Schwerpunktthema II
Ein musiktherapeutischer Versuch zur Burnout-Prävention bei Studierenden
Von Martina Pohl
Der Begriff „Burnout“ ist heutzutage in aller Munde. Google weist bei diesem Begriff aktuell 9.700.000 Treffer auf. Ursprünglich bei helfenden Berufen beschrieben, scheint sich das Burnout-Syndrom vom Randproblem zum Massenphänomen zu entwickeln.
Seinen Ursprung hat der Begriff in der Arbeitswelt, jedoch spricht man mittlerweile bei Managern wie Hausfrauen von Burnout. Das Syndrom scheint sich durch sämtliche Berufsgruppen zu ziehen. Naheliegend ist es daher, sich einen Überblick zu verschaffen, ob auch der Bereich der Studierenden betroffen ist und welche Präventionsmöglichkeiten die Musiktherapie bieten kann. Dies waren die Grundüberlegungen für meine Masterarbeit an der Westfälischen-Wilhelms-Universität Münster zum Thema „Burnout-Prävention bei Studierenden – ein musiktherapeutischer Versuch“, aus der ich hier Auszüge vorstellen möchte.
Zunächst soll eine Definition von Burnout zugrunde gelegt werden, wobei festzuhalten ist, dass sowohl Herleitungen als auch Definitionen des Begriffs sehr vielfältig und schwer einzugrenzen sind. Nach einer Einführung in grundlegende Stressoren- und Ressourcenüberlegungen stelle ich meine praktische Arbeit mit einer Gruppe von Studierenden vor, welche aufgrund von Aspekten der Ressourcenaktivierung unter dem Thema „Reif für die Insel“ an einem musiktherapeutischen Seminar bei mir teilnahmen.
Über den Ursprung des Burnoutbegriffs sowie dessen Abgrenzung zur Depression streiten sich die Experten damals wie heute. Festhalten lässt sich folgendes: Der Burnout-Begriff entwickelte sich wahrscheinlich aus dem früheren Neurastheniekonzept, welches vom medizinisch-psychologischen Fachlexikon Pschyrembel mit Nervenschwäche gleichgesetzt wird. Sowohl bei der Neurasthenie als auch beim Burnoutsyndrom gibt es zwei Hauptsymptomgruppen:
Psychische Erschöpfung (dauerhaftes Abnehmen der Belastbarkeit und erhöhte Müdigkeit) und physische Erschöpfung (körperliche Schwäche, Kopf-, Gliederschmerzen, Schlafstörungen, Benommenheit, Reizbarkeit, Unfähigkeit zu Entspannen.) (vgl. WHO 2010: 209) Bei aller Weitläufigkeit und Unschärfe des Begriffs lassen sich emotionale Erschöpfung, Depersonalisierung (die innere Distanzierung von Patienten) und reduzierte persönliche Leistungsfähigkeit als Leitsymptome festhalten. (vgl. Hillert 2008: 15f.)
Im Gegensatz zur Neurasthenie wird der Begriff des Burnouts meist in der Arbeitswelt verortet. Dem Burnoutsyndrom vorangehend wird außerdem ein s. g. Burnoutprozess beschrieben. Dieser Prozess läuft über verschiedene Phasen und startet häufig mit Idealismus, führt über fehlende Anerkennung und Überforderung zu Hilflosigkeit und schließlich zu Selbstbeschuldigungen, Zynismus und dem Vollbild des Burnout-Syndroms. (vlg. Fengler in Theissing 1991: 156f.)
Es wird davon ausgegangen, dass Situationen, Einstellungen, Gefühle, soziale Kontakte etc. sich positiv wie negativ auf eine Person auswirken können und sich gegenseitig beeinflussen. Der Grund einer Erkrankung liegt somit in einem Ungleichgewicht von Stressoren und Ressourcen. Stressoren sind dabei alle Faktoren, die eine emotionale, geistige oder körperliche Anpassung von der Person verlangen und negativ auf Gefühle und Körper der Person wirken können. Wichtig ist dabei der individuelle Umgang der Person und die kognitive Verarbeitung der Situationen. (vgl. Chiroco 2010: 33f.) Biologisch passiert bei Dauerstress folgendes: Bei ständiger Anspannung und Überforderung wird der Körper in einen andauernden Zustand von Stress versetzt. Weil sich Adrenalin und Noradrenalin nur langsam abbauen, befindet sich der Körper in einem permanenten Alarmzustand. Es entstehen Nervosität, Reizbarkeit, Schlafprobleme, Appetitlosigkeit etc. Dieser negative Zusand wird als Dis-Stress bezeichnet.
Wichtig für ein gesundes Gleichgewicht ist die Gegenwirkung von sozialen und persönlichen Ressourcen auf die Stressoren. Ressourcen bezeichnen all jenes, was negativen Stress ausgleichen kann, also Faktoren, die zur Gesundheit eines Menschen beitragen. Um Ressourcen zu stärken, sollte an Selbstwahrnehmung, Selbstwirklichkeit, sozialer Kompetenz, Selbststeuerung, dem Umgang mit Stress und Problemlösungskompetenzen gearbeitet werden. An diesem Punkt setzte das musiktherapeutische Seminar an.
Durch die Hochschulreformen und den allgemein steigenden Karriere- und Erfolgsdruck stehen Studierende unter enormer Belastung. Finanzieller und Leistungsdruck, Arbeitsüberlastung und persönlicher Perfektionismus sind nur einige studierendenbezogene Stressoren. Ein Vollbild der Krankheit ist recht selten, doch laut einer Studie der Techniker Krankenkasse im Jahr 2007 leiden in Deutschland bereits 17 Prozent der Studierenden oft bis sehr oft unter depressiven Symptomen. Alarmzeichen, die Denkanstöße für mich bedeuteten. Könnte nicht schon präventiv eingegriffen werden, statt erst beim Vollbild des Burnout-Syndroms zu intervenieren? Denn wenn Studierende nicht unter dem Druck des Studiums lernen, Psychohygiene für sich zu nutzen, wie sollen sie es später im noch stressvolleren Berufsalltag für sich nutzen können? Wie könnte den Studierenden ein Bewusstsein an die Hand gegeben werden, mit Hilfe dessen sie sich besser vor Burnout-begünstigenden Faktoren zu schützen wissen, ein innerer Einklang gefunden werden kann zwischen den eigenen Bedürfnissen und Erwartungen an den Betroffenen durch sich und andere? Diese Überlegungen führten zu der Beschäftigung mit der Frage nach Stressoren und Ressourcen. Und wäre es möglich, diese Bereiche mit Hilfe musiktherapeutischer Methoden zu thematisieren?
Aufgrund dieser Basis entstand die Idee eines Seminars zur Burnoutprävention bei Studierenden mit Hilfe musiktherapeutischer Methoden. Dieses sollte unter dem Titel ‚Reif für die Insel‘ stattfinden, in Anlehnung daran, sich bewusst Auszeiten zu nehmen und auf seine eigenen Bedürfnisse zu achten. Das Seminar sollte einen prozesshaften selbsterfahrungsausgerichteten Charakter haben.
Dieses fand an einem Wochenende statt. Das Konzept war ausgerichtet auf die Gruppe der Studierenden und deren entwicklungstypische allgemeine wie spezifische Stressoren. Im Seminar sollte eine Bewusstmachung und Stabilisierung der Ressourcen stattfinden, um schon bei ersten Burnout-Symptomen präventiv ansetzen zu können und eine Sensibilität für sich zu entwickeln.
Das Seminar gliederte sich in drei große Teile. Im ersten Teil ging es ums Ankommen. Die Gruppe lernte sich kennen und die musiktherapeutischen Methoden wurden vorgestellt. Dabei habe ich mit Gruppenimprovisation, offen oder mit thematischen Überschriften sowie mit der MTE, der musiktherapeutischen Tiefenentspannung nach H.-H. Decker-Voigt gearbeitet (nachzulesen in Jahn 2006: 229ff.).
Die musiktherapeutischen Methoden wurden als sehr bereichernd wahrgenommen. Die Möglichkeit, sich nonverbal auszudrücken, war für einzelne Seminarteilnehmer bis dato unbekannt und überraschend wirksam. Schwierig fiel zunächst die s. g. „Entspannung auf Knopfdruck“. Im Laufe des Seminars dreimal durchgeführt und mit Denkanstößen versehen, wurde aber auch die Methode der MTE als sehr positiv und als eine Art „Geschenk“ angenommen. Ein weiterer fester Bestandteil waren Gesprächsrunden, in denen das Musikalische verbalisiert sowie ins Gespräch über die Themen gekommen werden konnte.
Thematisch ging es auf der Metaebene Musik oft um das Thema Rhythmus – in der Musik, im Leben, im Alltag seinen Rhythmus finden, Pausen schaffen. Von dieser Metaebene der musikalischen Symbolisierung gelang es im Prozess, Raum für persönliche und Gruppenthemen zu schaffen, die in der Zeit des studentischen „Umbruchs“ stark wirksam sind. Im Laufe des Seminars war folgender Themenleitfaden zu verzeichnen:
Vorstellung von Burnout / Ankommen, zu sich finden / Leistungsdruck / Stressoren / innerer Zensor / Ressourcen / Spielen / Entspannung aushalten / gesunder Egoismus / Grenzen setzen / den eigenen Rhythmus finden und halten / Pausen setzen und aushalten / Lebensqualität / sich seine eigene Insel schaffen.
Spannend war dabei der „innere Zensor“, der sich thematisch durch das Wochenende zog. Der innere Zensor repräsentiert das bewertende Fremdbild: Die Meinung und der Druck von außen, Einflüsse von Eltern und Freunden, die mit der Zeit zum introjizierten Selbstbild, zum inneren Zensor wurden. Aufgabe kann es sein, seine introjizierten Selbstbilder zu reflektieren und dysfunktionale von positiven Einstellungen unterscheiden zu lernen.
Ein weiteres Thema war das zweckfreie „Spielen“ als Handlung an sich und wie gut dies der Seele tut. Dieses Spielen, welches für Kinder stundenlang selbstverständlich ist, kann man im Übergang zum Erwachsenenalter ebenfalls für sich nutzen.
Während des Seminars wurden gemeinsam Stressoren und Ressourcen erarbeitet und wieder bewusst gemacht – allgemein gültige und solche, die jeder persönlich für sich wählen und nutzen kann. Dabei galt es vor allem Pausen in den Alltag einzubauen. Die Schwierigkeit Pausen auszuhalten wurde musikalisch wie im Gespräch ausprobiert und erlebt. Dass Pausen zu mehr Lebensqualität führen können, war eine Beobachtung der Gruppe.
Meine Vorstellung wäre, solche musiktherapeutischen Seminare mit selbsterfahrungsorientierter Komponente fest im universitären System zu integrieren und so mehr Präventions- und Therapieangebote zu schaffen. So könnte die Gesundheit von Studierenden langfristig davon profitieren – ein Wachstum nach Bedarf zeichnet sich schließlich in den Zahlen Burnout-gefährdeter Studierender ab.
Die Autorin
Martina Pohl
Dipl. Päd., Musiktherapeutin MA Martina Pohl studierte von 2009 bis 2012 den Master Klinische Musiktherapie. Frau Pohl arbeitet am Klinikum Dortmund auf der Kinderonkologie und der Neonatologie sowie mit geistig und körperlich beeinträchtigten Menschen. Einmal pro Semester bietet sie zusammen mit dem ASTA der Uni Münster (Fikusreferat) einen Vortrag zum Thema „Burnout-Prävention bei Studierenden“ an.
Die Magisterarbeit von Martina Pohl „Gedanken zur Burnout-Prävention bei Studierenden – ein musiktherapeutischer Versuch“ (2011) kann unter folgendem Link als pdf bestellt werden: http://www.uni-muenster.de/Musiktherapie/Literaturdienst/bestellservice.html