Praxisvorstellung

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Praxisvorstellung – Musiktherapie-Initiative e. V.

Von Tina Posselt

Die Praxisvorstellung hat diesmal einen anderen Charakter als in den früheren Ausgaben. Vorgestellt wird ein gemeinnütziger Verein, der mit dem Ziel gegründet wurde, musiktherapeutische Angebote für geflüchtete Menschen zu machen. Wir haben Tina Posselt nach Erfahrungen, Zielen und Hintergründen gefragt.

Frau Posselt, Sie haben die „Musiktherapie-Initiative e. V.“ mit gegründet. Bitte stellen Sie den Verein doch kurz vor.
Die Musiktherapie-Initiative e. V. wurde Ende 2013 in Hamburg gegründet und ist seither als gemeinnütziger Verein im Raum Hamburg und Berlin/Brandenburg aktiv. Bisher arbeiten wir ausschließlich ehrenamtlich mit und für geflüchtete Menschen, die nach Deutschland gekommen sind. Unser Angebot richtet sich primär an Minderjährige, dennoch ist die musiktherapeutische und psychotherapeutische Versorgungslücke so groß, dass auch alle anderen Altersgruppen willkommen sind.

In welcher beruflichen Situation wurde der Verein von den Beteiligten gegründet?
Zum Zeitpunkt der Vereinsgründung waren fünf von sieben Gründungsmitgliedern noch in den Studiengang Musiktherapie an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg eingeschrieben. Somit war es eigentlich eine studentische Initiative. Dennoch waren die Erfahrungen aus den vo­rangegangenen Berufswegen und den ersten musiktherapeutischen Praktika vielschichtig. Allen gemeinsam war jedoch, dass wir bis dahin mit der Zielgruppe „Flüchtlinge“ wenig bzw. gar keine Erfahrung besaßen und uns mit unserem Vorhaben auf ziemliches Neuland begaben.

Erzählen Sie bitte von den Rahmenbedingungen und der Konzeption Ihrer Arbeit mit geflüchteten Menschen.
Gute Rahmenbedingungen für die Arbeit mit geflüchteten Menschen zu schaffen, ist in der Regel sehr schwierig. Das beginnt oft schon mit der schlechten Erreichbarkeit der Einrichtungen. Viele Unterkünfte befinden sich am Stadtrand, weshalb der Weg schon eine Hürde sein kann. Vor Ort selbst fehlen dann häufig entsprechende Räumlichkeiten, sodass keine Möglichkeit für ein geschütztes therapeutisches Angebot besteht. In solchen Fällen bieten wir dann offene Singgruppen oder auch kleine Instrumentenbauworkshops an. Allerdings fehlen dann auch häufig Lagermöglichkeiten, sodass Instrumente und Material jeweils mitgebracht werden müssen. Zudem ist in den Einrichtungen meist die Fluktuation der Bewohner sehr hoch, sodass wir ausschließlich im Hier und Jetzt arbeiten. Ein weiteres Problem sind die Finanzen. Alle Vereinsmitglieder engagieren sich ausschließlich ehrenamtlich. Bisher konnten wir für ein Projekt Gelder einwerben, allerdings fehlt es immer an der Deckung der Honorarkosten.

Haben Sie überhaupt eigene Räumlichkeiten?
Die Musiktherapie-Initiative e. V. hat im Moment noch keine eigenen Räume. Wir arbeiten vielmehr aufsuchend und gehen direkt in die Einrichtungen. Vor Ort ist der Kontakt zu den Bewohnern leichter herzustellen, zudem besteht auch immer ein guter Kontakt zur Einrichtungsleitung bzw. der jeweiligen leitenden Organisation.
Auf lange Sicht wünschen wir uns einen kleinen Therapieraum – das ist allerdings noch Zukunftsmusik.

Nach welchem Konzept arbeiten Sie? Was hilft in Ihrer Therapie?
Unsere musiktherapeutische Arbeit basiert auf einer psychodynamischen Grundhaltung, bei der die Beziehung zwischen Klient und Therapeut im Vordergrund steht. Somit sehen wir Musiktherapie als Beziehungsarbeit. Unsere Arbeitsweise für Menschen mit traumatischem Hintergrund aus Flucht- und Kriegserfahrungen ist ressourcenorientiert und strukturfördernd. Dabei steht die Stabilisierung des Gesamtzustandes primär im Vordergrund.
Besonders kulturell und sprachlich entwurzelte Menschen können von einer musiktherapeutischen Begleitung profitieren, da Musik es ermöglicht, eine Brücke zu den eigenen Wurzeln und Heimatgefühlen zu schlagen, die im aktuellen Erleben in der Fremde verschüttet sind. In unserer musiktherapeutischen Arbeit stehen deswegen die Suche nach den persönlichen Ressourcen, die Herstellung von Sicherheit und die Stärkung des Selbstempfindens im Vordergrund. Wir nutzen die Musik als Stütze und Anker und im Sinne ihrer strukturierenden Funktion. Trotz verbaler Sprachbarrieren sind uns in der Musiktherapie durch das gemeinsame Singen und Improvisieren keine, außer eventuell kulturelle, Grenzen gesetzt. Für viele Teilnehmer ist allein die Möglichkeit, sich nach langer Zeit wieder auf eine vertraute Weise Ausdruck zu verschaffen, eine wirkliche Bereicherung.
Wir passen unsere Herangehensweise allerdings der Art der Einrichtung an. In zentralen Erstaufnahmen werden ausschließlich offene Angebote gemacht, wobei der therapeutische Aspekt nur sekundär zum Tragen kommt. In diesen Einrichtungen geht es vielmehr um ein allgemeines Miteinander und um das Anknüpfen an Vertrautes.
In Folgeunterbringungen steht die Therapie deutlich mehr im Fokus. Hier schauen wir gemeinsam mit der Einrichtung, welche Personen therapiebedürftig sind, und bemühen uns um ein festes Setting. Die Musiktherapie findet dann in einem kleinen Gruppensetting statt, wobei die Musiktherapie in Form von Patenschaften für die jeweiligen Personen finanziell unterstützt werden sollen.

Mit welchen Anliegen, Leiden oder Krankheiten können sich Menschen an Sie wenden?
In der Regel ist es noch so, dass wir auf die Menschen zugehen und ein offenes Angebot in der Einrichtung starten. Diejenigen, die sich angesprochen fühlen oder neugierig sind, kommen dann dazu. Es gibt für diese offenen Angebote keine Indikation.
In den Folgeunterkünften schauen wir dann mit den Sozialarbeitern bzw. den jeweils Zuständigen, welche Personen eine therapeutische Begleitung benötigen. Dabei sind Anzeichen für eine posttraumatische Belastungsstörung, aggressives oder depressives Verhalten erste wichtige Indikatoren für uns.

Wie klingt die Musik, die Sie mit Patientinnen machen oder die Sie ihnen vorspielen?
Die Musik, die wir gemeinsam machen, ist sehr dynamisch, zum Teil gewaltig im Ausdruck und oft sehr berührend. Nicht selten mischen sich die verschiedensten kulturellen Klänge miteinander. Unter den Trommelschlag aus Eritrea mischt sich der Gesang eines Romamädchens, das sich mit dem Schellenkranz in der Hand tanzend durch den Raum bewegt. Ein Vater sitzt mit seinem Sohn eben noch am Eingang des Zelts und wird im nächsten Moment von dem Sog der Musik zum Klatschen in die Menge geholt. Bevor das nächste Lied erklingt, hören wir das Solo eines jungen Mannes aus Afghanistan, dem wir eine Trompete organisieren konnten. Nach gebanntem Staunen und viel Applaus stimmt sich die Runde wieder auf einen Rhythmus ein, und ein Lied in kurdischer Sprache wird mit viel Gefühl vorgetragen, während die restlichen Teilnehmer den Background ausgestalten. So entstehen immer neue Klangteppiche, in die die vielfältigsten kulturellen Anteile mit einfließen. Kleine Anfangs- und Endrituale runden jede Begegnung ab.

Schildern Sie doch mal eine typische Situation aus Ihrer Arbeit.
Eine sehr typische Situation, die uns in verschiedenen Kontexten begegnete, wäre folgende: Zwei Musiktherapeutinnen sind gerade in einer Einrichtung und gestalten ein offenes Angebot, wobei hauptsächlich gesungen und auf kleinen Instrumenten musiziert wird. Die Runde wird immer größer, Väter bringen ihre Kinder mit, und die beiden Gruppenleiterinnen versuchen die Atmosphäre trotz des vielen Kommens und Gehens positiv zu gestalten, sodass der musikalische Strom nicht abreißt. Doch dann kommt ein Mann auf das Gelände, der einen Fußball bei sich trägt. Innerhalb von 30 Sekunden ist das Zelt, bis auf drei kleine Mädchen, leer. Die musikalische Spannung fällt jäh in sich zusammen und wird auf das leise Rasseln der Mädchen reduziert. Die Musiktherapeutinnen setzen sich zu ihnen und begleiten das Spiel, bis schließlich nach mehreren Minuten das erste Kind vom Fußballspielen zurückkommt und die Runde nach und nach wieder wächst.

Das klingt schwierig, aber auch irgendwie bewegend…
Eine Situation, wie oben beschrieben, vereint mehrere Aspekte: Sie ist schwierig, weil der Mann so unvorhersehbar auf das Gelände kam und den Therapeutinnen die Arbeitsgrundlage fast völlig nahm. An dieser Stelle waren Flexibilität, Kreativität und Gelassenheit der Therapeutinnen sehr gefordert.
Lustig war es insofern, als deutlich wurde, welche Magnetwirkung ein Fußball auf unsere Gruppe hatte und wie schnell sich ein halbwegs sicher geglaubtes Setting verändern konnte. Und glücklich war letztendlich, dass die Therapeutinnen diesen rapiden Abbruch mit den drei Mädchen überbrückten und so zum Ende hin noch einmal etwas Neues entstehen konnte.

Welche Idee im Bereich der Musiktherapie würden Sie gerne verwirklichen, wenn Sie ausreichend Zeit und Mittel hätten?
Wenn ausreichend Zeit und finanzielle Mittel zur Verfügung stünden, würden wir gerne eine kleine Evaluation unserer Arbeit machen und uns intensiver mit den kulturellen Unterschieden in der Musik und dem gemeinsamen Musizieren auseinandersetzen.

 

Bei Fragen und Interesse an der aktiven Mitarbeit im Verein wenden Sie sich bitte per E-Mail (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!) an uns oder besuchen unsere Webseite unter www.musiktherapie-initiative.de.