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Giraffenmusik – Musiktherapie und Gewaltfreie Kommunikation

Von Selma Emiroglu und Oliver Schöndube


Mit migrierender Musik(therapie) verständnisvoll Grenzen überschreiten und empathisch begleiten…? Wortsprachlich ist dies Marshall Rosenberg mit der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) gelungen. Wo in der Musik mit Klängen und Gefühlen zwischenmenschliche Brücken gebaut werden, dienen in der GFK allgemeingültige Bedürfnisse wie z.B. Nahrung, Sicherheit und Sinnhaftigkeit als Verbindungselemente. Wie in der Improvisationsmusik darf auch in der GFK alles so sein, wie es ist. Statt sich in Diskussionen um richtig und falsch zu verheddern, hört man seine eigenen Bedürfnisse und die des anderen – und lässt diese wie in der Musik gleichzeitig da sein. Dabei wird die verbale Kommunikation zu keinem spannungsfreien harmonischen Einheitsbrei, genau so wenig wie eine Symphonie nur aus harmonischen Klängen besteht. Auch mit GFK darf es laut und dissonant einhergehen: wütend, voll Freude, verzweifelt oder berührt. Aber selbstverantwortlich! Statt zu beschuldigen wird ein verständnisvoller Dolmetscher eingebaut: Die Giraffe. Sie ist das auf dem Land lebende Tier mit dem größten Herzen. Und so wird GFK auch als Giraffensprache bezeichnet.

Die giraffische Grammatik besteht aus vier Schritten, die bei der Selbstempathie beispielsweise so aussehen können: 1. Beobachtung – „Was ist jetzt gerade? Was tue ich gerade?“ 2. Gefühl – „Wie geht es mir damit? Wie fühle ich gerade?“ 3. Bedürfnis – „Wie kommt das? Was brauche (bräuchte) ich?“ 4. Bitte – „Wie könnte ich bekommen, was ich brauche? Um was kann ich mich/andere ganz konkret bitten?“ Der Grundwortschatz der Giraffen besteht aus Bedürfnissen: Sicherheit und Schutz, Liebe und Verbundenheit, physische Bedürfnisse wie Nahrung und Luft, Verständnis und Wertschätzung, Erholung und Spiel, Kreativität und Wahrhaftigkeit, Geborgenheit, Autonomie und Sinn. Der erste Satz in der GFK-Fibel könnte damit beispielsweise so klingen: „Wenn ich hier in den Bäckerladen trete und den Duft wahrnehme, fühle ich mich ungeduldig und erfüllt, weil ich Nahrung brauche und mir Sinnlichkeit wichtig sind. Könnten Sie mir ein Franzbrötchen geben?“ Mit ein bisschen Übung entstehen aus unterschiedlichen eigenen Bedürfnissen und denen anderer kreative neue Strategien und eine ganz neue Giraffenmusik.
Darf ich Sie nun bitten, die vier GFK-Schritte spielerisch mit Musik anzuwenden? Nehmen Sie sich ein Musikstück, das Sie jetzt gerade hören mögen. … Dann fragen Sie sich, was gerade geschehen ist. Kommen Sie aus der Arbeit, haben Sie telefoniert oder beschäftigt Sie momentan gedanklich ein Thema (Schritt 1)? … Nun lauschen Sie aufmerksam Ihrer Musik und spüren Sie in sich hinein. Was wird dabei in Ihnen lebendig? Spüren Sie Weite oder Enge? Fühlen Sie sich traurig-schwer, voll kribbelnder Freude oder beklommen (Schritt 2)? … Können Sie sagen, welches Bedürfnis das Musikstück Ihnen gerade erfüllt? Ist es Geborgenheit, spielerische Lebendigkeit oder Verbundenheit (Schritt 3)? … Genießen Sie dieses erfüllte Bedürfnis bewusst, lauschen Sie ihm in der Musik und spüren es in Ihnen. … Wie könnten Sie sich dieses Bedürfnis jetzt oder etwas später noch auf andere Weise erfüllen? Könnten Sie beispielsweise die spielerische Lebendigkeit auch davon bekommen, Ihren Kindern beim Versteckenspielen zuzugucken oder gar mitzuspielen? Stellen Sie laut eine Bitte an sich selbst oder jemanden anderes, um es ganz konkret in die Tat umzusetzen (Schritt 4). … Bleiben Sie nach Ihren ersten Sprechversuchen mit stolzem Giraffenhals am Ball! Wie bei anderen Fremdsprachen kann das Gegenüber erst mal verwirrt reagieren, wenn Sie fragen „Sohn, mir ist spielerische Lebendigkeit gerade sehr wichtig, was hältst Du davon, wenn wir verstecken spielen?“
Laufen Bedürfnisvokabeln und gelbbraungefleckte Grammatik schon flüssiger, gehen Sie zur zweiten Lektion über: die giraffische einohpmyssegaT. Zum Tagesabschluss summen, singen, grunzen, tönen Sie… musizieren Sie Ihren Tag im Rückwärtsgang! Beginnen Sie mit dem jetzigen Augenblick. Wo sitzen Sie, wie geht es Ihnen, wie klingen Sie gerade? Hören Sie sich innerlich nach GRRRRRRRR an oder eher nach AIAIAIAIAIAIAAAA? … Gehen Sie mit dem inneren Auge eine Stunde zurück, sehen Sie sich selbst im äußeren Geschehen, spüren Sie sich selbst mittendrin, fühlen Sie wie es Ihnen dabei ging – und lassen Sie alles in Klängen erschallen. OHAAAAA! HMMMM? BRRRRRT … Gehen Sie zurück, Stunde um Stunde… bis zum Aufwachen am Morgen. Spielen Sie Ihre Tagessymphonie, vom Ende zum Anfang. Verweilen Sie währenddessen bei Tagesabschnitten, die an diesem Tag besonders angenehm oder unangenehm waren. Welches Bedürfnis war da erfüllt oder unerfüllt? Wie klingt dieses Bedürfnis? Ein MAAOOMMM klingt vielleicht nach einem erfüllten Bedürfnis nach Geborgenheit, während TICKEDITICKEDITICKEDITICKEDI auf ein fehlendes Erholungsbedürfnis hindeuten kann. … Wenn Sie beim Morgen angelangt sind, spielen Sie noch einmal das schönste Ereignis und wichtigste Bedürfnis und nehmen Sie sie mit in Ihre Träume… AAAAH!MMMMH.RRRHOOSCHSCHSCHSCHSCH…

 

Die Autoren:

Selma Emiroglu
Geb. 1976. Musiktherapeutin, promovierte Physikerin, Folkmusikerin, -tänzerin und -reisende mit dem Ziel gewaltfreier Kommunikation. Derzeit tätig an einer freien Schule und freiberuflich in präventiver musiktherapeutischer Arbeit mit Kindern und Erwachsenen.
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Oliver Schöndube
Geb. 1975. Dipl.-Musiktherapeut, Lehrer, leidenschaftlicher Musiker. Derzeit tätig an einer Grundschule und freiberuflich im Netzwerk Musik auf Rädern in präventiver musiktherapeutischer Arbeit mit Kindern und Erwachsenen sowie im Coaching für Musikstudierende.
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