Musiktherapeutischer Klinikspaziergang

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Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Düsseldorf

Von Marianne Bauer und Sayuri Ito

Die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, eine Abteilung des LVR-Klinikums Düsseldorf, Kliniken der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, wurde 1980 in direktem Zusammenhang mit dem 1977 neu geschaffenen Lehrstuhl für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Medizinischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf gegründet. Mit diesem neuen Lehrstuhl waren der Aufbau von Versorgungseinrichtungen für Menschen mit psychischen und psychosomatischen Störungen, sowie Forschung, Lehre, Aus- und Weiterbildung verbunden. Auf diesen Lehrstuhl und zugleich für die Leitung der neuen Klinik wurde die Psychoanalytikerin Frau Prof. Heigl-Evers berufen. Sie hatte zusammen mit anderen Psychoanalytikern in Göttingen neue Behandlungskonzepte entwickelt, um das tiefenpsychologische Krankheits- und Behandlungswissen der Psychoanalyse auch für Menschen mit psychischen und psychosomatischen Störungen nutzbar zu machen, für die es bisher nur die Psychiatrien gab.
Eingerichtet wurde die neue Klinik in Gebäuden der seit ca. 100 Jahren bestehenden Psychiatrie, die in den 1970er Jahren eine maßgebliche Rolle in der Psychiatriereform gespielt hatte. Die schönen Altbauten auf dem weitläufigen parkähnlichen Klinikgelände mit altem Baumbestand sind bis heute historische Zeugen. Das LVR-Klinikum im Osten Düsseldorfs ist verkehrsmäßig sehr gut angebunden an die Innenstadt und grenzt zugleich an grüne Stadtteile und Naherholungsgebiete, die zu Spaziergängen einladen.
Unter der Leitung von Frau Prof. Heigl-Evers, ihrem Nachfolger Herrn Prof. Tress und seit 2016 Herrn Prof. Friederich sind aus der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie maßgebliche Beiträge zur Entwicklung der heutigen wissenschaftlich fundierten bio-psycho-sozialen Behandlungsmodelle hervorgegangen. Damit ist gemeint, dass Menschen mit psychischen und psychosomatischen Erkrankungen unter Berücksichtigung ihrer Lebensgeschichte und ihrer körperlichen, seelischen und sozialen Gegebenheiten behandelt werden. Seit 2003 gibt es als eigenständige Gebietsbezeichnung neben der Psychiatrie und Psychotherapie den Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.
Heute gehören zur Klinik zwei Stationen mit je 12 Betten, eine Tagesklinik mit 19 Behandlungsplätzen sowie zwei Ambulanzen, die Psychosomatische Institutsambulanz und die transkulturelle Ambulanz. In diesen Ambulanzen melden sich die Patienten zur Diagnostik und Beratung hinsichtlich der individuell geeigneten Therapie an. Für eine Vielzahl von Patientengruppen stehen ambulant spezifische Behandlungsangebote zur Verfügung.

In der Klinik werden Menschen mit folgenden Erkrankungen behandelt:
Psychosomatische Erkrankungen
Somatoforme Störungen, wie z.B. organisch nicht erklärbare körperliche Beschwerden oder Schmerzen
Depressionen
Angsterkrankungen
Anpassungsstörungen bei körperlichen Erkrankungen (z.B. Krebserkrankung, Diabetes)
Akute und posttraumatische Belastungsreaktionen
Ess-Störungen
Persönlichkeitsstörungen

Die tagesklinischen und stationären Komplexbehandlungen dauern in der Regel 12 Wochen. Für die Behandlung von Ess-Störungen und somatoformen Störungen gibt es ein spezialisiertes Behandlungssetting. Nach erfolgter Diagnostik in der Ambulanz bekommen die Patienten einen Aufnahmetermin mitgeteilt und werden dann ab dem Aufnahmetag in die Gesamtbehandlung eingegliedert. Diese umfasst verschiedene Therapiemethoden und orientiert sich an den individuellen Störungen, Behandlungszielen und Therapieverläufen. Zur

Gesamtbehandlung gehören folgende Therapie­methoden:
Einzel- und Gruppenpsychotherapie
Sozialtherapie im Einzel- und Gruppensetting
Gruppen- und Einzeltherapie aus zwei der drei folgenden kreativtherapeutischen Bereiche: Körper- und Bewegungstherapie, Kunsttherapie, Musiktherapie
Differenzierte pflegerische Angebote
Ärztliche Visiten
Sport und Physiotherapie

Alle an der Gesamtbehandlung beteiligten Therapeuten und Mitarbeiter sind in ein multiprofessionelles Team eingebunden, tauschen sich dort regelmäßig aus und reflektieren fokuszentriert die individuellen Behandlungsprozesse.
Von Anfang an hatten die Kreativtherapien Körper- und Bewegungstherapie, Kunsttherapie und Musiktherapie ihren Platz in den stationären und tagesklinischen Behandlungen. Seit vielen Jahren gibt es diese Kreativtherapien auch als ambulantes Behandlungsangebot. Mit dem wachsenden Krankheitsverständnis und Behandlungswissen in der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie wurden auch differenzierte kreativtherapeutische Methoden entwickelt.

Im Bereich der Musiktherapie werden derzeit folgende Methoden, meist als Gruppentherapie, bei Bedarf auch im Einzelsetting, angeboten:
Aktive interaktionelle Musiktherapie
Rezeptive Musiktherapie
Therapeutische Stimmbildung und Singen
Trommelgruppe

Grundsätzlich sind für die Teilnahme an der Musiktherapie keine musikalischen Voraussetzungen erforderlich.
In der Aktiven interaktionellen Musiktherapie wird mit freier Improvisation gearbeitet. Das heißt: Jede(r) Teilnehmer(in) sucht sich einen Platz und Instrumente. Der Musiktherapieraum ist ausgestattet mit verschiedenen bekannten und unbekannten Musikinstrumenten, die einladen zum spielerischen Erkunden und Ausprobieren mit Tönen, Klängen und Geräuschen, jeder seinen spontanen Einfällen folgend. Die Therapeutin begleitet mit ihrem Spiel, unterstützt, gibt Resonanz und Halt, ergänzt und erweitert. So entstehen offene, bewegliche, emotional berührende Prozesse, oft wie eine Szene oder eine Geschichte, an der jeder auf seine ganz persönliche Weise beteiligt ist. Die Teilnehmer erleben sich mit ihrem eigenen Spiel und mit dem der anderen. Im Anschluss an die Improvisation erzählen alle: Nicht-sprachliches emotionales Erleben kann in Sprache gebracht, mit den anderen geteilt und schrittweise in den Wirkungszusammenhängen verstanden werden. Dieser offene ungeplante Spielraum mutet den Teilnehmern etwas zu: Unerwartetes und Überraschendes kann geschehen. Die individuellen – meist unbewussten – Muster des Selbst- und Beziehungserlebens zeigen sich. Konflikte und Konfrontation gehören dazu. Zugleich liegt darin auch die Chance, neuartige und entwicklungsfördernde Erfahrungen mit sich selbst und den Mitspielern zu machen, die befreiende Auswege eröffnen können aus bisherigen Sackgassen. Die folgenden beispielhaften Patientenaussagen mögen eine Vorstellung davon vermitteln:
„Am Anfang der Improvisation war Durcheinander, wie ein Jahrmarkt. Jeder hat gespielt, wie er wollte. Dann hat es immer besser zusammengepasst. Das war schön.“
„Am Anfang der Stunde hatte ich so viel Spannung in mir. Den Gong zu spielen, hat gut getan.“ – Dazu eine andere Gruppenteilnehmerin: „Mir war der Gong zu laut.“
„Aus dieser Therapie kann man viel herausziehen. Am Anfang habe ich weinend in der Ecke gestanden und mich nicht getraut zu spielen. Jetzt, am Ende der Therapie, habe ich keine Angst mehr. Ich spiele die Trommel und fühle mich sicher.“
„Während der Improvisation hatte ich ein Bild: Wir sind alle auf einem großen Floß und fahren einen Fluss im grünen Urwald entlang.“
In der Rezeptiven Musiktherapie sind die Teilnehmer(innen) eingeladen, eigene Musik zum Hören mitzubringen, die sie nicht danach aussuchen sollen, den Wünschen der anderen zu entsprechen, sondern danach, welche Musikstücke für sie selbst bedeutsam sind. Beispielsweise kommentieren Teilnehmer ihre Musikbeiträge so: „Die Musik drückt aus, wie ich mich fühle“, „…erinnert mich an einen wichtigen Menschen, den ich verloren habe“, „…beruhigt mich“, „… bringt mich in Schwung“, „…höre ich, wenn ich aggressiv bin“, „…im Text des Songs geht es um mein Thema“, „…erinnert mich an eine Zeit, in der es mir gut ging“. In der rezeptiven Musiktherapie geht es darum, während des Musik-Hörens achtsam die eigenen Wahrnehmungen, inneren Bilder, Gedanken, Gefühle, körperlichen Signale zu registrieren und im Anschluss sprachlich mitzuteilen. Mit großem Erstaunen stellen die Teilnehmer fest: Jeder Mensch hat eine eigene innere Erfahrungs- und Gefühlswelt. Deshalb wird ein und dasselbe Musikstück von verschiedenen Menschen teils ähnlich, oft aber auch sehr verschieden erlebt. Nicht jeder Mensch kann jedes Musikstück mögen, und dies darf auch ausgesprochen werden, ohne dass die gute Beziehung Schaden nimmt. Der Austausch darüber ist anregend und bereichernd.
In der Gruppe Therapeutische Stimmbildung und Singen erproben die Teilnehmer(innen) unter Anleitung der Therapeutin Atem- und Stimmübungen, singen ausgewählte Lieder. Die Erfahrung der eigenen Stimme ist körpernah, setzt Emotionen frei und fördert ein positives Selbsterleben. Hierzu beispielhafte Äußerungen:
„Solche Töne habe ich noch nie probiert. Ich dachte, ich kann nur tief singen.“
 „Ich muss lachen, das kribbelt und fühlt sich lustig an.“
 „Ich wusste gar nicht, dass meine Stimme so laut sein kann.“
„Das Lied ist wunderschön. Seitdem wir es hier in der Musiktherapie gesungen haben, singe ich es ganz oft, auch zu Hause, es erdet mich.“
In der Trommelgruppe werden Rhythmen in verschiedenen Varianten geübt. Dabei geht es um folgende Wirkungen: die Aneignung von etwas Neuem und dabei die Erfahrung, wie Schwieriges schrittweise leicht wird; die Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit, die krankheitsbedingt beeinträchtigt sein kann; die Akzeptanz eigener Unvollkommenheiten und Grenzen mit Gelassenheit, Geduld und Humor; die Synchronisation, d.h. Vereinheitlichung von Motorik, Sinneswahrnehmungen, Fühlen und Denken; die spannungsregulierende Wirkung von Rhythmus, anregend und aktivierend, aber auch Spannung abbauend und beruhigend. Patienten sagen z.B.:
„Vorher dachte ich, was soll ich beim Trommeln, habe es belächelt. Jetzt macht es mir Spaß.“ „Anfangs war es für mich eine Katastrophe, wenn ich mich vertan habe. Jetzt lache ich. Es ist nicht mehr schlimm.“ „Ich dachte, das kann ich nie. Jetzt spiele ich manchmal, ohne dass ich denken muss. Es ist schön, wenn es so leicht läuft.“
Diese musiktherapeutischen Methoden haben unterschiedliche Wirkungen und Zielsetzungen: konfrontativ, stabilisierend, Ressourcen stärkend. Immer aber berührt Musik die Emotionalität und wirkt beziehungsstiftend.
Zu Beginn einer jeden Behandlung informiert die Therapeutin die Patientinnen und Patienten darüber und bespricht mit ihnen, bezogen auf den Fokus der Therapie, die individuell passende Planung der Musiktherapie als Teil der Gesamtbehandlung.
Die beiden Musiktherapeutinnen Frau Bauer und Frau Ito arbeiten eng zusammen und übernehmen füreinander die Vertretung.

Die Autorinnen:

Sayuri Ito
Diplom-Musiktherapeutin (FH). Seit 1996 als Musiktherapeutin tätig, seit 1998 im LVR-Klinikum Düsseldorf, Kliniken der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.

Marianne Bauer
Diplom-Musiktherapeutin (FH) DMtG. Seit 1986 tätig als Musiktherapeutin, seit 1991 im LVR-Klinikum Düsseldorf, Kliniken der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.

Kontakt:

LVR-Klinikum Düsseldorf, Kliniken der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie,Bergische Landstraße 2, 40629 Düsseldorf
Marianne Bauer, Musiktherapie, Haus 17, Psychotherapeutische Tagesklinik
Tel. 0211 922-4771, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!