Musiktherapeutischer Klinikspaziergang

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Musiktherapie in der LVR-Klinik Viersen

Von Eva Terbuyken-Röhm

Die LVR-Klinik Viersen liegt in dem Viersener Stadtteil Süchteln, das am Niederrhein nahe Düsseldorf, Mönchengladbach und der niederländischen Grenze im sogenannten Johannistal an das Waldgebiet der Süchtelner Höhen angrenzt. Alte Bäume und Grünflächen prägen zusammen mit alten herrschaftlichen und neuen modernen Gebäuden das Klinikgelände. Die LVR-Klinik Viersen wurde 1906 als „Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Süchteln-Johannistal“ gegründet. Anfang 2016 wurde der Grundstein für den Neubau der Allgemeinpsychiatrie gelegt. Träger der Klinik ist der Landschaftsverband Rheinland, kurz LVR, welcher als Kommunalverband mit rund 19.000 Beschäftigten für die 9,7 Millionen Menschen im Rheinland arbeitet. Zum Klinikverbund des LVR gehören insgesamt neun Kliniken, die therapeutisch-psychiatrische Versorgung im Rheinland anbieten. „Qualität für Menschen“ ist Leitgedanke des LVR. So gehört auch die LVR-Klinik Viersen zu diesem Klinikverbund und versucht, den Leitgedanken mit dem folgenden Grundsatz umzusetzen: Menschen, für die wir da sind, behandeln wir respektvoll und individuell. Die Fachzentren der LVR-Klinik Viersen unterteilen sich in Abteilungen für Allgemeinpsychiatrie und Psychotherapie, für Abhängigkeitserkrankungen, ein Gerontopsychiatrisches Zen­trum, die Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik und die Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Auf dem Gelände befindet sich zudem die LVR-Klinik für Orthopädie.

Die LVR-Klinik Viersen verfügt über 448 Betten und Plätze und hat zudem weitere Plätze in den Bereichen Rehabilitation und Forensik. Sie beschäftigt insgesamt 1.406 Mitarbeiter. Einzugsbereich der Klinik sind der Kreis Viersen und Mönchengladbach. Neben der therapeutisch-psychiatrischen Behandlung gibt es in der LVR-Klinik Viersen eine Vielzahl an kulturellen Angeboten, wie z. B. Konzerte in der Klinik-Kirche und Kunstausstellungen, insbesondere von der Malgruppe der Klinik, sowie Familienfeste, Angebote der Klinikseelsorger und regelmäßige Fachvorträge im Festsaal der Orthopädie.

Musiktherapie in der Erwachsenen­psychiatrie der LVR-Klinik Viersen
In der Erwachsenenpsychiatrie der LVR-Klinik Viersen ist die Musiktherapie ein wichtiger Bestandteil der therapeutischen Angebote. Sie gehört neben Ergo-, Sport-, Kunst- und Arbeitstherapie zu den therapeutischen Diensten. Die Musiktherapieabteilung in der Erwachsenenpsychiatrie der LVR-Klinik Viersen wurde 2013 neu aufgebaut und besteht heute aus einem Team von vier Musiktherapeutinnen mit einem Stellenanteil von 2,5 Vollzeitstellen. Aktuell wird sie hier in der Allgemeinpsychiatrie, forensischen Psychiatrie, Gerontopsychiatrie und Tagesklinik sowie auf einigen Stationen der Abteilungen für Abhängigkeitserkrankungen eingesetzt.
Im Mittelpunkt der musiktherapeutischen Behandlung stehen das aktive Musizieren miteinander und das gemeinsame Hören von Musik. Beide Ansätze gehen davon aus, dass Musik, auch ohne musikalische Vorbildung, im gemeinsamen Erleben in verschiedener Weise positiv auf die Psyche der PatientenInnen wirkt. Gemeinsames Erleben in der Musik kann ermöglichen, Gefühle auszudrücken, sie zu strukturieren und zu verarbeiten. Gleichzeitig können auf diese Weise auch Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie Interaktionsfähigkeit gefördert werden. Weitere wichtige Ziele der Musiktherapie sind die Förderung von Konzentration, Kommunikation und Kreativität.
Die Musiktherapie ist in der Erwachsenenpsychiatrie sehr stationsnah präsent, da die Musiktherapeutinnen versuchen, am Stationsalltag teilzunehmen, z. B. an Morgenrunden auf der Station, an Stationsforen oder auch an Behandlungsteamsitzungen. Außerdem werden viele Patienten auch direkt von den Musiktherapeutinnen auf der Station zur Musiktherapie abgeholt oder aber die Musiktherapie findet direkt auf der Station statt. Letzteres zeichnet ein besonderes Konzept der Klinik aus, nämlich aufsuchend vorzugehen. Auf zurzeit fünf Stationen wird die Musiktherapie im Rahmen dieses milieutherapeutischen Arbeitens angeboten. Dabei findet die Musiktherapie in einem offenen Setting im Tagesraum der Station, z. B. in einer gemütlichen Sitzecke, statt. Milieutherapeutisch ist dabei, dass die Umgebung der Patienten und die Stationsatmosphäre in die Musiktherapie einbezogen werden. Auf diese Weise wird das Stationsleben Teil der Musiktherapie und gleichzeitig die Musiktherapie Teil des Stationslebens. Die Teilnahme ist hier frei und die Patienten können nach Belieben und Möglichkeiten kommen und gehen. Bei dieser Musiktherapie werden vor allem gemeinsam Lieder gesungen und auf den mitgebrachten Instrumenten dazu zusammen gespielt. Mitgebrachte Instrumenten sind hier oft: kleine Perkussionsinstrumente, Trommeln, Glockenspiele, Kalimba, Gitarre, Geige oder ähnliches. Oft wird aber auch Musik zum Zuhören für die Patientinnen und Patienten angeboten. Diese milieutherapeutische Methode steht frei unter dem Motto: Dabeisein ist alles! Auf diese Weise soll den Patientinnen und Patienten eine möglichst stressfreie Teilnahme an einem therapeutischen Angebot ermöglicht werden. Dieses Konzept ist 2013 für akutpsychiatrische Patientinnen und Patienten auf den geschlossenen Akutaufnahmestationen entwickelt worden und wird auch heute noch vor allem dort eingesetzt.

Die folgende Fallvignette wird diese Methode veranschaulichen:
An einem Morgen ist es sehr unruhig auf der geschlossenen Akutstation, da ein Patient einen Pfleger angegriffen hat und fixiert werden musste. Alle Patienten sind sehr unruhig und ängstlich. Herr M. kommt direkt zu Anfang der Musiktherapie und freut sich sehr über mein Kommen. Er strahlt mich beinahe an wie ein Kind und fragt direkt nach meiner Geige. Er blättert in meinen Büchern und findet viele Lieder und klassische Musikstücke, die er mag. Er setzt sich neben mich und singt Lieder mit mir. Es stellt sich etwas Vertrautes ein. Auf seinen Wunsch spiele ich mehrere klassische Stücke für ihn auf der Geige. Die anderen Patienten verhalten sich zurückhaltend, da alle sehr unruhig und ängstlich sind. Aber durch die Musikwünsche von Herrn M. verändert sich die Stimmung auf der Station plötzlich. Es wird zusehends ruhiger auf der Station. Ein Patient hört auf zu schreien. Immer mehr Patientinnen und Patienten setzen sich dazu und hören zu. Immer wenn ich aufhöre zu spielen, wird es wieder unruhiger und auch die Pfleger bitten mich, weiterzuspielen. Herr M. scheint dies auch zu verstehen und beginnt, Tambura zu spielen. Er erzählt beim Spiel, dass ihm dieses Instrument beim letzten Aufenthalt in der Musiktherapie „die Seele gerettet“ habe. Ich spiele zu seinem Spiel auf der Geige; ich improvisiere oder spiele ein Lied („Amazing Grace“ und „Am Brunnen vor dem Tore“). Herr M. genießt das gemeinsame Spiel sehr. Die Stimmung auf der gesamten Station beruhigt sich durch die Musik so sehr, dass ich erst kurz vor dem Mittagessen gehe und eine ganz ruhig essende Gruppe auf der Station zurücklasse.1

Weiter finden Gruppen- und Einzeltherapien in den vier Musiktherapieräumen der Erwachsenenpsychia­trie statt. Hier werden neben dem Singen und Spielen von Liedern freies Instrumentalspiel, Instrumentalspiel mit Übungsanleitung sowie rezeptive Musiktherapie, wie z. B. Entspannungsübungen mit Musik oder musikimaginative Verfahren, angeboten.
In der Forensik findet die Musiktherapie in stationsübergreifenden Gruppen, wie z. B. der Band, einem Rap-Projekt oder der Fördergruppe für die Band, sowie in Einzeltherapien statt.
Zielsetzungen der Musiktherapie werden immer individuell abgestimmt und entsprechen einer Integration der Behandlung in das Gesamtkonzept der Klinik. Dies zeigt sich besonders in einer engen interdisziplinären Zusammenarbeit, insbesondere mit den Ärzten, Psychologen, dem Pflegeteam und anderen Therapeuten. Die Patientinnen und Patienten werden zum Teil vom behandelnden Team oder Stationsarzt für die Musiktherapie eingeteilt im Rahmen einer Verordnung. Insgesamt besteht die Teilnahme an der Musiktherapie auf freiwilliger Basis.

Musiktherapie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der LVR-Klinik Viersen
In der Kinder- und Jugendpsychia­trie gibt es eine weitere Musiktherapieabteilung, die seit Jahren eine lange Tradition in der LVR-Klinik Viersen hat und fest im Behandlungsplan aller Abteilungen dort integriert ist. Zum Team gehören weitere fünf MusiktherapeutInnen.
Die Musiktherapie wird hier für alle Stationen, Ambulanz sowie Tageskliniken der Kinder- und Jugendpsychiatrie Viersen in Gruppen- und Einzeltherapien angeboten. Als Besonderheit wird die Musiktherapie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie auch im Rahmen des StäB angeboten, der „stationsäquivalenten psychiatrischen Behandlung“ im häuslichen Umfeld.

1. Vgl. Terbuyken-Röhm, Eva (2019): Narzissmus in der Musiktherapie. Der narzisstische Musikgenuss in der Musiktherapie auf geschlossen psychiatrischen Stationen. Münster: readbox unipress.

LVR-Klinik Viersen
Johannisstr. 70
41749 Viersen
Telefon +49 (0)2162 96-31
Fax: +49 (0)2162 80642
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www.klinik-viersen.lvr.de

Die Autorin:

Eva Terbuyken-Röhm
studierte Geige (B.M.) und Musiktherapie (B.M.) am Conservatorium Enschede (NL) sowie klinische Musiktherapie (M.A.) an der Universität Münster. 2015 bis 2019 promovierte sie an der Universität Münster bei Prof. Rosemarie Tüpker zum Thema „Narzissmus in der Musiktherapie. Der narzisstische Musikgenuss in der Musiktherapie auf geschlossenen psychiatrischen Stationen.“ mit erfolgreichem Abschluss (Dr. phil.). Neben der Kindermusiktherapie erwarb sie Erfahrungen mit der musiktherapeutischen Arbeit im Bereich Gerontopsychiatrie und Forensik, in der Kombination Musiktherapie und Logopädie sowie Musiktherapie mit Menschen mit Behinderungen. Seit 2013 arbeitet sie als Musiktherapeutin in der Erwachsenenpsychiatrie der LVR-Klinik Viersen. Eva Terbuyken-Röhm ist zertifizierte Musiktherapeutin der Deutschen Gesellschaft für Musiktherapie.

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