Musiktherapeutischer Klinikspaziergang

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Die Sokrates-Klinik am Bodensee

Von Thomas Schröter

 

Rehabilitation für Menschen mit Krebs und anderen schweren chronischen Erkrankungen
Die Diagnose Krebs hinterlässt auch nach einer medizinischen Behandlung durch Operation, Chemotherapie und Bestrahlung weitreichende Spuren, die oftmals ebenfalls einer Therapie bedürfen. Während die Erkrankung dank der Fortschritte der Medizin nach fünf Jahren Symptomfreiheit als überwunden gilt, rücken seelische Folgen wie Ängste, innere Unruhe, Schlafstörungen und Fatigue immer stärker ins Bewusstsein. Viele Patienten verbinden die durch die Erkrankung ausgelöste Krise mit der Frage nach einer umfassenden Veränderung ihres Lebens. Zur Stabilisierung, Neuorientierung und Wiedererlangung von Lebensqualität nach der Krebsdiagnose stehen dem Patienten heute sehr vielfältige Therapien und Rehabilitationsmöglichkeiten zur Verfügung. Patienten sind bei ihrer Therapiewahl in unserem Gesundheitssystem allerdings noch immer überwiegend mit einem Nebeneinander von Schulmedizin und Naturheilkunde konfrontiert und geraten nicht selten in einen Konflikt. Wir wollen dieses Nebeneinander zu einem Miteinander vereinen. Seit Oktober 2012 gehen wir in unserer neu eröffneten Klinik Sokrates des Gesundheitszentrums am Bodensee einen Weg der Integration. Die Sokrates Klinik ist eine gemeinnützige Privatklinik mit karitativ-christlicher Grundhaltung, die konfessionell und politisch neutral geführt wird. Übergreifendes Ziel ist es, Körper, Seele und Geist gleichermaßen zu stärken, so dass unsere Patienten Vertrauen und Zuversicht in das Leben zurückgewinnen.

In wunderschöner Lage am Bodensee sollen Menschen mit Krebs und anderen schweren chronischen Erkrankungen genau das bekommen, was sie für den anstehenden Lebens- und Sinneswandel brauchen. Mit guter ärztlicher Versorgung, liebevoller Zuwendung und Förderung wollen wir unseren Patienten eine Zeit wertvoller und hilfreicher Erfahrungen, eine Zeit der Besinnung und der Muße eröffnen. Nicht die Krankheit, sondern der Mensch steht im Mittelpunkt. Das Wissen um das Wesen des Menschen, der Blick auf seine wesentlichen Bedürfnisse und Beziehungswünsche sowie die Auseinandersetzung mit seinen Verstrickungen sind unsere grundlegenden Ausrichtungen bei der Therapieplanung. Eine wichtige Zielsetzung der Rehabilitation ist die Aktivierung der inneren Heilkräfte, die den Patienten helfen, wieder ein selbständiges und erfülltes Leben zu führen. Mit dem Namen Sokrates verbinden wir Wissen, Weisheit und Menschenliebe.
Aus einem breiten Spektrum von fachonkologischen und rehabilitativen Therapien sowie komplementären Verfahren bilden Schulmedizin, Homöopathie, Musiktherapie und Spiritualität die vier Säulen für unser integratives Konzept. Daneben sind Bewegung, Physiotherapie, Ernährung, Kunsttherapie und Entspannungsverfahren aus der Mind-Body-Medizin wichtige Bausteine im ganzheitlichen Prozess. Für die Homöopathie besteht eine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Homöopathie-Institut (SHI), dem führenden Kompetenzzentrum für Homöopathie in der Schweiz. Wichtiger als die Vielfalt der Therapien ist in unserer Klinik das Verständnis, dass es bei der Förderung von inneren Heilungsprozessen wesentlich darauf ankommt, im Außen wie im Innen ein heilsames Schwingungsfeld zu schaffen. Das bedeutet auf medizinisch-therapeutischer Seite, dass Schulmedizin, Naturheilverfahren und Homöopathie, Musiktherapie und andere Therapien als ein sich gegenseitig verstärkendes Miteinander angeboten werden. Wir pflegen einen Umgang auf Augenhöhe, der von gegenseitiger Wertschätzung geprägt ist und der die unterschiedlichen Therapieangebote miteinander vereint. Bei der Therapieplanung und Weiterentwicklung des Therapiekonzeptes werden Patienten mit einbezogen.
Von den Patienten wünschen wir uns die Bereitschaft, sich auf einen inneren Prozess mit Austausch in der Gruppe einzulassen. Die Auslegung der Klinik Sokrates für maximal 33 Patienten und die Bildung von überschaubaren Bezugsgruppen unterstützt die Entstehung eines nährenden Miteinanders im Sinne einer therapeutischen Gemeinschaft. Die Patienten bewohnen während des dreiwöchigen Reha-Aufenthalts ein geschmackvoll eingerichtetes Zimmer mit Hotelstandard. Die Teilnahme von Familienangehörigen ist möglich und ausdrücklich erwünscht. Anstelle von Fernseher und WLAN finden unsere Patienten eine herrliche Aussicht auf den unmittelbar angrenzenden Bodensee und eine Stätte der inneren wie äußeren Begegnungen vor. Die ritualmäßige Einstimmung in den Tag und der Ausklang des Tages, an denen Patienten und Mitarbeiter gemeinsam teilnehmen, geben dem Aufenthalt in unserer Klinik einen Halt gebenden Rahmen. Jeder Tag beginnt mit einem Begrüßungslied und dem „Sonnengebet“ und endet mit einer Abschlussrunde und dem „Segenslied“.
Die gemeinsamen Begegnungszeiten, insbesondere das Singen von heilsamen Liedern, schaffen eine vertrauensvolle Atmosphäre, in der Offenheit und Austausch möglich sind. Gesungen wird frei nach dem Motto „Jeder kann singen, so wie er kann“ und „Es gibt keine Fehler, nur Variationen“. Die Patienten sollen die wohltuende, schmerz- und angstlösende Wirkung des Singens am eigenen Leib erfahren. In der vom Musiktherapeuten und der Psychologin gemeinsam durchgeführten themenzentrierten Resonanzgruppe wird die Kommunikations- und Resonanzfähigkeit des Einzelnen gestärkt. Der Patient erlebt sich im Kontakt mit anderen, erkennt seine Beziehungsmuster, seine Möglichkeiten und Begrenzungen und kann Neues erproben. Gemeinsam wird auf Instrumenten improvisiert, getrommelt oder auf Musikinstrumenten füreinander gespielt. Besonders bewährt hat sich das gemeinsame Hören der Lieblingsmusikstücke eines jeden Patienten. Die Patienten werden dazu eingeladen, mit den jeweiligen Musikstücken in Resonanz zu gehen und das eigene Erleben zu beschreiben. Mit Hilfe des „Zwiegesprächs“ (nach Michael Lukas Möller) lernen die Patienten auf eine heilsame Weise miteinander zu kommunizieren. Die Resonanzgruppe eignet sich hervorragend für Prozesse des Wahrnehmens, des Sich-Erkennens und des Nachnährens.
Die Kunsttherapie bietet dem Patienten eine gute Möglichkeit, sich in seiner Schaffenskraft zu erleben und einen sichtbaren Ausdruck für seinen Lebensweg zu bekommen. Hier findet er, so wie in der Musiktherapie auch, ein vermittelndes Element zum Fühlen und Ausdrücken des Unsagbaren und Ungelebten.
Die Patienten besuchen täglich eine von der Psychologin angeleitete Entspannungsgruppe, in der sie wirksame Verfahren zur Entspannung und zur Vertiefung der Körperwahrnehmung erlernen, die sie auch zuhause weiter praktizieren können. In der von der Physiotherapeutin angeleiteten Bewegungsgruppe geht es um die Stärkung der körperlichen Kraft und um die Verbesserung von Körperfunktion, Koordination und Ausdauer. Nach ausreichend Bewegung und Austausch sind die regelmäßig stattfindenden Meditationen kleine Inseln, um immer wieder die Ruhe und die eigene Mitte zu finden. Hier haben sich musikgeleitete imaginative Reisen zum Kraftort und zur inneren Heilquelle bewährt.
Ergänzend zu den Gruppenangeboten erhält jeder Patient ein individuelles Einzeltherapieprogramm, bestehend aus zweimal wöchentlich Musiktherapie (jeweils eine Stunde), Gesprächstherapie, Physiotherapie, Kunsttherapie, Ernährungsberatung, Gespräch mit dem Arzt und/oder dem Homöopathen. In der Einzelmusiktherapie und der psychologischen Begleitung steht die eigene Biografie im Vordergrund. Spielerisch werden die wichtigen Stationen und Wendepunkte im Leben des Patienten mit ressourcenorientierten musiktherapeutischen Verfahren bearbeitet. Diese werden zum Ausgangspunkt einer neuen Betrachtungsweise, die Krankheitssymptome nicht wegtherapieren will, sondern als Signale für eine neue, gesundheitsfördernde, dem neuen Leben angepasste Veränderung begreift. Bewährt hat sich hier die Verbindung des „Lebensfluss-Modells“ ( Peter Nemetschek) mit Musikinstrumenten. In einer Atmosphäre der Achtsamkeit wissen und spüren Patienten in der Regel genau, was sie brauchen. Manches Mal steht Unerledigtes und Unversöhntes im Weg. Auch hier kann Musik helfen, Versöhnungsprozesse zu begleiten und zu friedvolleren Lösungen zu finden.
Besonders beliebt ist die Klangwiege. Der vielschichtige obertonreiche Klangteppich führt zu einem akustischen Klangerlebnis, das tief in der Seele berühren kann. Häufig wird schon nach wenigen Minuten eine heilsame Tiefenentspannung erreicht, bei der Belastendes abfällt und Einklang erfahrbar wird. Auf unterschiedlichste Weise machen die Patienten die Erfahrung, wie Musik den Heilungsprozess fördern kann. In der Musikmeditation können Patienten erleben, wie Musik aus früheren Zeiten noch heute den Raum für Antworten auf Fragen nach dem Sinn von Leiden und Krankheit und nach dem Sinn des Lebens überhaupt öffnet. Viele große Komponisten wie Bach, Mozart, Schubert und Beethoven haben geradezu aus ihrer persönlichen Not heraus geschöpft und in der Musik Antworten auf die großen Menschheitsfragen gefunden. Neben Vorträgen zu den Themen Krankheitsursachen, gesunde Ernährung und Krankheitsbewältigung, stehen dazu ergänzend auch Vorträge über Komponisten und deren Schicksalsbewältigung in der Musik auf unserem Programm. Eines wird klar: Immer wieder ist es die Musik, die leitet, tröstet, trägt und verbindet.
Menschen mit einer Krebserkrankung möchten ebenso wie Gesunde nicht übermäßig mit ihren kranken Anteilen und Lebensproblemen konfrontiert werden. Regelmäßige Musik- und Kulturveranstaltungen im lichtdurchfluteten Raum, ausgedehnte Wanderungen, die Patientenbibliothek sowie Spiel- und Kinoabende sorgen für den nötigen Ausgleich, ebenso das auch für die Öffentlichkeit zugängliche Restaurant mit gesunder kulinarischer Kost. Ein Fitnessraum sowie eine Sauna mit Dampfbad und Dauerbrause stärken das Wohlbefinden. Zwei Klangwogen (Fa. Allton) dienen der Entspannung und laden den Patienten dazu ein, in einen inneren Einklang zu kommen. Besonders wichtig sind die Ruhezeiten zwischen den einzelnen Angeboten, in denen die Patienten auch ausgedehnte Spaziergänge in herrlicher Natur machen können, um das Erlebte nachklingen zu lassen. Den Patienten wird empfohlen, ein Gesundheitstagebuch zu führen. Ein Andachtsraum lädt zum Verweilen in Stille und zum Gebet ein. Auf Wunsch können auch Seelsorgegespräche vermittelt werden. Im Laufe der dreiwöchigen Rehabilitation durchlaufen die Patienten einen inneren und äußeren Prozess, der Körper, Geist und Seele gleichermaßen berücksichtigt und ein neues harmonischeres Zusammenspiel fördert. Insgesamt haben Musik und Besinnung in der Klinik Sokrates einen zentralen Stellenwert. Beides hilft in dem Prozess, sich auf sich selbst einzulassen, Beziehungen zu vertiefen und sich mit dem Leben auszusöhnen. Da diese Erfahrungen nach der Reha auch verblassen können, werden Lieder, Meditationen, Visualisierungen und Entspannungsübungen regelmäßig aufgenommen und auf CD gebrannt. Der Patient bekommt einen kleinen „Handwerkskoffer“, bestehend aus Anleitungen und CDs mit nach Hause. Es hat sich gezeigt, dass damit die Nachhaltigkeit der Rehabilitation erheblich verbessert werden kann. Leider  wird unser komplementärmedizinisches Angebot in den Versicherungsmodellen der Krankenversicherer noch nicht genügend berücksichtigt. Um den Aufenthalt bei uns dennoch finanziell tragbar zu machen, bietet die Stiftung Sokrates für Menschen in schwierigen finanziellen Verhältnissen Unterstützung an. Die Zeit ist reif, auch in der Medizin zu einer dem menschlichen Wesen gerechter werdenden Sichtweise zurückzufinden. Hier soll der Mensch nicht mehr, mit musikalischen Begriffen gesprochen, in einzelne Noten, Rhythmen oder Schwingungen zerlegt und verändert, sondern als ein Musikstück, ein Gesamtkunstwerk in einer großen Symphonie betrachtet werden.


Fallvignette
Die 36-jährige Frau S. kommt nach einer Total-OP und Nierenentfernung in die Reha. Seit Jahren hat sie eine Fibromyalgie. Schon beim Singen des ersten Liedes „In mir ist Liebe…“ in der Gruppe kommen der Patientin die Tränen und es fällt auf, wie zart besaitet und zerbrechlich die von ihrer körperlichen Statur auf den ersten Blick robust wirkende Frau tatsächlich ist. In der darauffolgenden Einzelmusiktherapie berichtet sie, wie sehr sie durch das Singen in der Gruppe innerlich angerührt wurde. Schon durch einen früheren Aufenthalt in einer Psychosomatischen Klinik weiß sie, dass es ihr aufgrund massiver Missbrauchserlebnisse an Selbstwertgefühl fehlt. Ausgelöst durch ihre Krankheit und der erfolgten Total-OP und Nierenentfernung tauchen bei ihr verstärkt nachts dunkle Gedanken auf und sie spürt Todessehnsucht. Ich schlage ihr vor, einmal ihren Lebensweg als Lebensfluss symbolisch mit einem langen Seil auf dem Boden des Musiktherapieraumes auszubreiten. Frau S. verschiebt das Seil so, dass die Höhen und Tiefen ihres Lebens erkennbar werden. Auf dem Seil bestimmt sie den Punkt, an dem sie gegenwärtig in ihrem Leben steht. Ich bitte sie zur Markierung diese Stelle ein Musikinstrument zu wählen. Frau S. wählt hierfür die große, tief klingende Klangschale und stellt sie an diese Stelle neben das Seil. Ich lade sie dazu ein, sich direkt neben diesen Punkt zu stellen, die Augen zu schließen, in sich hinein zu spüren und zu beschreiben, wie es ihr hier gerade geht. Dazu spiele ich die von ihr ausgewählte Klangschale. Sie beschreibt den Ort als düster, hoffnungslos und dunkel. Dabei atmet sie schwer, hat Schmerzen im ganzen Körper und bekommt nicht richtig Luft. Als nächstes schlage ich ihr vor, sich einmal vorzustellen, dass sie irgendwann diese Leidenszeit überwunden hat und bitte sie, hierfür einen Punkt auf ihrem Seil zu bestimmen, an welchem dieses Ziel voraussichtlich erreicht wäre. Frau S. wählt zur Markierung dieser Stelle eine kleine hohe Klangschale. Ich fordere sie dazu auf, entlang ihres Lebensweges nun einmal einen Schritt nach vorne zu gehen und auch dort wieder ihre Befindlichkeit zu beschreiben. Ich spiele diesmal die hohe, von ihr ausgewählte Klangschale. Sie beschreibt, dass ihr Leben dort heller und leichter wäre und sie besser Luft bekäme. Frau S. wirkt schon viel entspannter. Ich schlage ihr vor, noch einen Schritt weiter in die Zukunft zu gehen, an den Ort, an dem sie rückblickend auf ihr Leben, aus einem Abstand heraus vielleicht sogar ein bisschen schmunzeln kann. Zur Markierung wählt sie diesmal den Rainmaker. Ich spiele ihn und sie beschreibt diesen Ort als unglaublich leicht und frei. In ihrem Körper empfände sie sich dort völlig frei und vital. Frau S. ist augenblicklich sichtlich entspannter, ihre Schmerzen haben nachgelassen und sie findet ein zaghaftes Lächeln. Am Ende der Sitzung betrachten wir noch einmal ihren Lebensweg aus einer distanzierteren Position und laufen mit dem Lied „Ich bin wie ich bin mit allen Dingen“ von Gila Antara um ihren Lebensfluss herum. Es zeigt sich, dass sich Frau S. gut auf meine Vorschläge einlassen kann und dass es ihr mit dieser Methode gut gelingt, eine bessere Zukunft zu visualisieren. Am Ende der Stunde fühlt sie sich erleichtert und beschwingt. Sogar ihre Schmerzen haben nachgelassen. Sie hat die Erfahrung gemacht, wie unterschiedlich sich Gegenwart und visualisierte Zukunft anfühlen und wie sich ihr Befinden verändern kann. Sie erkennt, dass sie allein durch die Kraft ihrer Gedanken und inneren Vorstellungen ihr gesamtes Befinden beeinflussen kann und damit auch ihre Schmerzen reduzieren kann.
In der darauffolgenden Stunde legt Frau S. noch einmal ihren Lebensfluss mit dem Seil und wir verfolgen ihren Lebensfluss von Geburt bis zur Gegenwart. Diesmal liegt der Blickwinkel darauf, was sie schon alles in ihrem Leben erreicht hat. Für jede Hürde, die sie überwunden und für jede Herausforderung, die sie gemeistert hat, sucht sie sich ein Musikinstrument und stellt es auf ihren Lebensfluss. Es entsteht ein eindrücklicher, mit Musikinstrumenten umgebener Fluss. Frau S. lässt jedes Musikinstrumente anklingen und erinnert sich an die kleinen und großen Erfolgserlebnisse in ihrem Leben. Ich schlage ihr vor, aus den vielen Ereignissen eine Erfolgserfahrung auszuwählen, die sie dabei unterstützen kann, ihre gegenwärtige Problemlage zu überwinden. Frau S. entscheidet sich für die Geburt ihres Kindes. Sie hatte damals starke Ängste vor der Geburt und war dann sehr erleichtert, dass sie ihr Kind so gut und gesund auf die Welt bringen konnte. Ich schlage ihr vor, das Glockenspiel, das sie für die Geburt ihrer Tochter gewählt hatte, mit in die Gegenwart zu nehmen. Sie stellt sich an den Platz ihrer Gegenwart und spielt das Glockenspiel. Sie spürt eine Erleichterung und fühlt sich nicht mehr so alleine. Sie spürt auch, dass es angesichts der Herausforderungen, die sie schon bewältigt hat, etwas geben muss, das sie in ihrem Leben schützend begleitet hat. Ihr wird bewusst, dass sie gerade in Krisenzeiten immer wieder die nötige Kraft zum Weitergehen bekommen hat. Zum Abschluss dieser Musiktherapiestunde gehen wir gemeinsam um den Lebensfluss und singen diesmal das Lied „Es gibt immer einen Weg“ von Iria. Frau S. geht freudig, aufrecht und gestärkt aus dieser Stunde. Das Lied begleitet sie noch den ganzen Tag. Zum Abschluss der Reha bittet Frau S. darum, dass ich ihr eine CD mit den Liedern zusammenstelle, die wir in der Gruppe gemeinsam gesungen und aufgenommen haben. So habe sie ein bewährtes Notfallmittel, für den Fall, dass nachts einmal wieder Schmerzen und dunkle Gedanken kommen. Dann sei für sie der Griff zum CD-Spieler gerade noch möglich. Dass die Lieder ihr helfen, habe sie in der Rehazeit bereits herausgefunden.

 

Der Autor:

Thomas Schröter
Dipl.Sozialpädagoge, Musiktherapeut DMtG, Psychotherapie (HPG), EMT-Zulassung (CH).
Forschungstätigkeit in den Bereichen chronische Schmerzen, Krebserkrankungen und multiple Sklerose. Leiter der Musiktherapiepraxis der Klinik Sokrates Bodensee. www.klinik-sokrates.ch