Schwerpunktthema

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Zum Umgang mit dem Körper in der Psychotherapie

Von Hans Ulrich Schmidt

Einführung
Auch wenn dieser Beitrag nicht explizit musiktherapeutisches Denken und Handeln berührt, erscheint das Thema für alle Therapieformen wichtig, die a) ohnehin körperorientiert arbeiten, b) dabei zu Anteilen oder wesentlich verbal vorgehen und sich c) auf die Theorie psychodynamischer Behandlungskonzepte beziehen. Alle Gesichtspunkte können sich innerhalb eines musiktherapeutischen Behandlungsprozesses wiederfinden.
In verbalen Therapieverfahren, aber auch in solchen, die künstlerisch arbeiten, geschieht emotionale Anteilnahme – etwa als supportiv ausgerichtete Interventionsform – in aller Regel verbal. Der Therapeut teilt beispielsweise mit, dass er sich des inneren Zustandes eines Patienten bewusst ist, mitfühlen kann usw. Unseren Patienten wird – oft implizit – abverlangt, Impulse körperlicher Zuwendung zum Therapeuten im Rahmen des Übertragungsgeschehens zu sublimieren und gemeinsam zu interpretieren. Ein solcher Vorgang mag im Rahmen menschlichen Beziehungserlebens zuweilen ein wenig künstlich anmuten. Die Tatsache übrigens, dass nicht selten auch primär psychodynamisch orientierte Psychotherapeuten körperorientierte Methoden mit einbeziehen, mag auch diesem Umstand geschuldet sein. In retro­spektiven Gesprächen mit Patienten wird manchmal geäußert, dass kleine Zuwendungsgesten, verbal, aber eben auch körperlich, für Erleben und Halt der therapeutischen Beziehung und auch die Ich-Stärkung hilfreich gewesen wären. Dabei handelt es sich hier keinesfalls nur um „frühgestörte“ und traumatisierte Patienten, sondern auch um solche, die durchaus symbolisierungs- und verbalisierungsfähig sind.
Die Beobachtung ist, dass auch bei noch so gutem Verständnis für Setting-Regeln, die – lege artis – vor Aufnahme einer Behandlung besprochen und deren Sinn und Hintergrund nicht selten im Vorfeld erörtert werden, überdeterminierte Situationen auftreten können, in denen völlige Ausklammerung körperlicher Zuwendung zu beträchtlicher Irritation eines Patienten führen kann. Er wird uns möglicherweise nicht von diesem Zuwendungswunsch berichten, vielleicht aus Scham, vielleicht, weil er sich als gefügiger, kooperativer Patient verhalten möchte, der das Setting respektiert. Möglicherweise kann er sogar aktuell oder retrospektiv von seinem Wunsch berichten. Wir werden ihn dann vielleicht spüren lassen, dass wir es schätzen, dass er seine Wünsche zurückstellen und/oder sprachlich ausdrücken kann. Die Tatsache, dass er auf direkte Bedürfnisbefriedigung verzichten konnte, „verbuchen“ wir als Merkmal der Reife seiner Persönlichkeitsstruktur oder seiner Abwehrmechanismen.
Eine interessante Frage ist, ob psychodynamisch oder auch behavioristisch orientierte Psychotherapeuten eine therapeutische Intervention als konflikthaft erleben, die etwa starker Traurigkeit eines Patienten in der Weise begegnet, dass sie einen spontanen therapeutischen Gegenübertragungsimpuls unterdrückt und in eine sublimierte verbale Reaktion umwandelt. Das kann z. B. der Wunsch sein, die Hand tröstend auf den rechten Unterarm des Patienten zu legen, denn „der Behandlungsvertrag gibt das sublimatorische Ziel vor. Die Selbsterfahrung macht mit den eigenen vorsublimatorischen Ursprüngen und den misslungenen und geglückten Sublimierungsversuchen vertraut und erlaubt dadurch sowohl die Perspektive auf das Sublimierungspotenzial des Patienten als auch deren Risiken des Missglückens“ (Speidel 2013, S. 62).
Der Umgang mit dem Körper im Sinne einer Ausklammerung jeglicher Form körperlicher Zuwendung von therapeutischer Seite mit z. B. haltend-tröstender Intention, aber auch bezogen auf einen Raum, der dem Körpererleben des Patienten mit entsprechenden Ängsten etc. von therapeutischer Seite in den primär verbal angelegten Psychotherapieverfahren (also vor allem den drei Richtlinienverfahren tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, analytische Psychotherapie sowie Verhaltenstherapie) zur Verfügung gestellt werden könnte, ist Gegenstand kritischer Diskussionen. Im Unterschied zu solchen psychotherapeutischen Methoden, die – meist in Kombination mit verbaler Vertiefung – entweder explizit auf den Körper fokussieren (körperorientierte Methoden wie Progressive Muskelrelaxation, Feldenkrais) oder diesen zumindest mit einbeziehen (Künstlerische Methoden wie Musik-, Tanz- oder Kunsttherapie), bleibt er in den verbalen Verfahren ausgeklammert. Beim Umgang mit diesem Thema finden sich oftmals polarisierende Positionen, die entweder den sexuell konnotierten Missbrauch der therapeutischen Beziehung als mögliche Folge fürchten oder eine therapeutische Position vertreten, die einer Ausklammerung jeglicher körperlicher Zuwendung zwingend bedarf. „Grautöne“ gibt es in dieser Diskussion kaum.
Wenn – vereinzelt – die stärkere Berücksichtigung von Körper/Körpererleben eingefordert wird, stehen oft stationäre Behandlungskonzepte im Fokus. „Trotz des nachgewiesenen negativen Körperkonzeptes psychisch Kranker gibt es bisher nur wenige Arbeiten, die den Effekt von stationärer Psychotherapie auf das Körper­erleben untersuchen. Lediglich bezogen auf Essstörungen wurde eine Verbesserung des Körperkonzeptes und -bildes durch stationäre Psychotherapie gezeigt“ (Stumpf et al. 2011, S. 173). Bei 153 stationären Patienten (Essstörungen, Depressionen, somatoforme Störungen) profitierten depressive und essgestörte Patienten mit Effektstärken von -0.4 bis -0.7 bzw. -0.3 bis -0.7 mehr als Patienten mit somatoformen Störungen (-0.2 bis -0.4) (s. ebd., S. 172f.) im Sinne einer Verbesserung ihrer Körperkonzepte. Bereits in solchen Zusammenhängen wird eine Unterrepräsentation körperfokussierter Betrachtungen deutlich. Für die ambulante Psychotherapie finden sich in diesem Zusammenhang kaum Studien, die auf Veränderungen des Körper­erlebens fokussieren. In Literatur und Diskussion noch weniger repräsentiert erscheint die Handhabung von Körperlichkeit innerhalb der Therapeut-Patient-Beziehung.
In einer aktuellen, zusammenfassenden Übersicht stellen Gumz et al. (2014) gängige verbale Interventionstypen in psychodynamischen Settings zusammen. In ihrer Beschreibung von 37 – inhaltlich orientierten – verbalen Interventionskategorien sind „weitere bedeutsame Merkmale wie therapeutische Haltungen, Einstellungen, inhaltliche Stimmigkeit einer Intervention, Vermitteln von Empathie oder andere nonverbale Aspekte… nicht berücksichtigt“ (S. 235). Interessant erscheint, dass die Autorinnen bereits auf Bereiche verweisen, die jenseits expliziter sprachlicher Bedeutungen angesiedelt sind. Das „Vermitteln von Empathie“ als zentraler Bestandteil psychotherapeutischer Haltung/Beziehungsgestaltung erscheint allein im Zuge der Analyse verbalen Intervenierens nicht ausreichend erfassbar. „Wir wissen, dass die nonverbale therapeutische Kommunikation äußerst bedeutsam und mit verbalen Informationen und prosodischen Merkmalen eng verflochten ist. Nichtsdestotrotz ist vor allem die Sprache das Werkzeug des Therapeuten. Zumindest bewusst interveniert er primär verbal, und die verbalen Äußerungen machen einen bedeutsamen Teil der Aktivitäten und Geschehnisse in den Sitzungen aus“ (ebd., S. 222).
Gleichzeitig erscheinen vermehrt Beiträge, die auf den Missbrauch der Therapeut-Patient-Beziehung, insbesondere den sexuellen, fokussieren. Es sei „zu begrüßen, dass Risiken und speziell auch Missbrauch in Therapien in den letzten Jahren auch im deutschen Sprachraum mehr Beachtung…finden“ (Franke et al., S. 199–200).
In Forschung und Diskussion findet sich also sowohl die Forderung nach strikter körperlicher Zurückhaltung (auch aus therapeutisch-methodischen Gründen) als auch die Warnung vor dem „Produkt“ Missbrauch bei Nicht-Einhaltung. Eine differenzierte Betrachtungsweise und Diskussion fehlt meist. Es ist denkbar, dass bereits in der Geschichte der Psychoanalyse eine Wurzel für diese Anschauungen liegt, unter anderem in unterschiedlichen Positionen, später im Konflikt zwischen Jung und Freud um den Umgang mit Nähe zu psychoanalytisch behandelten Patientinnen. „Im Umgang mit Patienten konnte Jung unverblümt direkt sein. Als eine junge Frau es einmal satt hatte, über ihre unerwiderte sexuelle Übertragung zu reden, und ihm vorschlug, sie sollten sich lieber gemeinsam auf die Couch legen, erwiderte Jung trocken: „Ja, das könnten wir – aber dann müssten wir wieder aufstehen“ (Kerr, S. 13).
Der vorliegende Beitrag hat nicht die Intention, einen Überblick über diejenigen, nicht in geringer Zahl vorhandenen psychotherapeutischen Zugangsformen zu geben, die z. T. primär auf den Körper fokussieren (PMR, Feldenkrais etc.) oder diesen zumindest immer wieder – explizit und implizit – zum Thema machen (Musik-, Tanz-, Kunsttherapie, Psychodrama). Eine gute überblickende Diskussion zur Einbeziehung des Körpers im Sinne einer „leibfundierten analytischen Psychotherapie“, also der Versuch einer Integration des Körperlichen in die primär verbal angelegt „Psychotherapiewelt“, findet sich u. a. bei Heisterkamp (1993). Es geht dem Verfasser darum, den Umgang mit dem Körper und mit der Körperlichkeit für diejenigen Verfahren zu reflektieren, die als verbal ausgerichtete Psychotherapieverfahren schon deshalb einem Großteil unserer ambulanten Psychotherapiepatienten zugute kommen, weil sie als einzige von den Krankenkassen erstattet werden.

Historische Aspekte
„Während Freud – wohl mit Rücksicht auf das damalige Wissenschaftsverständnis – noch eine naturwissenschaftliche Psychologie entwarf,… hebt Jung ausdrücklich die psychosomatische Einheit des Organismus hervor…“ (Heisterkamp 1993, S. 9). Das macht für Carl Gustav Jung a priori die stärkere Einbeziehung des Körpers/körperlicher Vorgänge unabdingbar.
Ein anderer wichtiger Vertreter der unmittelbaren Integration des Körperlichen in theoretische Anschauung und psychotherapeutische Behandlung war Wilhelm Reich, nach Heisterkamp der „eigentliche Begründer der Körpertherapie“ (ebd., S. 15). „Die analytische Psychotherapie hat bisher nur beachtet, was die Kinder unterdrücken und von welchen Anlässen getrieben sie ihre Affekte zu beherrschen lernen. Die Art, in der Kinder gegen Affektregungen anzukämpfen pflegen, blieb unbeachtet. Gerade der physiologische Vorgang der Verdrängung verdient unsere schärfste Aufmerksamkeit. Es überrascht immer wieder, wie die Lösung einer muskulären Verkrampfung nicht nur vegetative Energie entbindet, sondern darüber hinaus diejenige Situation in der Erinnerung reproduziert, in der die Triebunterdrückung sich durchgesetzt hatte“ (Reich 1972, S. 226).
In der Geschichte der Psychoanalyse begründet sich anfangs erwähnte Anschauung bezüglich der Einbeziehung von Körperlichkeit v. a. auf Seiten des Behandlers möglicherweise durch zunehmende, zuletzt nicht mehr überbrückbare Konflikte zwischen Jung und Freud, die – neben Jungs von Freud nicht geteilten Vorlieben für Spirituelles und Okkultistisches – vor allem auf die persönliche Haltung Jungs zu mehreren seiner Patientinnen beruhten. Dieser pflegte zu Patientinnen und Patienten pädagogische, Arbeits-, z. T. freundschaftliche Beziehungen. In mindestens zwei Fällen waren diese sexueller Natur. Jungs berühmteste Patientin, Sabina Spielrein, die später selbst als Analytikerin tätig war, unterhielt zur Zeit ihrer Analyse bei Jung jahrelang eine sexuelle Beziehung zu ihm. In einem Brief vom 10. Oktober 1907 wandte sich Jung in einer solchen Frage an Freud: „In einer anderen Sache möchte ich Sie um Ihren erfahrenen Rat fragen. Eine Dame, von Zwangsneurose geheilt, nimmt mich zum Gegenstand ihrer eingestandenen übermäßigen Sexualphantasien, von denen sie ernstlich belästigt ist. Sie erkennt meine Rolle in ihren Phantasien als krankhaft an, möchte sich deshalb von mir lossagen und die Phantasien verdrängen. Was ist da zu tun? Soll man die Behandlung fortsetzen, die der Patientin eingestandenermaßen eine wollüstige Freude bereitet, oder soll man sie abstoßen? Der Fall ist Ihnen jedenfalls bis zum Überdruss geläufig; was tun Sie in solchen Fällen?“ (Briefwechsel Jung/Freud, 10.10.1907, zit. nach Kerr, S. 274). Freuds Antwortschreiben ist nicht erhalten.
Ganz anders liest sich Freud – in seinen Schriften zur Behandlungstechnik merkt er an: „Ich kann den Kollegen nicht dringend genug empfehlen, sich während der psychoanalytischen Behandlung den Chirurgen zum Vorbild zu nehmen, der alle seine Affekte und selbst sein menschliches Mitleid beiseite drängt und seinen geistigen Kräften ein einziges Ziel setzt: die Operation so kunstgerecht als möglich zu vollziehen… Die Rechtfertigung dieser vom Analytiker zu fordernden Gefühlskälte liegt darin, dass sie für beide Teile die vorteilhaftesten Bedingungen schafft, für den Arzt die wünschenswerte Schonung seines eigenen Affektlebens, für den Kranken das größte Ausmaß von Hilfeleistung, das uns heute möglich ist“ (Freud 1912, Studienausgabe 1982, S. 175). „Der Arzt soll undurchsichtig für den Analysierten sein und wie eine Spiegelplatte nichts anderes zeigen, als was ihm gezeigt wird“ (ebd., S. 178). An anderer Stelle erwähnt er einen weiteren Aspekt, der auf Trost ausgerichtetes Intervenieren – insbesondere körperlich – per se verbieten würde: „Sie erinnern sich daran, dass es eine Versagung war, die den Patienten krank gemacht hat, dass seine Symptome ihm den Dienst von Ersatzbefriedigungen leisten. Sie können während der Kur beobachten, dass jede Besserung seines Leidenszustandes das Tempo der Herstellung verzögert und die Triebkraft verringert, die zur Heilung drängt. Auf diese Triebkraft können wir aber nicht verzichten; eine Verringerung derselben ist für unsere Heilungsabsicht gefährlich. Welche Folgerung drängt sich uns also unabweisbar auf? Wir müssen, so grausam es klingt, dafür sorgen, dass das Leiden des Kranken in irgendeinem wirksamen Maße kein vorzeitiges Ende finde“ (Freud 1919, Studienausgabe 1982, S. 244-245). Ein gewisses Quantum an Frustration erscheint Freud also notwendig, um den Selbstreflexionsprozess aufrecht zu erhalten. Freud fährt fort: „Die Aktivität des Arztes muss sich … als energisches Einschreiten gegen die voreiligen Ersatzbefriedigungen äußern. Leichter wird ihm aber die Verwahrung gegen die zweite, nicht zu unterschätzende Gefahr, von der die Triebkraft der Analyse bedroht wird. Der Kranke sucht vor allem die Ersatzbefriedigung in der Kur selbst im Übertragungsverhältnis zum Arzt und kann sogar danach streben, sich auf diesem Wege für allen ihm sonst auferlegten Verzicht zu entschädigen. Einiges muss man ihm ja wohl gewähren, mehr oder weniger, je nach der Natur des Falles und der Eigenart des Kranken. Aber es ist nicht gut, wenn es zuviel wird“ (ebd., S. 245–246).

Zum Umgang mit dem Körper in der verbalen Psychotherapie – Positionen
Gerade Patienten mit sogenannten frühen Störungen erleben die Ausklammerung des Körperlichen als unverständlich, unbefriedigend, manchmal kränkend. Insbesondere für sie können dosierte Körperberührung, aber auch ausreichender und wohlwollender Raum für die Darstellungsmöglichkeit und wohlwollende Kommunikation körperbezogener Fragen, Ängste etc. elementare beziehungsstiftende Funktion einnehmen. „Die Frage, wieweit man, besonders zu Beginn mit einer … offen-direkten Zuwendungsbereitschaft gehen kann, ist im Einzelfall sehr schwierig zu beantworten und stellt ein Geflecht aus Patient-Umfeld-Bedürfnis und therapeutischer Reserve dar. Betont sei nochmals, dass die aktivere Einstellung nicht zu einer dauernden Therapeutenhaltung werden darf, sondern in späteren Therapiephasen zurückgenommen werden muss. Nach unserer Erfahrung ist die Angst, dies sei später schwierig oder unmöglich, unberechtigt“ (v. Rad u. Sellschopp-Rüpell, 1987, S. 8–9).
Büntig (1992) merkt an: „Das Ausmaß der möglichen Entfaltung des Patienten in der Psychotherapie ist begrenzt durch die Identifikation des Therapeuten mit seiner eigenen leib-seelischen Fixierung. Diese … beschränkt das Spektrum seiner Handlungsfähigkeit. Ein Therapeut, der sich stets selbst hält wegen der Gewohnheit, sich zusammenzunehmen oder gar zusammenzureißen, und der damit verbundenen Angst, seine Grenzen zu verlieren, sich aufzulösen…, wird die Umarmung durch einen anderen Menschen meiden und damit die Entwicklungsmöglichkeiten seines Patienten erheblich beschränken. Sein Patient wird nicht im Traum daran denken, sich in irgendeiner Weise auf eine Regression einzulassen, in der Gehaltenwerden angesagt wäre… In einer solchen Beziehung würde vielleicht über Aggression und Lust phantasiert werden können, aber stets auf der Ebene der Beziehung von Hirn zu Hirn stattfinden und aus der Ebene vor Herz zu Herz und Mensch zu Mensch ausgesperrt bleiben…“ (S. 174–175). Büntig ermutigt also uns Therapeuten, uns mutig mit denjenigen Grenzen unserer therapeutischen Identität und unserer therapeutischen Erlebens- und Verhaltensmuster, die uns blockieren könnten, auseinanderzusetzen und diese immer wieder in Frage zu stellen.
Thomä (1992) führt dazu aus: „Wurde … ein Patient jahrelang schwer frustriert, halte ich es für denkbar, dass Berührungen Wunder wirken können“ (S. 130). Er schränkt dann ein: „Was immer die Heilwirkung von Berührungen ausmachen mag, so sind das Erleben und die Entstehung von Mängeln und Defekten des körperlich verankerten Selbstgefühls eine recht komplexe Angelegenheit“ (Thomä 1992, S. 130). Wenn Thomä von einer „recht komplexen Angelegenheit“ im Bezug auf die Entstehung von Mängeln und Defekten des Selbstgefühls schreibt und dies nicht weiter kommentiert, scheint es, als ob er vor allem auf eine aus seiner Sicht wahrscheinlich fehlende nachhaltige innerliche Verankerung im Sinne von fehlenden nachhaltigen Integrationsmöglichkeiten obiger „Wunder“ hindeuten möchte.
Mit einer auf Müdigkeitsreaktionen als Abwehr fokussierenden therapeutischen Position beschäftigt sich Zwiebel (2010): „Müdigkeitsreaktionen und Schlafimpulse in der analytischen Situation sind wahrscheinlich relativ häufig und beruhen primär auf latenten Impulsen des Analytikers, die auch unabhängig vom Patienten existieren. Sie sind Ausdruck einer mehr oder weniger starken unbewussten Tendenz, die analytisch-therapeutische Position aufzugeben und eine andere Beziehungsform mit dem Patienten zu realisieren“ (ebd., S. 12).
Obige Auslassungen fokussieren auf die Beachtung des möglichen Wunsches unserer Patienten nach einer gewissen körperlichen Zuwendung (in streng determinierten Situationen) – gleichzeitig bezeichnen sie mögliche Haltungen, die zumindest die Auffassung nahelegen, dass es wichtig sein könnte, mehr wohl dosierte und gezielt platzierte Körperlichkeit von Seiten des Therapeuten, stets mit dem Ziel eines psychotherapeutischen Gewinns für den Patienten verbunden, in eine therapeutische Grundhaltung zu integrieren. Meist setzen sich weitere Überlegungen zu solchen Haltungen jedoch dergestalt fort, dass explizit körperpsychotherapeutische Konzepte für deren Umsetzung angeführt werden. Eine mögliche – natürlich vorsichtige – Integration auch in verbale Ansätze wird konsequent ausgeblendet oder vermieden, wahrscheinlich in aller Regel nicht gedacht.
Zunächst seien hier deshalb zwei konzeptuelle Aspekte genannt, die das Ausblenden oder Nicht-Denken einer solchen Integration durchaus nachvollziehbar begründen: Die meist geforderte Notwendigkeit der Psychologisierung (bzw. Sublimierung) jeglicher Beziehungswünsche und das Problem des Machtgefälles innerhalb der Patient-Therapeut-Beziehung. Meist fußen die Warnungen vor möglicher Sexualisierung der psychotherapeutischen Beziehung auf dem zweiten Aspekt.
Speidel (2013) stellt „die professionelle Verpflichtung (des Therapeuten) dem infantilen Anspruch (des Patienten)“ (S. 61) gegenüber. „Dieser Anspruch ist ein spezifisches Risiko des Psychotherapeuten, wie sich an den nicht seltenen Fällen sexueller und anderer missbräuchlicher Beziehungen zwischen Patienten und Psychotherapeuten erweist, den professionstypischen Missverständnissen im Hinblick auf das vom Patienten erhoffte ungeteilte Angenommensein. Das darin manifestierte Scheitern des psychotherapeutischen Projektes validiert die Bedeutsamkeit der Sublimierung“ (ebd.). „In der Tat gibt es einen Konsens unter den Vertretern der als seriös geltenden Psychotherapie-Richtungen im Hinblick auf erforderliche Zielhemmungen, d. h. Sublimierungen in Psychotherapien. Sublimierung erscheint damit in Bezug auf die Tätigkeit des Psychotherapeuten ein … unentbehrlicher Begriff. Das Abstinenzangebot …gilt in allen nichtpervertierten Psychotherapien; der Vollzug wäre ein Verrat am Therapievertrag, dessen Inhalt das Ziel der Autonomie und damit die Unabhängigkeit vom Therapeuten, d. h. aber auch der Zuwachs an Sublimierungsfähigkeit sein muss… Abstinenzregel, Übertragungs-Gegenübertragungs-Konzept und eine elaborierte Theorie schützen ihn [den Therapeuten, der Verf.] vor dem gemeinsamen Verfall an eine unsublimierte Beziehungsform“ (ebd.).
Speidels Position darf als relativ typisch für die psychodynamische Sichtweise auf unser Thema gelten. Mögliche Verfehlungen werden streng geahndet, Begriffe wie „nichtpervertierte Psychotherapien“ (bzw. deren umgekehrte Entsprechung im Falle des Versagens) oder „Verrat“ sprechen hier eine deutliche Sprache, die an eine „unsublimierte Beziehungsform“ verfallenen Kolleginnen und Kollegen, wie man meinen möchte, gern aus der psychotherapeutischen Gemeinde „exkommunizieren“ würde.
Zum Thema Machtgefälle in der therapeutischen Beziehung merken Lohmer und Wernz (2013) an, dass es „selbstverständlich einen destruktiven Gebrauch von Machtpositionen durch den Psychotherapeuten in der Psychotherapie gibt. Dies geschieht dann, wenn verdeckt oder offen manipuliert wird und zum Beispiel Abhängigkeitsbedürfnisse gefördert, Unterwerfung erzwungen, Abgrenzung und Autonomiebestrebungen erschwert werden“ (S. 294). Wichtig und hilfreich sei ein konstruktiver Umgang mit dem Thema Macht. „Vom Therapeuten wird ein höheres Maß von Wissen sowie Können erwartet, als es der Patient selbst zu haben glaubt und auch hat – ein Wissen und Können, das sich dann in Interventionen aller Art niederschlagen muss“ (Lohmer u. Wernz, S. 294). Bereits eine Deutung befände sich „an der Grenzlinie einer Machtausübung“ (ebd., S. 294). „Eindeutiger identifizierbar sind als Sonderformen destruk­tiven Machtgebrauchs der sexuelle, aber auch der materielle Missbrauch“ (ebd., S. 294).
Sowohl bei Speidel als auch bei Lohmer und Wernz fehlen – oft ja so wichtige – „Grautöne“. Speidel spricht das Thema Körperlichkeit implizit im Sinne einer „pervertierten Psychotherapie“ – also als deren unzulässige Durchführung mit entsprechend verbundenem Scheitern – an. Letztere Autoren insinuieren als quasi einzige Form der Körperlichkeit den sexuellen Machtmissbrauch. Beide Positionen tabuisieren jegliche Körperlichkeit mit dem Hintergrund konstruktiver psychotherapeutischer Intention, etwa im Sinne eines Zuteil-Werden-Lassens von Wärme oder Trost unter Zuhilfenahme körperlicher Mittel (wie z. B. unterstützendes Auflegen der Hand auf den Unterarm oder das Auflegen der Hand auf den Rücken einer Patientin/eines Patienten in Situationen ausgeprägt spürbarer Traurigkeit, die nicht nur im verbalen, sondern auch im Blickkontakt etc. geteilt und gelindert werden kann).

Fazit
Mitscherlich-Nielsen (1992) bringt das Dilemma einer Diskussion um die mögliche Körperlichkeit in verbalen Psychotherapien auf den Punkt, indem sie anmerkt: „Was in der Praxis der Psychoanalyse [und hier sei auch die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie angeführt, d. V.] eine Gratwanderung zwischen allzu großer Nähe und pseudokorrekter Rigidität ist, mag in der Theorie unkritische Originalitätssucht einerseits versus Heiligerklärung bestehender Theorien andererseits sein“ (ebd., S. 29). Man könnte es auch so ausdrücken: Die Warnung vor Missbrauch der therapeutischen Beziehung konfligiert mit einer geforderten Art von Abstinenz, die von vielen Patienten als zumindest kränkend erlebt wird. Dazwischen liegt ein großer möglicher Erlebens- und Handlungsraum im Rahmen der therapeutischen Beziehung, der in entsprechenden Reflexionen, Diskussionen etc. entweder nicht erscheint oder nach dorthin verlagert wird, wo die Arbeit mit dem Körper ohnehin primäre psychotherapeutische Einsatzform ist.
Auffallend sind in Zusammenhängen mit unserem Thema der dann meist kategorische Verweis auf ja vorhandene Körpertherapien einerseits (die im Übrigen in der Regel ambulant nicht oder zumindest ungenügend zur Verfügung stehen), das Fehlen jeglicher Grautöne andererseits, wenn es darum gehen könnte, Körperlichkeit in milder Form in die therapeutische Beziehung auch innerhalb der verbalen Verfahren zu integrieren.
Die Diskussion um mehr körperliche Zugänge innerhalb der therapeutischen Beziehung in den primär verbal angelegten Verfahren polarisiert gern und fast stets zwischen Warnung vor (Macht)Missbrauch einerseits und Verweis auf die analytischen Grundregeln andererseits. Gerade für die sogenannten früh gestörten Patienten scheint es mir eine hohe Anforderung zu sein, von diesen stets ausreichende Sublimierungsfähigkeit zu fordern, wenn es etwa um den Wunsch nach tröstendem oder verstehendem körperlichen Berührt-Werden gehen könnte.
Dass eine solche Diskussion behutsam zu führen ist, versteht sich. Auffällig ist jedoch auch heute – in Zeiten von Bindungs- und Interaktionstheo­rien – deren allgegenwärtige Abwesenheit.

Das Thema wurde ausführlich auch im Rahmen einer musiktherapeutischen Tagung („Musiktherapie und Körper“, 27. werkstatt für musiktherapeutische forschung augsburg 2015) und eines – z. T. auf diese bezogenen – Buches („Der Körper in der Musiktherapie“, Hanna Skrzypek u.a., Reichert Verlag 2016) behandelt. Teile des Beitrages entstammen einem Beitrag des Verfassers in diesem Buch.

Der Autor:

Prof. Dr. Hans Ulrich Schmidt
Zentrum für Musik
und Musikpädagogik
der Universität Augsburg
Leopold-Mozart-Zentrum
Maximilianstr. 59
86150 Augsburg
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Ambulanzzentrum und Institut
und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Dir. Prof. Dr. Dipl.-Psych. B. Löwe
Universitätskrankenhaus Eppendorf, Zentrum für Innere Medizin, Martinistr. 52, 20246 Hamburg; e-mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Musiktherapie Universität Augsburg (erhältlich beim Reichert Verlag)

Hanna Skrzypek/Hans Ulrich
Schmidt/Tonius Timmermann
Der Körper in der Musiktherapie
2016. 200 S., 24,90 EUR,
ISBN 978-3-95490-098-5.

Andreas Wölfl
Gewaltprävention mit Musik:
Empirische Wirkungsanalyse
eines musiktherapeutischen
Projektmodells
2014. 368 S., 49,80 EUR,
ISBN 978-3-95490-010-7.

Eric Pfeifer
Musiktherapie als Fördermaßnahme
in der Schule
Eine Studie zum Zusammenhang
von Fremdheitserfahrung,
Integration und Prävention
in Schulklassen
2014. 392 S., 49,00 EUR,
ISBN 978-3-95490-013-8.

Hans Ulrich Schmidt/
Tonius Timmermann (Hg.)
Symbolisierungen in Musik, Kunst
und Therapie – präverbal, nonverbal,
verbal, transverbal
2012. 208 S., 24,90 EUR,
ISBN 978-3-89500-894-8.

Eric Pfeifer
Outdoor Musiktherapie
Musiktherapie jenseits
des klassischen Settings
2012. 112 S., 24,90 EUR,
ISBN 978-3-89500-871-9.