Schwerpunkthema
Generationenwechsel in der Musiktherapieausbildung: Work in Progress
Monika Smetana
Hans Ulrich Schmidt hat es in seinem Beitrag zum Schwerpunktthema „Übergänge“ (Schmidt, 2024, S. 20f.) bereits angesprochen: Viele Musiktherapieausbildungen sind derzeit von einem Generationenwechsel erfasst, teils auf Leitungsebene, teils auch in den Lehrkörpern. Im Themenheft „Generationen“ der Musiktherapeutischen Umschau 2024 wurden die aktuellen Prozesse und Potenziale eines moderierten Übergangs von einer zur nächsten Generation anhand der Wiener Musiktherapieausbildung ausführlich beschrieben (Smetana, Fitzthum, Schmucki & Stegemann, 2024).
Die Wiener Schule eignet sich meiner Einschätzung nach sehr gut dafür, sich mit dem Thema „Generationen“ in einem weitgefassten Sinne zu befassen. Nicht nur handelt es sich dabei um die älteste akademische Musiktherapieausbildung Europas (seit 1959 an der damaligen Akademie, heute: Universität für Musik und darstellende Kunst Wien beheimatet), sondern ist auch ihre Beschäftigung mit historischen Fragestellungen ziemlich rege (Fitzthum & Mössler, 2021). So wurde die Wiener Schule der Musiktherapie innerhalb der letzten Jahrzehnte zum Gegenstand verschiedener wissenschaftlicher Untersuchungen: Forschungsarbeiten zu den Vorläufern ihrer Entwicklung sowie zu der beginnenden Institutionalisierung von Musiktherapie in Wien und zahlreiche Abschluss- und Diplomarbeiten zu unterschiedlichen historischen Einzelfragestellungen der Wiener Schule wurden verfasst1. Die Dissertation von Karin Mössler (2008) bietet eine umfassende Aufbereitung ihrer Entwicklungen ab 1957, in der Inhalte, (psycho-) therapeutische Ausrichtungen sowie deren Transfer zwischen Theorie und Praxis und insbesondere auch die Konturierung einer Generationenfolge von den Pionier:innen bis zur beginnenden dritten Generation vor dem Hintergrund des Schulenbegriffs untersucht wurden. In dem oben genannten Beitrag (Smetana et al., 2024) konnten wir bereits eine vierte Generation seit 2020 ergänzen.
Generationenwechsel in der Wiener Musiktherapieausbildung
Die Wiener Schule beschäftigt sich gerne mit sich selbst – nicht primär, um spezifische Alleinstellungsmerkmale gegenüber anderen Schulen und Ansätzen hervorzuheben oder abzugrenzen, sondern vielmehr mit dem Ziel einer gründlichen Reflexion des tradierten und sich immer wieder erneuernden musiktherapeutischen Handlungswissens, um den Anforderungen und Herausforderungen der alltäglichen therapeutischen Arbeit in den verschiedenen Anwendungsbereichen der Musiktherapie im Gesundheitswesen in ihrer Vielfalt gerecht zu werden.
Vier Generationen werden mittlerweile also in der Wiener Schule beschrieben. Die bereits gut erforschte Generationenfolge wird nicht an äußeren Einflüssen oder vergleichbaren Zuschreibungen wie etwa den Babyboomern, den Millenials, der Generation X, Y, Z oder Alpha etc. festgemacht, sondern orientiert sich daran, welche Studierenden von welchen Lehrenden unterrichtet wurden. Von einem Generationswechsel wird demnach dann gesprochen, wenn die Mehrzahl der Lehrenden durch die von ihnen ausgebildeten Musiktherapeut:innen abgelöst wird.
So kann ich mich eindeutig der dritten Generation zuordnen, die maßgeblich von Lehrenden der zweiten Generation geprägt wurde („Elaborationsphase“, Absolvent:innen des von Prof. Schmölz geleiteten Lehrgangs für Musiktherapie). Seit etwa 2020 besteht nun das Lehrendenteam vorwiegend aus Kolleg:innen der dritten Generation (Absolvent:innen des Kurzstudiums und Diplomstudiums seit 1992), wodurch wir, verbunden mit der Umstellung vom Diplomstudium auf die Bachelor-/Master-Struktur, jetzt von einem Generationenwechsel zur vierten Generation sprechen.
Den großen Veränderungen im Lehrendenteam der Wiener Ausbildung begegnete man zunächst, indem Übergaben von bisherigen zu neuen Lehrveranstaltungsleitungen bewusst vonstatten gingen, Abschiede gewürdigt und gefeiert wurden; auch gab es die Idee eines „Weisen-Rates“ als Anlaufstelle für Fragen und Anliegen jüngerer Lehrender. Das Angebot eines eintägigen „Generationen-Workshops“ unter der Leitung eines externen Coaches diente der Identifizierung weiterer Bedürfnisse und Erwartungen hinsichtlich der zukünftigen Rolle ehemaliger Lehrender am Institut und der für einen guten Austausch notwendigen Strukturen. Insbesondere die Beschäftigung mit Selbstbildern, vermuteten Fremdbildern und Erwartungen zwischen den aus unterschiedlichen Generationen stammenden Teilnehmenden ermöglichte neue Erkenntnisse und Anstöße für weitere Teamprozesse. Deutlich wurde dabei, dass es gar nicht so sehr um formalisierte Maßnahmen zur Übergabe z.B. von Konzepten und Lehrinhalten geht – diese erfolgen hauptsächlich informell im persönlichen Austausch – als darum, Formate für gemeinsame Denkräume und offenere Plattformen für Wissenstransfers im gemeinsamen, team- und generationenübergreifenden Diskurs zu finden.
Eine Möglichkeit dazu eröffnete sich bei unserer Instituts-Teamklausur vergangenen Herbst, als zu den etwa 20 Teilnehmenden aus dem aktiven Lehrendenkreis noch weitere fünf „ehemalige“ Kolleg:innen dazu stießen, um aktuelle studiengangsbezogene Themen mit zu diskutieren, sich schließlich aber auch zu aktuellen Prozessen des Generationenwechsels in der Wiener Musiktherapie-Ausbildung auszutauschen, uns „upzudaten“, was uns beschäftigt und wo wir stehen, persönlich und als Team.
Folgende Begebenheit daraus berührte mich persönlich sehr:
V., eine der aktuell jüngsten Lehrenden, die seit vorigem Jahr ein Pflichtpraktikum in der Kinder- und Jugendpsychiatrie leitet, berichtet, wie hilfreich es für sie war, immer ein offenes Ohr zu finden, sowohl bei ihrer Kollegin S., die das Praktikum interimistisch für ein Jahr übernommen hatte, als auch bei ihrer in den Ruhestand gegangenen Vorgängerin H. Sehr vieles durfte sie aus deren Erfahrungsschatz und bewährten Materialien schöpfen, konnte dies zugleich aber mit ihren eigenen Ideen und Herangehensweisen verknüpfen und an eine neue Institution transferieren. Die ebenfalls anwesende Vorgängerin H. erzählt, dass sie vieles davon bereits von B. vermittelt bekommen habe, die das Praktikum nach fast 20-jähriger Leitung sehr plötzlich aus gesundheitlichen Gründen abgeben musste. An dieser Stelle schaltet sich E. ein – auch eine anwesende ehemalige Lehrende, die Ende der 1980er-Jahre mit der Leitung des Praktikums betraut war: Auch wenn sie sich methodisch sehr von ihrer Vorgängerin A. abgrenzen musste, die das Praktikum als behavioristisch ausgerichtete Pionier:in der Wiener Musiktherapie ab 1971 geleitet hatte, sei das Ansehen der Musiktherapie in der Institution bereits damals bemerkenswert gewesen. Wie hilfreich es doch für sie als Lehrende gewesen war, an Etabliertes anknüpfen zu können, nicht um den Platz der Musiktherapie kämpfen zu müssen, sondern offene Türen vorzufinden. Damit war den Studierenden ein Rahmen geboten, bereits sehr früh im Studium eigenständige klinische Erfahrungen unter sehr intensiver Begleitung und Supervision machen zu können.
Identität durch Kontinuität und Veränderung
In diesem kurzen Gedankenaustausch zwischen den Generationen wurde spürbar, was gemeint ist, wenn wir manchmal von einer „DNA der Wiener Schule“ sprechen: Wurzeln heutiger Lehr- und Lernkonzepte der vierten Generation reichen zurück bis in die Pioniergeneration. Kontinuität und Weitergabe haben dazu geführt, dass wesentliche Kernelemente erhalten bleiben können, auch wenn Neues dazu kommt und Veränderung stattfindet, die teils aktiv von den Lehrveranstaltungsleitungen persönlich geprägt wird, teils auch den von außen gegebenen Anpassungsnotwendigkeiten unterliegt. Kaum jemand würde auf die Idee kommen, ein klinisches Praktikum, das 1962 von der Ausbildungsbegründerin Edita Koffer-Ullrich an der Kinderklinik Lainz initiiert und später von Albertine Wesetzky an der von Andreas Rett geleiteten Abteilung am Rosenhügel etabliert wurde, mit dem heutigen Kinder- und Jugendpsychiatrie-Praktikum am Landesklinikum Tulln in Verbindung zu bringen. Und doch lässt sich anhand der Entwicklungslinien der Ausbildungsgeschichte und der damit verbundenen Generationenfolgen ein klarer Strang in der Tradition und Kontinuität dieses klinischen Praktikums über mehr als 60 Jahre vom Sonderlehrgang bis zum heutigen Bachelorstudium rekonstruieren.
Aus der Generationenperspektive betrachtet kann man sich vorstellen, dass die medizinischen, sozialen, gesellschaftlichen und nicht zuletzt gesundheitspolitischen Kontexte von 1962 und 2024 gänzlich verschieden voneinander sind. Waren es damals Kinder mit sog. „Entwicklungsstörungen“ (u.a. Rett-Syndrom), die im Fokus der ersten musiktherapeutischen Behandlungserfahrungen angehender Musiktherapeut:innen standen, so ist man heutzutage in diesem Feld mit gänzlich anderen Realitäten und Herausforderungen in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen konfrontiert: Depression, Suizidalität, selbstverletzendes Verhalten, Trauma und Sucht stehen oft im Vordergrund und treffen mit der Vielschichtigkeit von belastenden Lebensereignissen, Krisen und emotionaler wie sozialer Vernachlässigung zusammen. Die Entwicklungsaufgaben im Kindes- und Jugendalter haben sich verändert, sind – bedingt durch u.a. gesellschaftliche, technologische, wirtschaftliche und kulturelle Veränderungen – komplexer geworden, sowohl im Hinblick auf die Herausbildung und Stabilisierung von Identität als auch auf neu hinzugekommene Anforderungen wie etwa die Entwicklung von Kompetenzen im Umgang mit digitalen und sozialen Medien.
Auch die methodischen Herangehensweisen der Musiktherapie haben sich verändert, erweitert und differenziert, ebenso wie das therapeutische Beziehungsverständnis, die Pluralität und Diversität der für unsere Arbeit hilfreichen Konzepte und Möglichkeiten. Der von A. Wesetzky vertretene pädagogisch-behavioristische Ansatz verlor in Wien schon ab den 1980er Jahren an Bedeutung, als sich das psychotherapeutische Paradigma in der Wiener Musiktherapie im Zusammenwirken humanistischer und tiefenpsychologischer Denk- und Handlungsansätze durchsetzte. Die therapeutischen Mittel, insbesondere auch das verfügbare Instrumentarium, der Einbezug elektronischer Medien und die Zugänglichkeit von Musik eröffnen heute neue Möglichkeiten der nonverbalen Kontaktgestaltung und verfeinern den differenziellen Einsatz des musiktherapeutischen Handwerkszeugs.
An dieser Stelle nun noch einmal zurück zu der beschriebenen Erfahrung in der Teamklausur: Zu bemerken, dass besonders wichtige Bestandteile der Lehr- und Lernkultur einer Musiktherapieausbildung sowohl bewahrt als auch erneuert werden können, stärkt das Gefühl von Identität. Zur Ausbildungskultur gehört das Vorhandensein von Strukturen – im beschriebenen Fall waren das die institutionellen Rahmenbedingungen und ein gewisses Ansehen des klinischen Praktikums bei der ärztlichen Leitung – ebenso dazu wie das Zugestehen von Gestaltungsfreiräumen und Möglichkeiten, es „anders“ zu machen als bisher. Auch die Bereitschaft Klieines Teams, Veränderungsprozesse und Paradigmenwechsel zu durchleben, die durchwegs konfliktreich und schmerzhaft sein mögen, ist Bestandteil einer Kultur über die Generationen hinweg. Dass das Entdecken von so etwas wie einer „DNA“ in der Tradition eines einzelnen klinischen Praktikums, das ja nur eines von zahlreichen Rädchen eines Studienganges darstellt, so ein warmes, besonderes Gefühl in der Teamklausur bewirkte, zeigt mir, wie wertvoll das Bewusstsein für Geschichtlichkeit und das Wissen um Kontinuität sein kann – für die ältere Generation, um loszulassen und für die jüngere Generation, um souverän, verantwortungsvoll und zuversichtlich arbeiten zu können.
Was beschäftigt junge Menschen heute?
Ein Blick auf die aktuellsten Ergebnisse der 19. Shell-Jugendstudie 2024 (Albert et al., 2024), die auf den Daten von 2.509 Jugendlichen im Alter von 12 bis 25 Jahren in Deutschland basieren, zeigt eine überraschend hoffnungsfrohe Tendenz. Auch wenn sich das Resümee im Untertitel der Studie als „Pragmatisch zwischen Verdrossenheit und gelebter Vielfalt“ ausdrückt, verdeutlicht die Studie, dass Jugendliche in Deutschland trotz Sorgen um Klimawandel, Krieg und wirtschaftliche Unsicherheiten mehrheitlich optimistisch in die Zukunft blicken. Politisches Interesse und Engagement sind gestiegen und soziale Gerechtigkeit sowie Nachhaltigkeit sind zentrale Themen. Die Ergebnisse zeigen auch auf, dass sich viele Jugendliche sehr differenziert mit den aktuellen Krisen auseinandersetzen, deren Konsequenzen einschätzen und in Bezug auf das eigene Leben auch spüren, sich aber nicht grundlegend entmutigt fühlen. Bedenkt man, dass das Durchschnittsalter der Studierenden im neuen Bachelor-Studium Musiktherapie – also der vierten Generation der Wiener Schule – zum Studieneintritt 24,3 Jahre beträgt2 und geht man von Ähnlichkeiten zwischen österreichischen und deutschen Populationen aus, so ist anzunehmen, dass ein großer Teil von ihnen unter die in der Shell-Studie repräsentierte Generation junger Erwachsener fällt.
Musiktherapie-Studierende im Fokus
Aus der Alters-Spannbreite der aktuell aktiven Wiener Musiktherapiestudierenden mit Geburtsjahren zwischen 1985 und 2005 geht hervor, dass die Generationen Y und Z ausgewogen vertreten sind. Ich möchte nun gar nicht auf die den einzelnen Generationen zugeschriebenen Merkmale eingehen, etwa in Bezug auf unterschiedliche Verortungen zwischen pluralistischen und individualistischen Lebenshaltungen, die Einstellung zu Arbeit und Erfolg oder den Stellenwert von Familie und Partnerschaft.
Vielmehr scheint mir die Annahme lohnend, dass viele zentrale Themen über die vergangenen Jahrzehnte hinweg Bestand haben – etwa die Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Problemen – diese heute aber viel tiefer und vielschichtiger betrachtet werden als früher. Im Rahmen der Musiktherapieausbildung tragen die Studierenden wesentlich dazu bei. Einige Beispiele:
- Zur Zeit der zweiten Generation beschäftigte man sich intensiv mit der Stellung der Frau in der Gesellschaft, mit einem Fokus auf Frauenrechte, emanzipatorische und feministische Aspekte. Studierende von heute haben einen durchaus umfassenderen Blick auf genderrelevante Themen und deren Erweiterung durch diskriminierungssensible Konzepte der Machtkritik oder Intersektionalität.
- Galt die Aufmerksamkeit nach der Psychiatriereform Ende der 1970er Jahre den Rechten von Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen, wieder in die Gesellschaft eingegliedert zu werden, so geht es heute vielfach um die Sensibilisierung für und Antistigmatisierung von psychischen Erkrankungen jeder Art, darum, den Zugang zu institutioneller Unterstützung entgegen gesellschaftlicher Isolation und Tabuisierung psychosozialer Belastung zu ermöglichen und schließlich auch um gesundheitsökonomische Fakten.
- War Umweltaktivismus damals noch ein relativ neues Thema, dem sich vereinzelte lokale und nationale Initiativen widmeten, so bringen viele Studierenden heute bereits sehr mannigfaltige Erfahrungen und Kompetenzen durch klimapolitische Engagements und politischen Aktivismus mit. Neben einem aktuell institutsintern organisierten Gedankenaustausch in Form eines „ThinkTanks“ mit Musiktherapiestudierenden gibt es auch universitätsweite partizipative Plattformen und Initiativen z.B. zur Auseinandersetzung mit der Klimakrise und der Rolle von Kunst/Musik im Kontext des Klimawandels, in die Studierende sich aktiv einbringen können.
- Auch die Fortschritte in Technologie und Digitalisierung beschäftigten die Menschen aller Generationen und unterliegen insbesondere in den vergangenen Jahrzehnten einem rasanten Wandel. Als „Digital Natives“ verfügen die meisten Studierenden heute nicht nur über vielfältige mediale Skills, sondern sind auch sehr sensitiv gegenüber der ethischen Verantwortung etwa im Umgang mit sensiblen Daten oder der konstruktiven Nutzung von künstlicher Intelligenz.
Mit ihrem Wissen und ihrem Engagement bereichern Studierende nicht nur den akademischen Diskurs, sondern sie können auch die Erfahrung machen, dass die Themen, die sie beschäftigen, Relevanz haben und sie mit ihren Kompetenzen wie auch ihren Bedürfnissen Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung und Weiterentwicklung des Musiktherapiestudiums (und darüber hinaus) nehmen können.
Es liegt nahe, dass es gewisse Übereinstimmungen zwischen den Themen der Studierenden und jenen der Patient:innen, insbesondere von Jugendlichen und jungen Erwachsenen gibt. Auch das lässt sich als eine wichtige Ressource verstehen und bringt mit sich, dass die im Rahmen der Musiktherapieausbildung eingebrachten Kompetenzen und Erfahrungsbereiche der heutigen Studierenden auch maßgeblich zur Weiterentwicklung und Zukunft des musiktherapeutischen Berufes beitragen werden.
Was hat das nun mit der Wiener Schule zu tun?
Der Blick auf die Geschichte der Wiener Musiktherapieausbildung über die Generationen lässt erkennen, dass es sich bei der Wiener Schule um kein statisches Modell handelt, vielmehr um ein dynamisches, sich veränderndes, auch ein sich anpassendes, in dem Prozesshaftigkeit und Weiterentwicklung eine große Rolle spielen. Sie bietet einen breiten Boden, der die Integration zeitgemäßer Themen ermöglicht. Dass im Laufe ihrer Geschichte bereits viele Prozesse, auch schwierige und konfliktreiche, durchlebt worden sind, mag wesentlich zur Toleranz gegenüber Veränderung und Wandelbarkeit beigetragen haben und begünstigt die Offenheit für neue Entwicklungen.
Ein aktuelles Forschungsprojekt in Kooperation zwischen dem Wiener Institut für Musiktherapie (WIM) und dem WZMF – Wiener Zentrum für Musiktherapieforschung widmet sich der inhaltlichen Aktualisierung des klinisch-differenziellen Verständnisses der Wiener Schule im Sinne einer Standortbestimmung3. Mit dieser Bestandsaufnahme wird bewusst das Kollektiv von Musiktherapeut:innen mit Bezug zur Wiener Schule genutzt, um Prägungen durch die Ausbildung wie auch hinzugekommene Konzepte, die für die musiktherapeutische Praxis relevant sind, zu identifizieren. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass über die bekannten Kernelemente hinaus neue Themen und Bezugsfelder auftauchen, die nach Integration streben. Es wird eine wichtige Aufgabe dieses Projekts sein, einen Rahmen für den generationenübergreifenden Diskurs bereitzustellen, in dem sich jene Inhalte herauskristallisieren können, die für gegenwärtige und zukünftige Generationen relevant, zeitgemäß und identitätsstiftend sind und an die Herausforderungen der Zeit anschließen können. Insofern schauen wir mit optimistischer Freude in die Zukunft und sind neugierig auf die Entwicklungen in den nächsten Generationen.
Danksagung
Mein besonderer Dank gilt Dr. Elena Fitzthum für den wertvollen Gedankenaustausch während der Manuskripterstellung.
Literatur
Albert, M., Quenzel, G., de Moll, F., Leven, I., McDonnell, S., Rysina, A., Schneekloth, U. & Wolfert, S. (2024). Jugend 2024–19. Shell Jugendstudie. Pragmatisch zwischen Verdrossenheit und gelebter Vielfalt. Verfügbar unter: https://www.shell.de/ueber-uns/initiativen/shell-jugendstudie-2024.html [30.12.2024].
Fitzthum, E. & Mössler, K. (2021). Wiener Schule der Musiktherapie. In H.-H. Decker-Voigt & E. Weymann (Hrsg.), Lexikon Musiktherapie (3., vollständig überarbeitete und erweiterte Aufl age; S. 675–680). Göttingen: Hogrefe.
Mössler, K. (2008). Wiener Schule der Musiktherapie: Von den Pionieren zur Dritten Generation (1957 bis heute). Wien: Praesens.
Schmidt H.-U. (2024). Übergänge. Musik und Gesundsein, 46, 20–23.
Smetana M., Fitzthum, E., Schmucki, A. & Stegemann, T. (2024). Wie können Übergänge gestaltet und moderiert werden? Musiktherapeutische Umschau, 41(1), 97–108.
1 Ausführliche Literaturangaben können bei der Autorin erfragt werden.
2 Diese Angabe beruht auf der Berechnung der Daten aller bisherigen fünf Kohorten von Bachelor-Studierenden mit Studieneintritt 2020–2024. Der Median beträgt 22,8 Jahre bei einer Spannweite von 19,4 bis 37,6 Jahren.
3 https://www.mdw.ac.at/wzmf/wienerschule/
Monika Smetana
Professorin für Musiktherapie und stv. Leitung des Instituts für Musiktherapie der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Musiktherapeutin in freier Praxis, Vorstandsmitglied des Wiener Instituts für Musiktherapie (WIM), Redaktion der Musiktherapeutischen Umschau.
mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien Metternichgasse 12, 1030 Wien, Österreich
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