Praxisvorstellung

Praxis Gravelotte in München

Von Ulrike Wanetschek, Marion Histermann und Henrike Roisch

1. Stellen Sie sich bitte kurz vor.
Wir sind das Praxisteam Musiktherapie München und nennen uns auch Praxis Gravelotte, nach der Straße, in der sich unsere Praxis befindet. Wir sind drei Musiktherapeutinnen, die gemeinsam am Freien Musikzentrum in München die Musiktherapieausbildung gemacht haben. Nach unserem Abschluss und unseren Zulassungen als Heilpraktikerinnen für Psychotherapie haben wir uns zu einem Praxisteam zusammengetan.

Ulrike Wanetschek: Ich bin diplomierte Opernsängerin und Musiktherapeutin und arbeite in unserer Praxis als Gesangspädagogin und Musiktherapeutin. Daneben leite ich verschiedene Chöre, z.B. den Aphasikerchor „Aphasingers“ und zusammen mit meiner Kollegin Marion Histermann einen Inklusionschor am Freien Musikzentrum München. Einmal die Woche bin ich in der Klinik Wartenberg (Geriatrie und Palliativmedizin) tätig. An der Berufsfachschule für Logopädie (IB Medau) habe ich eine Lehrtätigkeit.

Marion Histermann: Ich bin Ergotherapeutin und Musiktherapeutin und gehöre zum interdisziplinären Team der Therapieabteilung der Ernst-Barlach-Schulen der Stiftung Pfennigparade. In der Praxis arbeite ich vor allem mit Jugendlichen sowie mit Kleinkindern im Mutter-Kind-Setting. Außerdem mache ich Hausbesuche bei Demenzpatienten. Im Frauentherapiezentrum biete ich eine stabilisierende Trommelgruppe „Groove and Move“ für Frauen mit psychosomatischen und psychiatrischen Themen an. Zusammen mit der Musiktherapeutin Pauline Schulte-Tigges unterrichte ich das Fach „Praxis der Musiktherapie“ an der Döpfer Schule für Logopädie.

Henrike Roisch: Ich bin Soziologin und Musiktherapeutin. Seit meinem Abschluss arbeite ich in musiktherapeutischen Gewaltpräventionsprojekten, derzeit mit Jugendlichen an Schulen und mit jungen Flüchtlingen unter 18 Jahren. An Förderschulen leite ich musiktherapeutische Gruppen für Kinder von 6–11 Jahren. In diesen Kontexten arbeite ich mit Gruppen, in der Praxis dagegen mit Kindern und Erwachsenen im Einzelsetting. Seit einem Jahr unterrichte ich auch die Studenten der städtischen Fachakademie für Heilpä­dagogik im Fach Musiktherapie.


2. Welche Situation Ihres musiktherapeutischen Berufslebens lag vor der Eröffnung Ihrer ambulanten Praxis?
Wir haben relativ schnell nach unserem Abschluss in Musiktherapie vorgehabt eine Praxis zu gründen. U. Wanetschek und M. Histermann waren in ihren beruflichen Bereichen bereits musiktherapeutisch tätig und H. Roisch arbeitete in verschiedenen musiktherapeutischen Projekten an Schulen für die Stiftung Musikuz.


3. Wie sind Sie zu dem Beruf des Musiktherapeuten/der Musiktherapeutin gekommen?
UW: Die musikpädagogische Arbeit nahm einen immer größeren Teil in meinem Berufsleben ein. In meiner Grundausbildung konzentrierte sich alles darauf, Musik so perfekt und fehlerlos wie möglich wiederzugeben. Trotzdem war mir immer klar, dass Musik heilsam ist – und das nicht nur durch ihre Schönheit. Genau dieser Teil meiner Arbeit hat mich immer mehr fasziniert und ich wollte das fehlende Wissen durch die Ausbildung zur Musiktherapeutin mit Theorie, Selbsterfahrung und Praxis ergänzen.

MH: In meiner Arbeit als Ergotherapeutin sind immer musikalische Elemente mit eingeflossen. Zur Musiktherapie bin ich durch viele Erlebnisse und einige glückliche Zufälle gekommen. In Berlin arbeitete ich lange in einer integrativen Einrichtung mit Kindern und Jugendlichen, vor allem mit türkischem Migrationshintergrund im „Kottikiez“, damals ein so genannter „sozialer Brennpunkt“. Musik half Hindernisse zu überwinden, z.B. ein türkisches Kinderlied im Eltern-Kind-Setting. Einmal habe ich in einer Therapie miterlebt, wie ein mutistischer Junge über das Spiel mit Bewegung und Klängen, vom Tönen zum Schreien, und letztendlich wieder zum Sprechen gekommen ist. Das hat mich sehr bewegt.

HR: Bei mir war es der frühe Wunsch einer Abiturientin eines musischen Gymnasiums, die dann einen Umweg über das Studium der Soziologie gemacht hat. Diesen Umweg habe ich nie bereut, aber über die Jahre war die Musik, das Spielen auf dem Klavier und verschiedenen Instrumenten ein steter und wichtiger Begleiter und der Wunsch blieb. Heute bin ich sehr froh darüber, dass ich diesen Wunsch in die Tat umgesetzt habe.


4. Erzählen Sie bitte von den Rahmenbedingungen und der Konzep­tion Ihrer Praxis.
Wir arbeiten gerne im Team, denn dadurch können wir unseren Klienten ein vielfältiges musiktherapeutisches Angebot machen und unsere Kompetenzen bündeln. Vernetzung heißt für uns gegenseitige Unterstützung, Fortbildung, Supervision und Intervision zur Qualitätssicherung unserer musiktherapeutischen Arbeit. Der Ansatz unserer Arbeit ist tiefenpsychologisch. Die schwierigste Rahmenbedingung in München war, einen Raum zu finden, auch wegen der Lautstärke.


5. Wie sind Ihre Praxisräume eingerichtet? Nach welchen Kriterien haben Sie sie gestaltet?
Die Praxis befindet sich in einem ruhigen, begrünten Altbauhinterhof in Haidhausen. Sie ist verkehrsgünstig und doch geschützt gelegen. Sie soll für die Klienten ein sicherer Ort sein, an dem sie sich willkommen und wohl fühlen.
Beim Reinkommen sieht man das Klavier und ein großes Regal mit einer vielfältigen Auswahl von Instrumenten aus verschiedenen Ländern und Kulturen der Welt.
Im hinteren Raumteil stehen Sessel und eine Couch in einer ruhigen Ecke. Gegenüber stehen ein Klangbaum, daneben E-Gitarre, Verstärker und Mi­krofon.
Auf einem Teppich kann auch am Boden gearbeitet werden.


6. Mit welchen Anliegen, Leiden oder Krankheiten können sich Menschen an Sie wenden?
Unsere Praxis wendet sich an Menschen jeden Alters. KlientInnen mit psychischen und psychosomatischen Erkrankungen können uns aufsuchen. Wir sind da für Menschen in Krisen­situationen. Eltern können sich an uns wenden, deren Kinder unter Entwicklungsproblemen oder Bindungsstörungen leiden; ebenso Kinder, Jugendliche, Erwachsene mit Verhaltensstörungen in der Interaktion und Kommunikation, mit seelischer, körperlicher oder geistiger Behinderung. Wir sind auch für Klienten mit Stresssymptomen und Ängsten, chronischen Schmerzen und Tinnitus da. Klienten mit progressiven, chronischen und neurologischen Erkrankungen können sich gerne an uns wenden, allerdings ist der Zugang zur Praxis leider nicht barrierefrei. Wir bieten Therapien im Einzelsetting an und bei Bedarf machen wir auch musiktherapeutische Hausbesuche. Gerne leiten wir PatientInnen, denen unsere Praxis zu weit entfernt ist, an Kollegen weiter.


7. Was hilft in Ihrer Therapie? Nach welchem Konzept arbeiten Sie?
Uns allen ist gemeinsam, dass wir tiefenpsychologisch ausgebildet sind und ressourcenstärkend und prozessorientiert arbeiten. Eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung steht in unserer Arbeit an erster Stelle.
UW: in meiner Therapie spielt die Arbeit mit und an der Stimme eine große Rolle. Für mich ist die Stimme das direkteste und ehrlichste Instrument, das es gibt. Mit meinen Patientenchören und Gruppen arbeiten wir immer wieder auf Konzerte und Auftritte hin. Das gemeinschaftliche Erleben, die Freude über den musikalischen Erfolg und die zusammen gemeisterte Herausforderung setzen viele heilsame Kräfte frei.

MH: KlientInnen dabei zu unterstützen ihre Ressourcen und Potentiale zu entdecken, zu stärken und hörbar zu machen, ist mir besonders wertvoll. Gerne nehme ich die Musik meiner Klientinnen auf und stelle für sie eine CD zum Mitnehmen zusammen, nicht selten in der Funktion eines „Übergangsobjektes“. Musik und Stille mit allen Sinnen wahrzunehmen ist mir wichtig. Mir gefällt und hilft oft ein afrikanisches Sprichwort: „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man da­ran zieht“.

HR: Mein Ansatz ist tiefenpsychologisch und humanistisch. Ich achte sehr auf die gespielte Musik, auf Rhythmus, Klang, Melodie, Dynamik und Form und auf die Atmosphäre in der Stunde. Insbesondere verbinde ich die Musik gerne mit Malen, Bewegung, Atmen und Geschichten erzählen. Um welchen kreativen Bereich ich die Musiktherapie erweitere, hängt vom Klienten ab. Aus der Erfahrung meiner Therapiestunden möchte ich sagen: Humor ist wichtig. Im gemeinsamen Lachen über z.B. eine Melodie oder einen Ton liegt sehr viel Kraft.
8. Wie klingt die Musik, die Sie mit Patientinnen machen oder die Sie ihnen vorspielen?
UW: Immer wieder neu und anders. Die Vielfalt der Klänge überrascht mich immer wieder und macht die Arbeit jeden Tag aufs Neue spannend.

MH: Emotional, von aggressiv über beschwingt, gelangweilt, witzig, bis zaudernd, gemeinsam zweisam oder einsam, auf jeden Fall wertvoll, einzigartig, manchmal schräg, eher einfach.

HR: Leise, laut, rhythmisch, melodisch, traurig, fröhlich, jedes Mal anders. Die gespielte Musik entsteht aus dem Moment heraus. Die Antwort ist: Die Musik klingt jedes Mal anders, man spielt sie gezielt, lässt sich treiben und wird immer wieder von ihr überrascht. Das Angebot, gemeinsam auf dem Klavier Blödsinn zu machen, hilft vielen Klienten, sich ohne Ansprüche auf eine Improvisation einzulassen. Dabei wird viel gelacht und häufig ist das Erstaunen groß, wie gut es geklungen hat.


9. Schildern Sie bitte eine typische Situation aus Ihrem Berufsalltag.
Typisch und uns allen gemeinsam ist, dass wir viel unterwegs sind, weil wir in der Praxis und an vielen anderen Orten arbeiten: Wir haben immer einen Rucksack voller Instrumenten dabei.


10. An welche besonders schwierige, lustige oder glückliche Situation können Sie sich erinnern?
UW: Ich habe im Dezember 2013 ein großes Weihnachtskonzert mit all den Chören gemacht, die ich leite. Es war ein Experiment und eine große He­rausforderung für alle Beteiligten, verbunden mit viel Arbeit und Aufregung. Aber am Ende haben die drei Chöre gemeinsam vor und mit 400 Besuchern gesungen. Vorher dachte ich, dass es vor allem ein besonderes Erlebnis für die „Aphasingers“ sein wird. Aber alle Chöre waren nach dem Konzert von dem intensiven Gemeinschaftserlebnis beglückt. Das ist gelebte Inklusion.

MH: Besonders berührt hat mich, als eine Jugendliche ihre Familie mit Instrumenten aufgestellt hat und dabei zum ersten Mal ihr bei der Geburt verstorbener Zwillingsbruder sichtbar und dann auch hörbar wurde. Bei einem Jungen mit Waschzwang haben wir „Wassermusik“ komponiert. In einer großen mit Wasser gefüllten Schüssel haben wir mit langen Strohhalmen Melodien geblubbert, einzelne Worte dazu gesprochen oder mit dem Kazoo dazu gespielt und das Ganze mit dem Mikrofon verstärkt und verzerrt.

HR: Vorab muss ich sagen, dass unsere Praxis im Souterrain liegt, sehr hell ist und eine breite Fensterbank besitzt, in der Platz zum Schlafen ist, wenn man nicht größer als 1,20 ist und die Füße anzieht. Ein 8jähriger Junge hat sich dort mit Kissen und Decken hingelegt, mit Blick nach draußen in die Bäume und ist bei leisem Spiel auf dem Klavier dort eingeschlafen.
11. Welche Idee im Bereich der Musiktherapie würden Sie gerne verwirklichen, wenn Sie ausreichend Zeit und Mittel hätten?
Wir würden gerne einen Verein gründen, der es sich zur Aufgabe macht Spender und Stiftungen zu akquirieren, durch deren finanzielle Unterstützung es möglich wird, dass sich auch Menschen ohne finanzielle Möglichkeiten Musiktherapie leisten können. Musiktherapeutische Gruppenangebote und Musiktherapie im Einzelsetting werden häufig angefragt. Jedoch scheitert es an der Finanzierung. Auf dieser Basis könnte man viele Projekte verwirklichen: z.B. musiktherapeutische Einzelstunden und musiktherapeutische Gewaltpräventionsprojekte für Kinder und Jugendliche an Schulen, musiktherapeutische Angebote in Seniorenheimen und für verschiedene KlientInnen (Demenzpatienten, Kinder mit degenerativen Erkrankungen …), für Zuhause, Musiktherapie für Flüchtlinge, für verschiedene Therapiezentren etc. …

Praxisteam Gravelotte
Musiktherapie München
Ulrike Wanetschek, Marion Histermann, Henrike Roisch (v.l.n.r.)
www.musiktherapie.muenchen.de