Editorial

„Und ich habe doch nur am Anfang mitgetrunken, um meinen Mann besser steuern zu können …“


Wir, die wir in der Suchtarbeit standen und stehen, haben diesen Satz nicht selten gehört. Das Schwerpunktthema soll einem scheinbaren Nebenthema beim Thema Suchtkranke höchste Aufmerksamkeit widmen: Dem co-abhängigen Angehörigen. Diese Co-Abhängigkeit ist hier Hauptthema und oft dort, wo Suchtkranke (hier am Beispiel Alkoholsucht) systemisch begleitet werden, zeigt sich dann die „Parentifizierung“, wo Kinder zu Eltern ihrer sucht-, alkoholkranken Eltern werden müssen. Und es zeigt sich noch viel mehr, was Jens Flassbeck eindrucksvoll in Überblick, Einblick und mit Frau Freundlich als Fallbeispiel schildert.


Ebenfalls zum Schwerpunktthema schreibt Waltraut Barnowski-Geiser mit ihrem Beitrag „Tabu trifft … Musiktherapie“ gegen das Phänomen an, dass trotz aller Aufklärung und Hochsensibilisierung seit den 80er Jahren immer noch nicht einmal ausreichend Beratungs-, Therapie-, Forschungszentren bestehen. Aus den zu vielen „guten Tropfen“ entstehende Bäche und Flüsse können zu reißenden Strömen werden – nicht nur zu einer Volkskrankheit, sondern zu einer Völkerkrankheit. Welche Begünstigungen stellen unsere aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen her, dass sie gegen alles gehäufte Wissen weiter Suchtpatienten generieren in einem Maße, wie es die messende Statistik – seit es diese gibt – sie noch nicht maß. Im Rahmen der Rubrik „Praxisvorstellung“ schildert Tina Posselt ihre Praxis, wie sie aktueller, dringlicher und förderungswürdiger Art gegenwärtig kaum sein kann: Musiktherapie mit geflüchteten Menschen. 2013 gründete sie diese Initiative mit Kommilitonen als studentisches Projekt. Heute ist es ein Modell junger Musiktherapeutinnen, die eigeninitiativ und von vornherein interdisziplinär vernetzt mit Sozialarbeit, Gesundheitsbetreuung u. a. eine Arbeit leisten, die Pionierstatus hat. Formaler Nachteil: Die überwiegend ehrenamtliche Tätigkeit, was aber durch die Planungen weiterer Vernetzung mit musiktherapeutischen Flüchtlingshilfen in anderen Bundesländern (z. B. mit Augsburg, München) hoffentlich bald geändert werden kann.

Unser Klinikspaziergang führt diesmal mit dem Asklepios Westklinikum in die Nachbarschaft (von Hamburg aus gesehen) und durch C. Eigenwald und A.-L. Fiedler sind diesmal einheimische wie auswärtige Leser wieder einmal in einer Musiktherapie zu Gast, die ihre Patienten im Rahmen psychosomatischer Medizin und Psychotherapie begleitet.

Das Patienteninterview, das Alexandra Takats mit einem 41jährigen Burnout-Patienten führt, kann für sich allein als rarer, vertrauensvoller Einblick in die Seelenlandschaft eines Musiktherapie-Patienten für sich gelesen werden – aber auch verbunden werden mit dem Nachlesen eines Beitrags zum Thema Burnout unseres Mitherausgebers Prof. Dr. med. H.-U. Schmidt in MuG Nr. 24. Und zur Ermutigung in Sachen Geld dient der Beitrag nebenbei durch die Information des Patienten, dass seine Kasse problemlos die Musiktherapie-Behandlungskosten übernahm.
Berichte (S. Kunkel vom 25jährigen Jubiläum des Instituts für Musiktherapie Hamburg), Informationen (Hochschulnachrichten mit diesmal allerlei bedenkenswertem Werden, Wachsen und Vergehen von Studiengängen) und ein Rückblick von ehemaligen Studierenden auf den Würzburger Studiengang schließen an.
Die Kolumne von Thomas Stegemann ist wieder mal eine unnachahmliche Mischung aus wissenschaftlichem Feuilleton mit Satirespritzern und einer hinreißenden Einführung in die Geschichte vom Glückshormon und dem Acker, auf das es als Samen fällt: unser Hirnkasten. Bester Lernstoff in bestem Entertainment! Meine Kolumne dient auch ernsthaftem Zweck: Der Erziehung vom rechten Umgang mit ppt …
Danke der Verlegerin für den Platz dieser nicht immer direkt „klinischen Themen“.
„Kleine Hilfen“ für die Praxis schließen diese MuG ab. Selma Emiroglu beendet ihre Serie mit dieser MuG – ein herzlicher Dank von Redaktion und Herausgebern für die kreative Arbeit und ein herzliches Willkommen für Sabine Rittner, die ihre frühere Serie an dieser Stelle ab der nächsten MuG wieder aufnimmt!

In Bälde lässt der Frühling von Eduard Mörike wieder sein blaues Band flattern. Der dichtende Pfarrer sang übrigens an den Krankenbetten seiner Familie wie seiner Gemeinde fleißig Lieder „zur Genesung von Leib und Seele“.
Für die Wahrnehmung dieses blauen Bandes des Frühlings wünscht ausreichende und dankbare Wahrnehmung:

Hans-Helmut Decker-Voigt