Musiktherapie im Ausland

Musiktherapie in Lettland

Von Mirdza Paipare und Sophia Kistenmacher

 

In Lettland ist Musiktherapie derzeit noch ein ziemlich exklusiver Beruf, der erst allmählich anderen Fachleuten, darunter auch Ärzten, bekannt wird.
Heute ist die lettische Musiktherapie stark mit den europäischen Entwicklungen dieses Faches verknüpft, ohne dabei die eigenen Wurzeln zu verlieren. Die lettischen Stimmen, ihre Lieder, ihre Gesangs­tradition gehören dabei als erstes genannt. Auch in Lettland gehört, wie in den benachbarten baltischen Staaten, die „Singende Revolution“ zu den prägendsten gesellschaftlichen und biographischen Erfahrungen. Mehrere Wochen und Tage sangen die Letten 1991 mit all ihrer Singkraft für die Befreiung von der ungeliebten Sowjetherrschaft und stärkten sich damit selbst. „Das kann man nie vergessen“, so sagen die Letten heute darüber.

Europäische Orientierung

Die Musiktherapie ist als praxisorientierte Wissenschaftsdisziplin ein Resultat der Integration von verschiedenen Wissenschaftsbereichen. Sie ist eine der neuesten Berufstätigkeiten, die breite Zulassung und Anerkennung in verschiedenen Ländern bekommen.
In Lettland wird Musiktherapie als eine Form der Gesundheitsversorgung definiert, die in ihrer Anwendung Musik, kreative Prozesse und Reflexion des Klienten/Patienten einschließt. Somit wird in der Musiktherapie die Musik und das hierauf bezogene Reagieren und Reflektieren als Widerspiegelung der individuellen Entwicklung, Interessen, Schwierigkeiten und Konflikte betrachtet.
Musiktherapie ist eine der besonderen Formen der künstlerischen Therapien, die mit Hilfe von musikalischen Ausdrucksmitteln verschiedene psychosoziale Probleme als auch Gesundheitsprobleme lösen oder mindern kann. Durch Musizieren und Reflexion werden sowohl die emotionale und psychische Integration verbessert, als auch verschiedene störende Symptome vermindert.
Es gibt für künstlerische Therapeuten vier Spezialisierungen: Musiktherapie, visuell-plastische Therapie, Tanz- und Bewegungstherapie und Drama-Therapie. Die Grundsätze der künstlerischen Therapien und die Tätigkeit der künstlerischen Therapeuten werden sowohl über das Berufsbild als auch durch die Berufsordnungen und Satzungen der Fachgesellschaften und Berufsverbände bestimmt. Künstlerische Therapie gilt in Lettland als ein bestimmtes Verfahren innerhalb der Medizin und der „Künstlerische Therapeut“ ist eine gesetzlich geregelte und geschützte Berufsbezeichnung. Um ein künstlerischer Therapeut werden zu können, muss man eine entsprechende Ausbildung und nachfolgende berufliche Qualifikation bekommen: Magister des Gesundheitswesens und Qualifikation „Künstlerischer Therapeut“ an der Stradins-Universität in Riga oder der Universität in Liepaja.


Ziele der Musiktherapie (nach Henk Smeijsters)

Ziel der Musiktherapie ist die Verbesserung und/oder Entwicklung von physischer, emotionaler, kognitiver und sozialer Gesundheit, die nur im Kontext mit den Bedürfnissen des Klienten/Patienten oder einer Gruppe mit Hilfe einer multiprofessionellen Gruppe gelöst werden können.
Im Gesundheitswesen mit den Bereichen der Therapie, Rehabilitation und Prophylaxe geht es um die Minderung von Symptomen einer Erkrankung sowohl für Erwachsene als auch für Kinder mit physischen, psychischen oder geistigen Störungen.
Musiktherapie (MT) wird hier zum Beispiel eingesetzt als sensorische und auditive Stimulation für früh geborene Kinder. Dabei bewirkt MT eine Intensivierung der Körperwahrnehmung und Verbesserung physiologischer Parameter (Sauerstoffsättigungsgrad im Blut, Herz-Pulsfrequenz). Besondere Methoden der MT können Angstgefühl und innere Unruhe bei Kleinkindern mindern, bei neurologischen Erkrankungen hingegen (nach einem Herzinfarkt, Schlaganfall u.ä.) werden die motorischen Funktionen und Sprachfähigkeiten erneuert.
Für Personen, die über eigene Probleme nicht sprechen wollen oder können, kann MT innere Konflikte erklären.
Im Sozial- und Bildungswesen ist das Ziel der MT die Verbesserung des emotionalen, physischen als auch des psychischen Wohlbefindens, was Denkart, Benehmen und Lebensart des Klienten ändern und dadurch die Hauptprobleme beeinflussen kann. Somit ist der Einfluss der MT mit der Änderung des Selbstbewusstseins, der Interaktion und Kommunikation sowie der Entwicklung der kommunikativen Fähigkeiten verbunden.
Musiktherapie, ähnlich wie andere therapeutische Maßnahmen, wird auch bei unheilbaren Krankheiten (Palliativversorgung) angewandt. In diesem Fall wird die Aufmerksamkeit auf die Akzeptanz der Situation und (befristete) Verbesserung der Lebensqualität gerichtet.


Von der informellen Ausbildung zum Beruf in Lettland

Vier Faktoren beeinflussen diese Entwicklung: der sozial-politische Hintergrund, die Traditionen von Kultur und Kunst, menschliche Ressourcen und die Rechtsverhältnisse, die bestimmend für die Existenz dieses Berufes und notwendig für die Definition von Kompetenz, Status, den Rechten und Verpflichtungen sind.
Die Entwicklungsphasen des Berufes in Lettland beginnen mit der Gründungstätigkeit von Fachkräften (Dr. rer. medic., Dr. h. c. Rainer Haus / Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, Universität Witten-Herdecke; Schirmherrschaft Prof. Dr. med. W. Andler, Lehrstuhl für Pädiatrie der Universität Witten-Herdecke 1994–2010).
Es folgen Weiterbildung und Curriculumentwicklung (Seminare 1998–2002), sowie der Beginn der formellen Ausbildung (2002). Beginnend mit dem Jahr 2004 bis heute setzen wir uns das Ziel, den Aufbau der Infrastruktur für eine landesweite musiktherapeutische Versorgung in Lettland, sowie die Gründung einer berufsständischen Gesellschaft für Musiktherapeuten zu erreichen.
Weitere Schritte waren die Mitgliedschaft dieser Gesellschaft in der European Music Therapy Confederation EMTC seit dem Jahr 2000, eine erste musiktherapeutische Tagung in Liepaja 2005, die Lizensierung des Studienprogramms „ Musiktherapie“ 2003 und die Akkreditierung des Magisterprogramms bzw. Masterabschluss 2006 mit dem Magistergrad im Gesundheitswesen und der Berufsqualifikation „ Magister in der Musiktherapie“.
Die Forschung und die Entwicklung der Ausbildung sowie die Zusammenarbeit mit Kollegen außerhalb Lettlands sind entscheidende Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bestehen dieses Berufs. Es ist dabei wichtig, den Kontakt mit Arbeitgebern und innerhalb der lettischen Gesellschaft überhaupt aufzubauen und zu pflegen, da die Anerkennung und die Vertrautheit mit dieser Disziplin die Voraussetzungen für das Bestehen der Musiktherapie sind.
Namhafte internationale Vertreter dieses Faches waren in all diesen Jahren zur Leitung von Seminaren eingeladen: Joseph Moreno, USA (Psychodrama and Music, 2004), Tony Wigram, UK, der dreimal in Liepaja lehrte, Jaako Erkkila / Esa Ala-Ruona aus Finnland. Aus Deutschland unterrichteten in ihren jeweiligen Methoden Monika Noecker–Ribaupierre, Regina Neuhäusel, Peter Hoffmann, Ilse Wolfram, Tonius Timmermann und Ines Kandert.
Reiner Haus als Stifter dieses Programms besucht uns jedes Jahr.


Das Studienprogramm an der Universität Liepaja

Ein Ziel des Studienprogramms ist es, die Möglichkeit zu schaffen, eine qualifizierte Berufsausbildung in der Musiktherapie zu bekommen, welche die Fachkräfte auf theoretischem und praktischem Niveau auf die Anforderungen des Arbeitsfeldes vorbereitet und befähigt, Kinder und Erwachsene in ihrer Integration in die Gesellschaft zu fördern und ihre Lebensqualität zu verbessern.
Die Aufgaben liegen dabei in der Vermittlung von theoretischen und praktischen Kenntnissen in MT, in den Bereichen Sozialpädagogik, Psychologie und Medizin, um die Kompetenz der Fachkräfte unter Einbezug von produktiven und kritischen Denkmethoden zu erweitern.
Weitere Aufgaben sind die Auswertung praktischer Methoden, der Erwerb von Kenntnissen über die Planung der musikalischen Interventionen und deren Dokumentation, die Auswahl von passenden therapeutischen Methoden in Übereinstimmung mit den Bedürfnissen des Patienten sowie dem Patienten die musiktherapeutischen Prozesse und Ergebnisse zu erklären. Außerdem ist es wichtig, sich wissenschaftliche Reflexionsmethoden anzueignen, die Fähigkeiten für Forschung zu verbessern, um in diesem Bereich forschen und die Forschungsergebnisse widerspiegeln zu können. Es müssen auch Fertigkeiten in der Organisation der musiktherapeutischen Arbeit, Kommunikation und Verwaltung erworben werden sowie die Motivation der Studenten als zukünftige künstlerische Therapeuten für weitere Ausbildung, Initiative und Verantwortung erhöht werden.
Das Studienprogramm umfasst 100 Kreditpunkte (150 ECTS). Mit dem Abschluss wird die Qualifikation „Künstlerischer Therapeut in der Musiktherapie“ erreicht. Das Diplom ist ein Magister 2. Grades (Aufbaustudiengang mit Masterabschluss/postgraduated level).
Die Anforderungen für das Erreichen dieser Qualifikation sind: erfolgreiche Aneignung der beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten, erfolgreiche praktische Tätigkeit, die die berufliche Kompetenz bestätigt, und eine Magisterarbeit auf gutem Niveau.
Das Programm umfasst allgemeine Kurse (A) mit 12 KRP/18ECTS und theoretische Grundkurse. Zu einem Teil B gehören diejenigen Kurse, die soziale, kommunikative und organisatorische Kompetenz zum Ziel haben mit 15 KRP/22 ECTS, sowie Kurse der beruflichen Spezialisierung (21 KRP/ 32 ECTS) und Praxis (26 KRP/39 ECTS). Im Programmteil C finden Kurse nach freier Auswahl mit 6 KRP/9 ECTS und das Ausarbeiten einer Magisterarbeit (20 KRP/30 ECTS) statt.
Zu Teil A gehören Pädagogik und Psychologie, Sozialpsychologie, Entwicklungspsychologie, Klinische PS, Kontaktpsychologie und Musikanthropologie.
Zu Teil B zählen Anatomie und Physiologie, Neurophysiologie, Sozialpädiatrie, Psychotherapie, Psychiatrie und Psychosomatik, Erste Hilfe und Nothilfe sowie eine Reihe von berufsspezifischen Kursen. Diese sind Einleitung in die Musiktherapie, Forschung und Auswertung in MT, Theorie und Konzeption in MT, Kunsttherapie, Methodik der Musiktherapie in der individuellen Arbeit und Gruppentherapie mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, Improvisation und Selbsterfahrung (Klavierspiel, Bewegungstherapie und Vokale Gestaltung) und Beratung – individuell und in Gruppen.
Teil B schließt auch die Praxis ein. Dies ist eine Beobachtungspraxis im zweiten Semester, eine sechswöchige Arbeit mit Kindern und Jugendlichen im dritten (9 ECTS) und mit Jugendlichen und Erwachsenen, individuell und in der Gruppe, im vierten Semester. Das fünfte Semester schließt ein vierwöchiges klinisches Praktikum als Vorbereitung für die Magisterarbeit ein. Im sechsten Semester schließlich ist ein zweiwöchiges Forschungspraktikum mit Zusammenfassung der Praxis und deren Resultate in einer Präsentation zu leisten(3 ECTS).
Im Teil C stehen zur freien Auswahl folgende Kurse: Tanztherapie, die Stimme und ihre Störungen, Neonatologie, Krankengymnastik, Sprachtherapie, MFED (Münchener Funktionelle Entwicklungsdiagnostik), Rechtliche Aspekte des Berufs, Gesundheit und Soziale Rehabilitation u.a.
Nach wie vor halten wir es für sehr wichtig, noch mehr Aufklärungsarbeit zu leisten und darüber zu informieren, welche Möglichkeiten und Wirkungsfaktoren die Musiktherapie heute hat.

 

 Die Autorinnen:

Mirdza Paipare
Dozentin an der Liepajas Universität, Magister music , Magister im Gesundheitswesen, Programmleiterin des Studienprogrammes Musiktherapie, Leiterin des Verbandes der Musiktherapeuten Lettlands, Delegierte Person in EMTC GA aus Lettland, Chordirigentin, künstlerische Leiterin des gem. Chores LAUMA.

Sophia Kistenmacher
Studentin des Studienprogrammes Kulturmanagement an der Liepajas Universität, Leiterin des akademischen Bereiches des Studentenrats der Liepajas Universität, Mitglied des Senats der Liepajas Universität.