Editorial

Instrumente – ihre irdische und weitere Funktionen


„…lobt mit Pauken und Chören, lobt mit Saitenspiel und Orgeln, lobt mit wohlklingenden Glocken…“
Ein historischer, formelhafter Appell frühester Musiktherapeuten, mit der sie „interaffektiv“ ihr Handwerk, also ihre Instrumente loben?
Damit hier weitergelesen wird von denen, die mit dem lieben Gott wenig bis nichts am Hut haben, ließ ich den Adressaten des Lobes erstmal weg. Er ergibt sich aus dem 100. Psalm, zitiert aus einem Werk des Dominikanerpaters Fray Tomas de Santa Maria in seinem Werk „Anmut und Kunst beim Clavichordspiel“ (Madrid 1565), in welchem eine Fülle steckt von weniger frommen als begeisterten Feststellungen der Wirkung von Instrumenten auf den Menschen, auf den spielenden wie auf den hörenden, auf den gesunden präventiv wie auf den bedürftigen therapeutisch. Sogar das heute supermoderne Stichwort der „Salutogenese“ findet sich in diesem Zusammenhang und zwar ausdrücklich in Bruder Tomas’ Anregungen zum freien Spiel (Fantasien).

Hochwürden formuliert auch: „…Musik ist ein nicht geringes und treffliches Mittel (…)in klingenden Instrumenten, wohlangemessen dem menschlichen Verstand.“
Denken wir zum „Verstand“ unsere Seele hinzu, wissenschaftsdeutsch: unsere Psyche und außerdem unsere somatische-vegetative Reaktion auf instrumentale Musik – und vokale sowieso – dann ist es zu den gegenwärtigen „Appellen“, die das heutige Instrumentarium in einer wohlausgestatteten Musiktherapie- Räumlichkeit einen Schritt von der Länge eines Haares entfernt. Denn was sich im „Appellspektrum“ des Handwerkzeuges der Musiktherapie von heute findet, was all diese in diesem Heft appellreich beschriebenen, photographierten und noch appellativer klingenden ausmacht, sind teilweise ganz neu und musiktherapie-bezogen in den modernen Instrumentenbauerstuben entwickelte Instrumente, aber überwiegend kreative Varianten desjenigen Instrumentariums, das schon ein Bruder Thomas kannte und nutzte.
Die Form des Instruments wirkt schon vor dem Spiel auf unser Unbewußtes und das unserer Patienten, ebenso die Farbe, die Materialbeschaffenheit, die Größe oder Winzigkeit. Nach welchem Instrument ein Mensch greift und was er vermeidet – nichts ist Zufall. Weder christlich beim Thomas noch tiefenpsychologisch. Siehe die Diagnostik, die nur uns Musiktherapeuten zur Verfügung steht („Appellspektrumsana­lyse“ u.a., Literatur gerne über die Redaktion).
Vor diesem Hintergrund sind die Schwerpunktthemen dieses Heftes gestaltet worden von Musiktherapeuten und Instrumentenbauern, von (Er-) Findern natürlichster Instrumente wie den „Summsteinen“ und „Öko-Instrumenten“ ebenso wie von konstruierten elektronischen, digital funktionierenden Instrumenten, unter denen die letzteren ein Bruder Tomas allerdings den Satan ausgemacht hätte. Und den hätte er wieder mit was ausgetrieben? Mit Instrumenten, quasi homöopathisch…
Unsere Rubriken führen uns beim „Klinikspaziergang“ nach Burgau zu Maret Jochheim. Dörthe Siegmund gibt uns im Spektrum der Ausbildungslandschaft Einblicke in das private Berliner Institut für Musiktherapie (nach der bisherigen Serie über die staatlichen Ausbildungsstätten für Musiktherapie).
Die Hochschulnachrichten beinhalten Erfreuliches wie Trauriges, in jedem Fall aber Entwicklungsschritte, die sich oft hinterher als Klärungshilfen erweisen.
Aktuell sind die Berichte von Gitta Strehlow über den 13. Weltkongress für Musiktherapie in Korea und von Thomas Jüchter über die „Singenden Krankenhäuser“ sowie die Rezension von Hans-Ulrich Schmidt über das neue Werk von Thomas Wosch, Kollegen über Kollegen…immer spannend, was in und zwischen den Zeilen steht.
Meine Kolumne soll „trösten“, wer sich nach der guten alten Musiktherapie sehnt.
Das Werk von Bruder Tomas de Santa Maria wurde nicht nur auf Kosten seines irdischen Königs, Philipps II von Spanien, gedruckt – der König hat es auch noch gelesen und nachdrucken lassen. Er war selbst Musiker von Rang und vor allem mit Liebe gefüllt zu seinen Instrumenten.
Die MuG wird (noch) nicht vom Kanzleramt oder Bundespräsidialamt gelesen, geschweige gesponsert, aber von Ihnen! Und Sie, unsere LeserInnen, haben hoffentlich mehr Zeit und Leidenschaft für die Lektüre und ihrer mancherlei praktische Umsetzung als die Vorgenannten in ihren Ämtern.

 

Ihr
Hans-Helmut Decker-Voigt


(für den Herausgeberkreis)