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Kleine Hilfen mit Atem, Bewegung und Stimme

Von Sabine Rittner

 

Der farbige Klang der Vokale

Heute möchte ich Sie einladen zu einer meditativen Erkundung der Atem- und Klangräume Ihres Körpers. Entspannt sitzend verbinden Sie das Tönen verschiedener Vokale mit der Stimulation von Fingerdruckpunkten – eine Übung, die sich sehr eignet, um in ruhiger, zentrierter Klarheit den Tag zu beginnen oder ihn ausklingen zu lassen. Sie benötigen nicht mehr als ca. 15 Minuten dafür. Diese Übung ist besonders auch für diejenigen unter Ihnen geeignet, denen das Meditieren in Stille ein wenig Mühe bereitet. Sie werden sehen, der Klang der Vokale wird Sie dazu verlocken, zentrierter zu werden, ganz im Jetzt anzukommen und den permanenten Strom der Gedanken vorüber ziehen zu lassen, ohne ihm Aufmerksamkeit zu schenken. Die Zauberworte dafür heißen Aufmerksamkeitslenkung und Achtsamkeitsschulung, auf Neudeutsch „awareness“ oder „mindfullness“. Die Stimme ist hierfür ein ganz besonders geeignetes Medium.
Setzen Sie sich entspannt, aber aufrecht hin, so dass der Bauch sich beim Atmen frei bewegen kann. Das geht am einfachsten, wenn Sie auf der Vorderkante eines Stuhles sitzen, auf einem Hocker oder auf dem Boden mit einem Sitzkissen.

  • Beobachten Sie einen Moment lang, wie der Atem ganz von alleine einströmt und wie er Ihren Körper mühelos wieder verlässt, ohne dass Sie irgendetwas dazu tun müssen. Die Hände liegen entspannt in Ihrem Schoß.
  1. Legen Sie nun die Fingerkuppen der beiden kleinen Finger mit deutlichem, sanftem Druck aneinander, ohne dass sich dabei die anderen Finger berühren.
    Zusätzlich formen Sie mit dem Mund deutlich den Vokal „U“. Atmen Sie den noch unhörbaren Klang des „U“ mehrmals ein, indem Sie sich vorstellen, dass Sie ihn mit Hilfe des Einatems aus der unendlichen Fülle der Klangmöglichkeiten „herausfiltern“.
  2. Nun tönen Sie in einer für Sie angenehmen Tonlage diesen Laut „U“ sieben Ausatemphasen lang, dabei bleiben die Kuppen der beiden kleinen Finger mit sanftem Druck aneinandergelegt.
    Während Sie dem Klang des „U“ lauschen, schauen Sie sich mit Ihren „inneren Augen“ an, welche Farbe dieser Klang in Ihrer Phantasie hat, welches Licht, welche Helligkeit oder Dunkelheit.
  3. Nach dem Verklingen des „U“ spüren Sie einen kurzen Moment lang nach, ob sich irgend etwas verändert hat in Ihrem Körper, ob vielleicht Ihre Atembewegung in einem bestimmten Teil Ihres Körpers mehr Raum bekommen hat als zuvor, ob sich Ihre Stimmung verändert hat, ob Sie  z. B. ruhiger oder wacher geworden sind, u. a.

Der Vokalraum des Vokals „U“ ist im Beckenraum zu finden. Dort verbindet er sich mit Grundthemen wie „Urgrund, Mutter, Urvertrauen, Ruhe, Erdung, dunkel, unten, Ursprung“. Man kann wunderbar hören, wie bereits im Vokalklang dieser Worte das tiefe Körperwissen unserer Sprache widerhallt.

  1. Legen Sie nun als nächstes die Fingerkuppen der beiden Ringfinger mit sanftem Druck aneinander, ohne dass sich dabei die anderen Finger berühren.
    • Zusätzlich formen Sie mit dem Mund deutlich den Vokal „O“. Nehmen Sie den noch unhörbaren Klang des „O“ mit dem Einatem in sich auf.
    • Fahren Sie nun siebenmal tönend fort, wie oben bereits unter B) und C) beschrieben, und spüren dann wieder einen kurzen Augenblick lang nach.

Mit dem tönenden „O“ wird im Körper der mittlere Bauchraum aktiviert, der Bereich des Solarplexus, den man auch als Ich-Zentrum bezeichnen kann. Dort sind Entscheidungskraft, Klarheit und Abgrenzung angesiedelt, das „Ich will“, das Ja-und-Nein-sagen.

  • Diesen nun schon ein wenig vertrauten Ablauf A) bis C) setzen Sie fort mit dem Vokal „A“. Dabei legen Sie die Kuppen der beiden Mittelfinger aneinander.

Das „A“ ist der Vokal mit der größten Öffnung des Mundraumes, wobei wichtig ist, dass Sie den Unterkiefer dabei entspannt fallen lassen. Im Körper aktiviert es den Herzraum. Die Themen, die hier anklingen können sind Selbstakzeptanz und -liebe, Liebesfähigkeit, Empathie, Hingabe und Öffnung zum Du.

  • Für den Vokal E legen Sie die Kuppen der beiden Zeigefinger aneinander und wiederholen dafür ebenfalls die Schritte A) bis C).

Der Klang des E stimuliert das Halszentrum, den Raum der Kehle (auch dies ein klanglich sehr passendes Wort mit zwei „Eehs“). Hier sind die Themen Kommunikation, Selbstausdruck, Kontakt, Sprechen und Singen, Zielgerichtetheit, Gestaltungskraft und Kreativität angesiedelt.

  • Um die Wirkung des Vokals I zu entfalten, legen Sie nun die beiden Daumen aneinander und vollziehen ebenfalls den Ablauf A) bis C).

Im Körper wird durch den Klang des „I“ der Kopfraum bis unter die Schädeldecke aktiviert. Hier geht es um spirituelle Öffnung, die auch lautlich hörbar wird in Wörtern wie Licht oder Himmel.
Abschließend nehmen Sie sich noch einen Moment lang Zeit, um die Wirkung dieser tönenden Achtsamkeitsschulung auf Körper, Seele und Geist nachklingen zu lassen und die einfache, völlig unspektakuläre Klarheit des gedankenfreien Im-Jetzt-Seins zu genießen.
Diese Übung geht ursprünglich auf eine Anregung aus der Atemtherapie von Ilse Middendorf zurück, deren wunderbare Arbeit mich lange Zeit begleitet hat und deren Übungen ich in ihrer Einfachheit und Tiefgründigkeit auch heute noch außerordentlich schätze (Buchtip: Ilse Middendorf. Der erfahrbare Atem: eine Atemlehre. Junfermann, 1984).
Ich wünsche Ihnen reichhaltige Entdeckungen beim Erkunden Ihrer klangfarbenreichen Atemräume.


Herzlichst,
Ihre Sabine Rittner

Die Autorin:

Sabine Rittner
Musikpsychotherapie (approbiert), Atem-, Stimm- und Körpertherapie, Hypnotherapie, Traumatherapie. Tätig am Institut für Medizinische Psychologie der Universitätsklinik Heidelberg und in freier Praxis. Forschungen, Veröffentlichungen, Vorträge und Seminarangebote, schwerpunktmäßig zu den Themen „Stimme“, „Klang“ und „Trance“, finden Sie unter:
www.SabineRittner.de,
künstlerische Arbeiten unter:
www.SabineRittner-Kunst.de
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