Musiktherapeutischer Klinikspaziergang

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Asklepios Westklinikum Hamburg

Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

Von Constanze Eigenwald Anna-Lena Fiedler

Vorstellung der Institution
Das Westklinikum Hamburg liegt in Rissen, dem westlichsten Stadtteil Hamburgs, der an Schleswig-Holstein grenzt. Rissen, das zu den Elbvororten gerechnet wird, war ursprünglich ein beschauliches Elbdorf. Man merkt dem Ort durchaus noch seine ländlichen Wurzeln an. Es bietet mit dem Falkensteiner Forst, dem Wildgehege am Klövensteen, dem Naturschutzgebiet Wittenberger Heide und den wildromantischen Elbwiesen an der Unterelbe viele Naherholungsgebiete.
Das Klinikum wird seit dem Jahr 1946 in der ehemaligen Luftwaffenkaserne Rissen betrieben. Bis 2001 war es als Deutsches-Rotes-Kreuz- und Freimaurer-Krankenhaus Hamburg-Rissen bekannt und gehört seit 2001 zum Unternehmensverbund der Asklepios-Kliniken.
Aufgrund seiner seit 2008 bestehenden Zusammenarbeit mit der Kieler Christian-Albrechts-Universität gehört es zu den akademischen Lehrkrankenhäusern und ist Schwerpunktversorger mit Abteilungen wie Chirurgie, Innere Medizin, sprechende Medizin (Psychosomatik und Psychiatrie) und Geriatrie.
In dem Klinikum mit insgesamt 440 Betten arbeiten ca. 750 Mitarbeiter.
Die psychosomatische Abteilung besteht seit 25 Jahren und ist sowohl auf stationäre (mit 85 Betten) als auch auf tagesklinische (40 Plätze) sowie ambulante Behandlung spezialisiert. Auf mehreren Stationen konzentriert sich die Behandlung auf unterschiedliche Schwerpunkte. So gibt es die Station und Tagesklinik für Essstörungen, eine Station für Jungerwachsene, eine Kriseninterventionsstation und eine Station für Schmerz-, Alter- und Depressionsschwerpunkte. Die Therapien in der Abteilung greifen auf ein breites Methodenspektrum zurück: tiefenpsychologische sowie kognitiv-verhaltenstherapeutische Einzel- und Gruppentherapien, Musik- und Kunsttherapien, Körpertherapien, Sozialberatung, Feldenkrais, Shiatsu, verschiedene Achtsamkeits- und Entspannungsverfahren sowie physikalische Therapien und Krankengymnastik. Außerdem kommen medikamentöse und medizinisch-somatische Behandlungen zur Anwendung.
Musiktherapie ist auf zwei Stationen verankert, in denen hauptsächlich Depressionen, Erschöpfungssyndrome, Panikstörungen und weitere Angsterkrankungen behandelt werden. Somatoforme Beschwerden und funktionelle Störungen, Traumafolgestörungen, chronische Schmerzerkrankungen, Störungen der Krankheitsverarbeitung und Alterskrisen ergänzen das Spektrum. Die Behandlungsdauer auf beiden Stationen beträgt 4–8 Wochen.

Behandlungsstruktur am Beispiel der Kriseninterventionsstation
Die Kriseninterventionsstation umfasst 28 Betten. Der Schwerpunkt der Behandlung liegt auf der Gruppenpsychotherapie. Die Patienten werden je nach Erkrankungsbild und Indikation einem von drei Kreativtherapieverfahren zugeteilt, welche die höchste Behandlerfrequenz darstellt. Sie erhalten wöchentlich vier Sitzungen (à 90 Minuten) Gruppenmusiktherapie, Tanz- und Bewegungstherapie oder Kunsttherapie. Zusätzlich zum Kreativverfahren erhalten die Patienten zwei Mal Gruppenpsychotherapie und zwei kürzere Einzeltherapie-Sitzungen. Eine engmaschige Betreuung durch Visiten begleitet die Behandlung. Zusätzlich können je nach Indikation Feldenkrais, Shiatsu, Funktionsgymnastik, Krankengymnastik, Nordic Walking und Psychoedukation verordnet werden. Umrahmt wird die therapeutische Behandlung von Morgen- und Abendangeboten, welche von den Patienten stationsübergreifend wahrgenommen werden. Es besteht die Möglichkeit am Chor, der Meditation, Yoga sowie an Angeboten wie „Am Morgen vorgelesen“ und „Bewegung am Abend“ teilzunehmen. Ein hoch qualifiziertes Pflegepersonal steht den Patienten durchgehend zur Verfügung.

Aufnahme zur Gruppenmusiktherapie
Der Patient wird zunächst vom Pflegepersonal mit der Station vertraut gemacht. Nach der psychologisch-diagnostischen Aufnahme und eingehender ärztlicher Untersuchung wird die umfassende Anamnese des Patienten im multiprofessionellen Team vorgestellt. Ein Behandlungsfokus wird entwickelt und das kreativtherapeutische Verfahren bestimmt. Im Verlauf der Behandlung wird täglich die Entwicklung des zu behandelnden Patienten durch Teamsitzungen der Behandler begleitet.
Wird eine interaktionell psychodynamische Gruppenmusiktherapie festgelegt, wird ein Vorgespräch vereinbart, in welchem nach musiktherapeutischer Anamnese ein therapeutisches Arbeitsbündnis erarbeitet wird.

Grundlagen der psychodynamischen Arbeitsweise in der Musiktherapie
In der interaktionell psychodynamischen Gruppenmusiktherapie wird sich der Patient zunächst im Gruppengespräch wiederfinden. Das sich entwickelnde Gruppenthema wird im Verlauf der Sitzung in die freie Improvisation mit Musikinstrumenten „übersetzt“ und findet hier seine nonverbale Ausdrucksform. Besondere Berücksichtigung finden dabei die sich herausbildenden Erlebnis-, Einstellungs- und Verhaltensmuster, unbewusste (Re-)Inszenierungen, aber auch psychovegetative und physiologische Reaktionen.
Der Therapeut gestaltet die musikalische Handlung aktiv mit. Wie in den verbalen Interventionen wird der Patient hier nonverbal über stützende, konfrontierende, spiegelnde Improvisationstechniken begleitet. Eine musikalische bzw. instrumentale Vorbildung des Patienten ist nicht nötig, da die musiktherapeutische Improvisation keinerlei Ansprüche an Fähigkeiten oder Virtuosität stellt.
Der nonverbale Charakter der Musik eröffnet den Zugang zu menschlichen Erfahrungsqualitäten, die vor der Zeit des Spracherwerbs liegen. So gelangt der Patient zu tiefem archetypischen Material, zu welchem er in ausschließlich verbalen analytischen Therapien nur selten gelangt. Er hat so die Möglichkeit, frühkindlich verdrängten Konflikten ungefiltert im musikalischen Kontakt/Beziehung zu begegnen. Das Konfliktpotenzial wird in der Improvisation „ungefährlich“ (Instrument als Übergangsobjekt) ausagiert und reflektierbar. Alte Emotionen werden mobilisiert, vergangene Erfahrungen intensiviert und vertieft und psychische Abwehrmechanismen werden gemildert. Im folgenden Gruppengespräch wird die Bewusstwerdung unbewusster Motivationen und Konflikte bearbeitbar.
Wenn man dem topographischen Modell Freuds folgt, in welchem vom seelischen Geschehen zwischen (unbewussten) Primärprozessen und Sekundärprozessen (bewusste Prozesse) ausgegangen wird, stellt man fest, dass Musik einzigartig mit der psychischen Energie korrespondiert.

Abschließend
Die intensiven Erfahrungen in der interaktionell psychodynamischen Musiktherapie werden durch die Gruppenpsychotherapie und die einzelpsychotherapeutischen Gespräche stützend begleitet.
Im Verlauf der Behandlung wird mit dem Patienten eine individuelle poststationäre Weiterbehandlung besprochen. Es besteht die Möglichkeit, nach der Entlassung auf der Station an einer poststationären Gruppenpsychotherapie oder Gruppenmusiktherapie teilzunehmen.

Die Autorinnen:

C. Eigenwald
Diplom-Musiktherapeutin, Studium an der FH Magdeburg-Stendal, Mitglied im Arbeitskreis „Musiktherapie in der Psychosomatik“ (DmtG). Seit 2006 im Bereich der Psychosomatik tätig, seit 2011 tätig in der Psychosomatik Rissen.

A.-L. Fiedler
Dipl. Musiktherapeutin DmtG, Psychotherapie HPG, Gruppenpsychotherapie, Musiktherapeutische Schmerztherapeutin.