Praxisvorstellung

Institut für Interdisziplinäre Musik- und Sprachtherapie, Duisburg

Von Monika Jungblut

 

Stellen Sie sich bitte kurz vor!
2004 habe ich die Praxis für SIPARI®-Therapie (s. Kasten) eröffnet, die 2008, auf Grund der erfolgreichen Zusammenarbeit mit Linguisten und Logopäden und dem Aphasiker-Zentrum NRW, in das Institut für Interdisziplinäre Musik- und Sprachtherapie integriert wurde. Mittlerweile gibt es zwei Anlaufstellen im Herzen des Ruhrgebietes, Duisburg und Essen.

Welche Situation Ihres musiktherapeutischen Berufslebens lag vor der Eröffnung Ihrer ambulanten Praxis?
Meine klinische Tätigkeit im Vorfeld der Praxiseröffnung betrifft die Bereiche Psychiatrie, Psychosomatik, Psychotherapeutische Medizin sowie Neurologie, Geriatrie und Neuropädiatrie. Parallel begann ich bereits vor der Praxiseröffnung ambulant mit Aphasikern in Kooperation mit verschiedenen Selbsthilfegruppen in NRW zu arbeiten.

Wie sind Sie zu dem Beruf des Musiktherapeuten/der Musiktherapeutin gekommen?
Nach meinem Gesangsstudium folgten ca. 15 Jahre freiberuflicher Tätigkeit als Opern- und Konzertsängerin und Lehrtätigkeit an Hochschulen und Universitäten. Speziell in der Arbeit mit Studierenden wurde mir klar, welch enge Verbindung zwischen Stimme und Psyche besteht. Des Weiteren begeisterte mich das Thema „Medizin“ seit meiner Kindheit. So entschied ich mich für die Aufnahme eines Musiktherapiestudiums an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Schon während dieses Studiums begann ich mich mit dem Thema „Aphasie“ zu befassen. Mit diesem Begriff wird eine zentrale Sprachstörung nach abgeschlossener Sprachentwicklung bezeichnet, verursacht z. B. durch Schlaganfall, Schädelhirntrauma, Hirntumor etc. Auslöser war die Lektüre des 1937 erschienenen Buches „Über die Untersuchung der musikalischen Funktionen bei Patienten mit Gehirnleiden, besonders bei Patienten mit Aphasie“ des norwegischen Mediziners Ustvedt, der u. a. auch über die erhaltene Singfähigkeit bei Aphasikern berichtet. Ich war fasziniert von dem Gedanken, meine musikalischen und stimmlichen Fähigkeiten möglicherweise nicht nur künstlerisch, sondern eventuell sogar gezielt therapeutisch einsetzen zu können. Von da an ließ mich dieser Gedanke bis heute nicht mehr los und hat mich dazu bewogen, die Behandlungsmethode SIPARI® zu entwickeln und meine musiktherapeutische Tätigkeit ausschließlich der Arbeit mit Menschen, die an Sprach- und Sprechstörungen leiden, zu widmen.

Erzählen Sie bitte von den Rahmenbedingungen und der Konzeption Ihrer Praxis?
Es gibt zunächst das therapeutische Angebot bestehend aus SIPARI® bzw. der Kombinationsbehandlung aus SIPARI® und speziell darauf abgestimmter Logopädie. Die Therapien werden in Form von Einzel- und/oder Gruppentherapie angeboten, auch als Intensivtherapie (mehrere Stunden der o.g. Angebote pro Tag). Einen weiteren wesentlichen Schwerpunkt des Instituts stellt die Forschung dar. In Kooperation mit dem Universitätsklinikum Aachen und dem Interdisziplinären Zentrum für Klinische Forschung werden seit 2008 Studien mit bildgebenden Verfahren (fMRT–funktionelle Magnetresonanztomographie) durchgeführt, um den Behandlungsansatz SIPARI® auch aus neurowissenschaftlicher Sicht zu untermauern.  Weiterhin werden im Institut SIPARI®-Fortbildungen von mir angeboten. SIPARI® ist eine geschützte Marke. Nur Therapeuten, die die 1-jährige Ausbildung erfolgreich abgeschlossen und eine entsprechende Behandlungslizenz haben, sind in der Lage, diese Therapie anzubieten. Leider wird SIPARI® häufig mit der aus den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts stammenden Melodischen Intonationstherapie (MIT) gleichgesetzt, einer sprachtherapeutischen Behandlungsmethode. Daher möchte ich an dieser Stelle auf einen wesentlichen Unterschied hinweisen: Die MIT zielt ausdrücklich darauf ab, sprachverwandte Regionen in der rechten Gehirnhälfte zu aktivieren, die SIPARI®-Therapie hingegen führt zur Aktivierungsübernahme von sprachverwandten Regionen rund um die Schädigung in der linken Hirnhälfte (die sog. „periläsionale“ Aktivierung). Dies steht im Einklang mit aktuellen Forschungsergebnissen aus der Sprachwissenschaft, die zeigen, dass periläsionale Aktivierung mit einer günstigen Prog­nose bezüglich der Spracherholung einhergeht, dauerhafte Aktivierung in der rechten Gehirnhälfte hingegen die Spracherholung behindert. Die Wirksamkeitsnachweise für die MIT stehen nach wie vor aus1.

Wie sind Ihre Praxisräume eingerichtet? Nach welchen Kriterien haben Sie sie gestaltet?
Es gibt an beiden Standorten jeweils zwei Praxisräume, einen Wartebereich, Büro und Küche. Die Räumlichkeiten sind hell und einladend gestaltet, so befindet sich z. B. einer der Therapieräume in einem 35 qm großen Wintergarten. Da ein Großteil der Patienten halbseitig gelähmt ist, werden In­strumente genutzt, die problemlos mit einer Hand gespielt werden können. Neben dem Hauptinstrument „Stimme“ kommen Handchimes, Percussionsinstrumente wie Congas, Djemben, Yambús und das Orff-Instrumentarium zum Einsatz. Als wichtigstes Begleitinstrument dient das Klavier, das von der Therapeutin gespielt wird.

Mit welchem Anliegen, Leiden oder Krankheiten können sich Menschen an Sie wenden?
Das Angebot des Instituts richtet sich an erwachsene Betroffene mit zentralen Sprach- und Sprechstörungen (Aphasie, Sprechapraxie, Dysarthrie), verursacht vorrangig durch Schlaganfälle. Während die Aphasie die verschiedenen Komponenten des Sprachsystems betrifft und auch sprachabhängige Leistungen wie Lesen, Schreiben und Rechnen beeinträchtigen kann, handelt es sich bei der Sprechaphaxie um eine Störung der Programmierung von Sprechbewegungen. Bei der Dysarthrie hingegen handelt es sich um eine Störung der Sprechmotorik, die in der Regel auch die Sprechatmung, die Stimmgebung und die Artikulation betrifft. Diese drei Störungsbilder können auch in Kombination auftreten; daher ist eine detaillierte Diagnostik äußerst wichtig, um gezielt therapieren zu können. Weiterhin werden Betroffene behandelt, die an Stimm- und Sprechstörungen leiden, die durch andere neurologische Krankheitsbilder wie z. B. Morbus Parkinson, Multiple Sklerose oder Kleinhirnerkrankungen verursacht wurden.

Nach welchem Konzept arbeiten Sie? Was hilft in Ihrer Therapie?
Ich arbeite ausschließlich nach der von mir entwickelten und u. a in Zusammenarbeit mit der medizinischen Fakultät der Universität Witten-Herdecke erprobten Behandlungs-methode SIPARI®, deren Ziel darin besteht, sprachliche und sprechmotorische Leistungen der Betroffenen messbar zu verbessern. In regelmäßigen Abständen werden daher von externen Fachleuten (Linguisten, Logopäden) Leistungs-/Qualitätskontrollen anhand standardisierter Tests durchgeführt. Bezüglich der Frage, was in der Therapie hilft, gibt unsere aktuelle Forschungsstudie mit chronisch kranken, schwer betroffenen Aphasikern Aufschluss, bei der wir neuronale und kognitive Untersuchungsverfahren kombiniert haben. Sie hat gezeigt, dass es durch diese Therapie zu einer Aktivierungsübernahme durch sprachverwandte Bereiche rund um die Schädigung in der linken Gehirnhälfte kommt, die mit signifikanten Verbesserungen der sprachlichen Fähigkeiten einhergeht (nachgewiesen anhand des Aachener Aphasie Tests).

Wie klingt die Musik, die Sie mit Patientinnen machen oder die Sie ihnen vorspielen?
Die Bandbreite reicht von Vokalisen mit unterschiedlichsten Formen der Stimmgebung bis hin zu rhythmisch komplexen Laut-/Wort-/Satzstrukturen, die teilweise wie Rap klingen. Die Improvisationen erinnern an sprachliche Kommunikationssituationen: es gibt Monologe, Dialoge, Diskussionen. Sowohl in der Einzel- als auch in der Gruppenimprovisation besteht ein ausgeprägtes Bedürfnis nach harmonischem Spiel, es soll „schön“ klingen! Die Kombination aus medizinischer Forschung und praxisnaher Umsetzung in spezifische musiktherapeutische Interventionen machen die Thematik „Aphasie, Sprechapraxie etc.“ zu einer Herausforderung. Aber gerade das ist ja das Spannende an dieser Arbeit!

An welche besonders schwierige, lustige oder glückliche Situation können Sie sich erinnern?
Als besonders glückliche Situationen habe ich die Szenen in Erinnerung, als ich meinen Studienteilnehmern, die zwei Jahre nach dem Ereignis zu mir kamen und sechs Monate von mir therapiert wurden, die Auswertung der Ergebnisse der funktionellen Magnetresonanztomographie zeigen konnte. Während vor der Therapie ausschließlich Hirn­areale in der rechten Hirnhälfte aktiv waren, zeigte die abschließende Messung, dass die Aktivierung sich in die linke Hirnhälfte verlagert hatte, und zwar in Bereiche rund um die Schädigung. Diese Aktivierungsübernahme ging einher mit messbaren, aber für die Betroffenen und ihre Angehörigen auch deutlich hörbaren Verbesserungen der sprachlichen Leistungen mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Lebensqualität.

Welche Ideen im Bereich der Musiktherapie würden Sie gern verwirklichen, wenn Sie ausreichend Zeit und Mittel hätten?
Abgesehen von einer weiteren randomisierten und kontrollierten Therapiestudie, die jetzt auch Betroffene mit zusätzlicher Sprechapraxie einschließt, wäre mir sehr daran gelegen, in Kooperation mit erfahrenen Neurolinguisten ein Screening für eine Spontansprachenbewertung dieser Patienten zu entwickeln, in dem auch detailliert prosodische bzw. musikalische Fähigkeiten beurteilt werden. Hierdurch könnten zusätzliche diagnostische Erkenntnisse gewonnen werden, die speziell für diese Betroffenen im Hinblick auf eine gezielte Therapie äußerst wertvoll wären.
Beides ist in Arbeit!

 

Die Autorin:

Dr. rer. medic. Monika Jungblut
Institut für Interdisziplinäre
Musik- und Sprachtherapie
Am Lipkamp 14
47269 Duisburg
Tel. 0203-711319
www.sipari.de

Staatliche Musiklehrerprüfung sowie Konzertdiplom im Hauptfach Gesang. Diplom-Musiktherapeutin (Hochschule für Musik und Theater Hamburg). Heilerlaubnis für Psychotherapie (HPG).
Promotion an der medizinischen Fakultät der Universität Witten-Herdecke. Langjährige künstlerische Tätigkeit als Opern- und Konzertsängerin sowie pädagogische Tätigkeit an Universitäten und Hochschulen. Entwicklung der Behandlungsmethode SIPARI®, der einzigen musiktherapeutischen Behandlungsmethode zur Verbesserung sprachlicher Fähigkeiten bei Patienten mit chronischer Aphasie, die evidenzbasiert ist. Forschungsstudien mit bildgebenden Verfahren (fMRT) u. a. zum Thema „Einfluss des rhythmischen Singtrainings nach der Methode SIPARI® auf die sprachlichen Leistungen und die damit verbundene Reorganisation bei Patienten mit chronischer Aphasie und Sprechapraxie“ in Kooperation mit dem Universitätsklinikum Aachen (Prof. Huber) und dem Interdisziplinären Zentrum für Klinische Forschung am Universitätsklinikum Aachen. Nationale und internationale Publikationen, Vorträge und Präsentationen (u. a. bei Jahrestagungen der Organization for Human Brain Mapping 2009, 2010 und 2013) Associate Editor der Zeitschrift „Restorative Neurology and Neuroscience“.