Schwerpunktthema

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Das Burnout-Syndrom – Übersicht und kritische Anmerkungen

Von Prof. Dr. Hans Ulrich Schmidt

 

Einleitende Anmerkungen
Die Diagnose Burnout steht wie kaum eine im Mittelpunkt vieler Diskussionen zwischen somatisch orientierten Ärzten, Psychiatern oder Fachärzten für Psychosomatik und Psychotherapie auf der einen, Gesundheitsökonomen und Gesundheitspolitikern auf der anderen Seite. „Obwohl bisher keine einheitliche Definition des Burnout existiert und Burnout weder in der Internationalen Definition der Krankheiten, 10. Revision (ICD-10) noch im Diagnostischen und Statistischen Handbuch psychischer Störungen (DSM-IV) eine eigenständige Diagnose darstellt, wird Burnout in der klinischen Praxis diagnostiziert. Vor dem Hintergrund der damit verbundenen individuellen, gesellschaftlichen und finanziellen Auswirkungen erklärt sich die hohe Brisanz dieser Thematik.“ (Korczak 2010, S. 1). Die Burnout-Diagnose hat nicht zuletzt aufgrund der deutlichen Zunahme von Krankschreibungen eine hohe gesundheitspolitische Brisanz: Laut Bundespsychotherapeutenkammer entfielen im Jahr 2004 noch 0,7 Arbeitsunfähigkeits-Tage pro 100 Versichertenjahre auf die Diagnose Burnout, 2011 waren es bereits 9,1, also ca. vierzehnmal so viele (BPtK 2012, S. 5). „Der Anteil der Krankschreibungsfälle hat sich zwischen 2004 und 2011 verachtfacht. Während 2004 nur 0,05 Krankschreibungsfälle auf 100 Versicherte auftraten, sind es 2011 nunmehr 0,4“. (BPtK S. 6)

Definition
Kaschka et al. (2011) konstatieren zunächst: „Eine allgemeingültige, international konsentierte Definition von Burn-out gibt es derzeit nicht“ (ebd., S. 782). Wörtlich übersetzt, bedeutet der Begriff „to burn out“ ausbrennen. Im Gegensatz zur fehlenden einheitlichen wissenschaftlichen Definition ist „das intuitive Verständnis des Ausdrucks (…) in der Umgangssprache sehr groß. Burnout kann daher als ein Begriff von hoher gesellschaftlicher Praxisrelevanz verstanden werden“ (Korczak 2010, S. 14). In verschiedenen Definitionsansätzen finden sich Begriffe wie emotionale Erschöpfung, verringerte persönliche Erfüllung im Beruf, Arbeit bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit, Erschöpfung und/oder Enttäuschung nach Realisierung unrealistischer Erwartungen (Zusammenstellung Korczak 2010, S. 14). In einer Sammlung verschiedener Definitionen durch Rook (1998) finden sich wiederkehrende Elemente wie „körperliche, emotionale, geistige Erschöpfung, Entfremdung, Arbeitsbelastung, unerfüllte Bedürfnisse und Erwartungen, Desillusionierung, fehlgeschlagene Arbeitsanpassung“ (in Korczak 2010, S. 14).
Insgesamt werden eher verschiedene Zustände (und nicht scharf umrissene Symptome) geschildert, die erstens nicht den Beginn einer Symptomatik klären, zweitens vor allem zwei Aspekte gemeinsam zu haben scheinen:
–    Großes Bemühen einer Person führt bei viel Engagement zu zunehmender körperlicher und seelischer Erschöpfung
–    Ein wesentlicher ursächlicher Faktor liegt in der Umwelt, meist dem Arbeitsfeld.
Historisch steht das Konzept in einer langen Tradition: Shorter (1994) beschäftigt sich mit soziokulturellen Aspekten der Verlagerung objektivierbarer, schärfer umrissener Symptome auf subjektive Empfindungen. „Aus der Sicht der Patienten hatten Schmerzen und Mattigkeit den Vorteil, dass sie erstens den Erwartungen entsprachen, die sich die Ärzte unter dem Einfluß des zentralnervösen Paradigmas gebildet hatten, und dass sie zweitens unmöglich zu widerlegen waren. Als hochgradig subjektive Empfindungen, die sie sind, können weder Schmerzen noch Abgeschlagenheit im Einzelfall als in Wirklichkeit gar nicht vorhanden abqualifiziert werden. (…) Viele motorische Symptome waren mit dem Nachweis einer ja fehlenden anatomischen Basis medizinisch zu widerlegen. Demgegenüber war die potentielle anatomische Basis von Schmerz und Mattigkeit (…) viel komplexer und schwieriger zu untersuchen“ (ebd., S. 462–63). Shorter weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass bereits seit ca. 150 Jahren – mit einer Verdichtung vor ca. 100 Jahren – Diskussionen über den Neurastheniebegriff begannen. Zusammengefaßt vertritt Shorter die These, dass sich der große Pool schwer fassbarer und stark subjektiv getönter Symptome vor allem aus zwei Krankheitskonzepten speist: Dem der Neurasthenie und dem der Hysterie.

Diagnostik
Im Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation erscheint Burnout nicht als eigenständige Diagnose, sondern firmiert innerhalb einer Gruppe verschiedener Zusatzdiagnosen, denen prinzipiell andere Erkrankungen zugrunde gelegt werden und die ergänzende Informationen zu entsprechenden (Haupt-)Diagnosen beschreiben. Im aktuellen DSM-IV ist die Diagnose nicht aufgeführt, in der ICD-10 findet man sie unter der Kategorie „Z 73, Probleme verbunden mit Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“. Als nähere Erläuterung zur Ziffer Z 73.0 erscheinen Begriffe wie „Ausgebranntsein“ oder „Zustand der totalen Erschöpfung“. Differentialdiagnostisch kann laut ICD dann von einem Burnout gesprochen werden, wenn keine andere psychiatrisch definierte Krankheit wie Neurasthenie (F48.0), Panikattacke (F41.0) oder allgemeine Ermüdung (R53) vorliegen. Eine Aufnahme in DSM-V oder ICD-11 ist nicht vorgesehen. Kaschka et al. (2011) sprechen von einem „aus medizinischer Sicht unfertigen Konzept“ (S. 783). „Die wissenschaftliche Psychiatrie hat es bisher weitgehend vermieden, sich mit dem Phänomen Burn-out zu beschäftigen, sei es, dass sie vor der definitorischen Unschärfe des Syndroms zurückgeschreckt ist oder sei es, dass die Überschneidungsbereiche mit etablierten psychiatrischen Diagnosen wie Depression oder Anpassungsstörung so groß erschienen, dass man glaubte, auf eine Validierung von Burn-out als diagnostische Entität verzichten zu können“ (ebd., S. 783).
Differentialdiagnostisch ist häufig vom Zusammenhang zwischen Burnout und Depression sowie Burnout und dem Konzept chronischer, anhaltender Erschöpfung (hier klingt der im angloamerikanischen Sprachraum verwendete Begriff des „chronic fatigue syndrome“ an) die Rede. Immer wieder ist beobachtbar, dass so bezeichnete Patienten große Schwierigkeiten haben bzw. unfähig sind, Gefühle bei sich selbst oder bei anderen wahrzunehmen bzw. zu verbalisieren. Diese Hinzuziehung des sog. Alexithymie-Konzeptes, das gern zur Konzeptualisierung der Entstehung und Aufrechterhaltung somatoformer, mitunter psychosomatischer Beschwerden im engeren Sinne, hinzugezogen wird, verweist auf ausgeprägte psychogene Entstehungsfaktoren des Burnout-Syndromes, die in starkem Maße auf Eigenheiten des Patienten selbst zumindest mit verweisen. Es scheint darüber hinaus so zu sein, dass die Diagnose eines Burnout-Syndroms einen Risikofaktor für die Entwicklung einer Depression darstellt.
Andererseits besteht eine Assoziation zwischen Burnout und kardiovaskulären, muskulo-skelettalen, kutanen und allergischen Erkrankungen. Die somatische Komorbidität nimmt mit dem Schweregrand des Burnout-Syndroms zu. „Im Einzelnen sind die neurobiologischen beziehungsweise psychobiologischen Mechanismen, die den körperlichen Auswirkungen von Burn-out zugrunde liegen, noch ungeklärt“ (Kaschka 2011, S. 785).

Behandlung
Zum Teil sind Praxen, mitunter ganze Kliniken auf die Behandlung des Burnout-Symdroms spezialisiert. Behandlungsansätze sind meist psychotherapeutischer Natur und verwenden entsprechende Methoden. Verschiedentliche therapeutische Bemühungen orientieren sich vor allem am Schweregrad.
„Bei leichterer Ausprägung werden Maßnahmen im Sinne einer Veränderung der Lebensgewohnheiten und Optimierung der „Work-Life-Balance“ empfohlen (Kaschka 2011, S. 786). Hier sollten sich nach Hillert und Marwitz (2006) die Maßnahmen auf drei Aspekte konzentrieren:
–    Entlastung von Stressoren
–    Erholung durch Entspannung und Sport
–    Ernüchterung im Sinne einer Verabschiedung von Perfektionsvorstellungen
„Liegt ein stärkerer Ausprägungsgrad (…) vor, werden psychotherapeutische Interventionen sowie auch Antidepressiva, optimalerweise kombiniert mit Psychotherapie, empfohlen. (…) Bei den psychotherapeutischen Interventionen wird meist ein schulenübergreifender Ansatz angeraten, wobei der Schwerpunkt auf kognitiv-verhaltenstherapeutischen Verfahren liegt. Da allerdings bisher keine kontrollierten Studien vorliegen, die die Wirksamkeit verschiedener Interventionen belegen könnten, muss die Effektivität dieser Interventionen offen bleiben“ (Kaschka 2011, S. 786).
„Als präventive Maßnahmen (…) werden (…) vor allem Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung, die Einführung von Arbeitszeitmodellen sowie die Durchführung von Supervisionen empfohlen. Damit ist eine gesellschaftliche Komponente (…) angesprochen, die ein Umdenken erforderlich macht, das zu Veränderungen der Arbeitswelt im Sinne einer umfassenden Humanisierung führen sollte“ (ebd., S. 786).
Eine musiktherapeutische Masterarbeit (Pohl 2012) widmet sich ebenfalls diesem Thema. Die Verfasserin bemängelt ebenfalls die unklare Definitionslage. Sie schlägt vor, die Definition im Sinne des alten Neurastheniekonzeptes weiterzuentwickeln. „Im Vergleich der verschiedenen Definitionen ließen sich die Leitsymptome emotionale Erschöpfung, Depersonalisierung, und reduzierte persönliche Leistungsfähigkeit festmachen. Diese werden in den meisten Definitionen beschrieben und stellen somit die Hauptbestandteile von Burnout dar. Das Burnout-Syndrom kann folglich als eine Weiterentwicklung der Neurasthenie bezeichnet werden“ (ebd., S. 107). Eine Augsburger Masterarbeit zum Thema „Prävention beim Burnout-Syndrom“ steht vor dem Abschluss.
Wohlgemerkt: Einem mittlerweile beträchtlichen Aufwand an präventiven und symptomatischen Behandlungsmaßnahmen steht unter anderem der Sachverhalt gegenüber, dass es aktuell und zukünftig keine Hauptdiagnose „Burnout“ in den einschlägigen diagnostischen Manualen gibt oder geben wird. „Angesichts der unzureichenden Validierung von Burn-out und der aufgezeigten Forschungsdefizite sollte derzeit aber von einer Verwendung dieses Begriffs als Diagnose und Grundlage für Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen oder Berentungen abgesehen werden“ (Kaschka 2011, S. 786).

 

Der Autor:

Prof. Dr. Hans Ulrich Schmidt
Co-Leitung des Berufsbegleitenden Weiterbildungsstudiengangs mit Masterabschluss am Leopold-Mozart-Zentrum, Universität Augsburg. Bereich Ärztliche Psychotherapie, Ambulanzzentrum des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf

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Literatur

  • Bundespsychotherapeutenkammer (2012). BPtK-Studie zur Arbeitsunfähigkeit. Psychische Erkrankungen und Burnout
  • Burisch, M. (2010): Das Burnout-Syndrom. Theorie der inneren Erschöpfung. 4., akualisierte Aufl. Springer, Heidelberg.
  • Hillert, A., Marwitz M. (2006): Die Burnout-Epidemie oder brennt die Leistungsgesellschaft aus? München: Beck
  • Kaschka, W., Korczak, D., Broich K. (2011): Modediagnose Burn-out. Deutsches Ärzteblatt 108, 46, S. 781–86
  • Kaschka, W., Korczak, D., Broich K. (2012): Modediagnose Burn-out. Diskussion zum Beitrag. Deutsches Ärzteblatt 109, 18, S. 338–41
  • Korczak, D., Wastian M., Schneider, M. (2012): Therapie des Burnout-Syndroms. HTA-Bericht 120. Schriftenreihe Health Technology Assessment (HTA) in der Bundesrepublik Deutschland.
  • Korczak, D., Kister, C., Huber, B. (2010): Differentialdiagnostik des Burnout-Syndroms. HTA-Bericht 105. Schriftenreihe Health Technology Assessment (HTA) in der Bundesrepublik Deutschland.
  • Pohl, M. (2012): Gedanken zur Burnout-Prävention bei Studierenden – Ein musiktherapeutischer Versuch. Masterarbeit für den Master of Arts, Masterstudiengang Klinische Musiktherapie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster.
  • Rook M. (1998): Theorie und Empirie in der Burnout-Forschung. Eine wissenschaftstheoretische und inhaltliche Standortbestimmung. Verlag Dr. Kovac Hamburg.