vordergrund steht.
Der Musiktherapieraum, ausgestattet mit einer Vielzahl an Instrumenten, soll den PatientInnen Sicherheit und gleichzeitig Raum und Neugier zum Ausprobieren vermitteln. Dennoch bleibt es nicht aus, dass einige PatientInnen zunächst mit Vorbehalten den Raum betreten. Ängste, Unsicherheiten, Schamgefühle, Überzeugungen „unkreativ“ oder „nicht musikalisch“ zu sein, begegnen uns häufig zu Beginn oder im Verlauf einer Therapie. Unsere Aufgabe ist es dann, die PatientInnen zu begleiten und zu ermutigen, sich auf die noch oft fremde „Klangwelt“ einzulassen.
Meist ist die innere Resonanz auf die Musik unmittelbar für den Patienten spür- und erfahrbar. Manchmal braucht es aber auch etwas Zeit, Geduld und Mut, sich für die innere Erlebniswelt zu öffnen und diese „hörbar“ zu machen. Eigene Grenzen kennenzulernen, kreative Ressourcen zu entdecken, mit sich und Anderen spielerisch in den Kontakt zu treten und sich selbstwirksam zu erleben, sind einige Ziele, die wir gemeinsam mit unseren PatientInnen verfolgen.

Fallvignette
Vier neue PatientInnen kommen zum Vorgespräch in die Musiktherapie. Her P. beginnt sich vorzustellen. Er wirkt sehr erschöpft, traurig und verunsichert. Während des Gesprächs fängt er an zu weinen. Ich möchte ihm Zeit geben seine Traurigkeit zu spüren, ihm gleichzeitig auch das Gefühl geben, dass es in diesem Moment in Ordnung ist, sich so zu zeigen, wie er sich fühlt. Dies sieht seine Mitpatientin Frau K. jedoch ganz anders. Nun sei es aber mal genug, ich dürfe den Patienten doch nicht so ausquetschen. Frau K fühle sich verantwortlich, für den Mitpatienten in dieser Situation einzustehen. Meine Interventionen im Kontakt mit Herrn P. scheint die Patientin als Bedrohung zu erleben. Ich bin überrascht, fast erschrocken, dass Frau K. so impulsiv auf meinen Dialog mit Herrn P. reagiert.
Herr P. nimmt die Unterstützung von Frau K dankbar an, Frau K. fühlt sich in ihrem Handeln bestärkt. Ich spüre Frau K.s Wut, gehe dem Wunsch, mich verteidigen und erklären zu wollen, nicht nach und erkenne das Bedürfnis, ihre(n) Mitpatienten schützen zu wollen, an.
In der Improvisation zeigt sich ein ähnliches Bild. Herr P. sucht sich das Xylophon aus. Drei Mitpatientinnen bieten Herrn P. an, mit ihnen das Instrument zu tauschen, da er zuvor eigentlich angegeben hatte, die Trommel spielen zu wollen. Herr. P. lehnt drei Mal höflich ab und ist während der sehr kraftvollen, durchaus aggressiven Musik kaum zu hören. Frau K. sitzt direkt mit dem Rücken zu mir vor dem Klavier und spielt den Gong. Ich erlebe ihr Spiel als sehr mächtig, an der Grenze zum Aushaltbaren und fast unkontrollierbar. Zeitweise spüre ich die Unsicherheit der Patientin, ob sie überhaupt so laut spielen darf. Immer wieder dämpft die Patientin den Klang mit ihrer Hand ab. Während die Improvisation noch verklingt, dreht sich Frau K. zu mir um: „Schön war das, nicht!“.
Im Nachgespräch frage ich Herrn P., wie er es eigentlich schaffe, dass man sich so gerne um ihn sorgen möchte. Herr P. entgegnet, dass ihm das bisher gar nicht so bewusst gewesen sei und beginnt wieder zu weinen. Schon schaltet sich Frau K. und noch eine weitere Patientin ein, um dem Patienten zur Seite zu stehen. Es fällt der Patientin schwer, mich ausreden zu lassen. Immer wieder schneidet sie mir das Wort ab, um ihr Handeln zu erklären.
Diesmal schafft es Herr P. jedoch selbst für sich einzustehen. Er habe 52 Jahre lang nicht gelernt, auf seine Grenzen zu achten und er könne ja nicht ständig darauf vertrauen, dass jemand ihn „rette“.
Diese Aussage hilft Frau K. zu verstehen, dass nicht ich „die Bedrohung“ bin, sondern innere Ängste und Konflikte, die es gilt behutsam bewusst zu machen, um ihnen selbstwirksam begegnen zu können…

Musiktherapie auf den Stationen
Neben den Angeboten, die im Musiktherapieraum auf dem Gutshof stattfinden, suchen wir auch Stationen auf, um Angebote direkt vor Ort anzubieten. Meist sind dies offene Singgruppen, die besonders in der Geronto­psychiatrie, aber auch im Geistig-Behinderten-Bereich und auf geschützten Akutstationen gerne angenommen werden. Dieses Angebot bietet auch schwächer strukturierten PatientInnen die Möglichkeit an der Musiktherapie teilzunehmen. In zwei gerontopsychiatrischen Tageskliniken gibt es sowohl Singangebote als auch erlebnis- und ausdruckszentrierte Angebote mit musiktherapeutischem Instrumentarium.
Seit etwa zwei Jahren bieten wir zudem im Demenzbereich auch interdisziplinäre Angebote an. Hierzu gehört zum Beispiel das Angebot „Musik & Bewegung“, bei dem eine Physiotherapeutin einfache Körperübungen anleitet. Dabei werden die PatientInnen musikalisch auf der Gitarre begleitet und zusätzlich körperlich aktiviert. Die „Livemusik“ ermöglicht es hier im Sinne der neurologischen Musiktherapie ganz indivuell auf die körperlichen und emotionalen Fähigkeiten und Befindlichkeiten des Patienten einzugehen. In der Gruppe „Malen zur Musik“, die wir gemeinsam mit einer Kollegin aus der Ergotherapie gestalten, geht es darum, unterschiedliche kreative Medien miteinander zu verbinden – mit dem Ziel möglichst viele Wahrnehmungsebenen anzusprechen und verbleibende Ressourcen der Patienten zu aktivieren. Musik kann hier Atmosphäre schaffend, anregend, belebend oder beruhigend wirken.
Zuletzt gibt es für schwerer demente und zunehmend passive Patienten das Angebot der „basalen Stimulation“, welches ebenfalls gemeinsam mit einer Physiotherapeutin durchgeführt wird. Bei dieser Therapie nutzen wir die beruhigende Wirkung entspannungsfördernder Instrumente wie der Körpertambura oder dem Klangstuhl, um den Patienten in einen tranceartigen Entspannungszustand zu versetzen. Taktile Stimulation in Form von behutsamen Massagen lässt die PatientInnen zusätzlich ein Gefühl von Geborgenheit, Schutz und Urvertrauen erfahren.
Die musiktherapeutische Arbeit in der LVR-Klinik ist also sehr vielseitig. Sie erfordert ein hohes Maß an Flexibilität und Arbeitseinsatz, erlaubt uns allerdings auch viel Freiheit und Lust, musiktherapeutische Methoden im Sinne der PatientInnen anzuwenden, zu gestalten und weiterzuentwickeln.
Wie bereits beschrieben, werden wir im Jahr 2019 einige bereits begonnene strukturelle Veränderungs- und Dezentralisierungsprozesse weiter mitgestalten. So wird auf dem Gelände selbst ein neues Bettenhaus gebaut, was die räumlichen Möglichkeiten für eine stationsnahe Behandlung strukturschwächerer Patientinnen und Patienten deutlich erweitert. Hinzu kommt eine Wahlleistungsstation für SelbstzahlerInnen und PatientInnen mit privatem Krankenversicherungsverhältnis. Zwei Stationen werden in ein neues Behandlungszentrum in Solingen umziehen. Auch dort wird die Musiktherapie fest integriert zum Behandlungskonzept gehören.
Als ein Highlight im nächsten Jahr freuen wir uns bereits jetzt darüber, dass die 12. LVR-Kreativtherapietage am 14.–15. November 2019 in unserer Klinik stattfinden werden. Interessierte können sich unter www.kreativtherapie.lvr.de auf dem Laufenden halten.

Die Autorin:

Sarah Bonnen
Musiktherapeutin BA, ArtEZ Konseratorium Enschede
Musiktraumatherapeutin

Das Team:

Janneke Berg
Dipl. Musiktherapeutin, Hochschule Magdeburg-Stendal

Nicole Kramortz
Musiktherapeutin BA, Hogeschool van Arnhem en Nijmegen

Lea Sauter
Musiktherapeutin BA, ArtEZ Konservatorium Enschede