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Musiktherapeutisches im Alltag

Von Selma Suzan Emiroglu

 

Gefühlvolles Persönlichkeitspingpong – eine Musikmeditation
Werden Persönlichkeiten gestört? Stören Gefühle die Persönlichkeit? Oder prägen Gefühle vielmehr die Persönlichkeit … z. B. zu wütenden Machern, ängstlichen Denkern und berührten Beziehungstypen? Haben Sie schon mal solch auf- bzw. ausgeprägte Gefühle beobachtet, die Gespräche in geistigen Stereotypien gefangen halten wie das Hängenbleiben einer Schallplatte? Ich nenne das Persönlichkeitspingpong: Anstatt sachlich und ruhig zum Thema zu argumentieren, bezieht ein ängstlicher Denker Stellung gegen den euphorischen Vorschlag einer Fühlerin. Ist dabei der Denker wirklich gegen den Vorschlag oder legt vielmehr seine Angst ein Veto gegen die Freude ein? Kommen zwei wütende Macher zusammen, verbünden sie sich durch Lamentieren über Zugverspätungen. Ist die Zugverspätung wirklich so interessant oder fühlen sich die zwei Macher vertraut in lamentierenden Stimmklängen? Ja, sogar in ganzen Nationen findet man Gefühls­prägungen: In Schweden traf ich auf den Ausdruck deutsches Lob für „Das war richtig klasse, aaaaber …“. Ist ein „aber“ wirklich notwendig oder gehört es vielmehr zum seriösen Persönlichkeitspingpong zwischen Herrn Dr. Ernst Zweifel, Frau Dipl. Doloris Trauer und Herrn Felix Freude? Manchmal klingt das Pingpong langweilig, manchmal lebendig, manchmal nervenaufreibend, manchmal lustig – wie eine hängengebliebene Schallplatte eben.
Woher kommen störende oder prägende Gefühle? Und wie gehen Sie mit Gefühlen um, wenn Sie eines entdecken? Zu dieser Frage gibt es mannigfaltige Konzepte. Je nach Konzept wird der Ursprung von Gefühlen unterschiedlich erklärt. Ein Gefühl wird aus unterschiedlichen Quellen gespeist, es wird beeinflusst und ausgelöst durch Persönlichkeit, Grundstimmung und Befindlichkeit, Glaubenssätze, aktuelle Gedanken, eigene Erwartungen und Willen, momentanes Bedürfnis, aktuelle Körperhaltung, den momentanen Zeitpunkt und Aufenthaltsort (Tages-/Jahreszeit, Weltgeschehen, Land, lokale Atmosphäre), Musik oder Umgebungsgeräusche, Wetter, Gefühle anwesender Lebewesen, Handlungen verbundener Menschen, miterlebte Vergangenheit und Kindheit, gerade wahrgenommenes Ereignis … Je nach Herangehensweise können Sie über ein entdecktes Gefühl ein Bedürfnis aufspüren und es sich dann erfüllen [GFK1], Musik mit der Qualität des Gefühls lebendig gestalten [Musiktherapie], einen dem Gefühl entsprechenden Gedanken hinterfragen [The Work2], Ihre Vergangenheit besser verstehen lernen [Psychoanalyse3], die Lebenskraft des Gefühls nutzen [Amana 2007] oder feststellen, dass das Wetter gerade trübe ist [HSP4].
Um bewusst mit Gefühlen (hier als Sammelbegriff auch für Emotionen, Stimmungen und Zustände gebraucht) umzugehen, liegt der erste Schritt vieler Konzepte darin, ein entdecktes Gefühl kennenzulernen. Und wie ließe sich dies besser üben als mit Musik?! (War das ein Pinnng einer euphorischen Musiktherapeutin? ;-) ) Mit Musik werden reine Gefühle erlebt – ohne Bezug zur Realität, ohne Bedeutung aus der persönlichen Geschichte. Und Musik ist vergänglich, mit ihr und wie sie kommen und gehen Gefühle.
Darf ich Sie nun zu einer gefühl(s)-vollen Meditation einladen? Legen Sie sich eine CD mit Musik zurecht, die Sie berührt … Dann machen Sie es sich bequem und geben sich selbst Zeit zum Ankommen. Spüren Sie die Kontaktstellen mit dem Stuhl, dem Boden, der Luft … Um sich selbst immer wieder daran zu erinnern, dass das Gefühl zu Ihnen gehört, Sie aber nicht das Gefühl sind, können Sie es mit unterschiedlichen Formulierungen benennen. Welcher der folgenden Ausdrücke vermittelt Ihnen einen annehmenden und gleichzeitig handlungsfähigen Beobachtungsabstand zum Gefühl: „Da ist eine Angst“ oder „Da ist etwas Ängstliches“ oder „Ich fühle mich ängstlich“? Wenn Sie sich auch die Vergänglichkeit eines Gefühls deutlich machen wollen, fühlen Sie sich vielleicht sicherer mit „Da war eine Angst“ oder „Ich mache gerade ängstlich.“? Fällt Ihnen eine weitere Formulierung ein?
Nun lauschen Sie dem Musikstück. Im ersten Schritt lokalisieren Sie Klänge im Körper: Wo spüren Sie die dunklen Klänge, wo die hellen? Wo prickelt jetzt gerade die Geige, wo brummt der Kontrabass, wo pocht das Schlagzeug? Kitzeln Sie die sanften Klänge der Flöte im Hals oder im Kopf, die rauen Klänge des Cello im Bauch oder im Oberschenkel?
Im nächsten Schritt gehen Sie auf Entdeckungsreise auftauchender Gefühle und lokalisieren Sie sie im Körper. Während Sie Ihrer Musik lauschen, taucht in der Brust eine Traurigkeit auf: „Aha, da ist eine Traurigkeit!“ Kurze Zeit später ballt sich etwas im Bauch zusammen: „Da ist etwas Wütendes!“ Benutzen Sie zur Benennung Ihren Ausdruck (s. o.), beobachten Sie die Gefühle, wie sie kommen, sich kurz in Ihnen niederlassen und wieder gehen … Verweilt ein Gefühl ein wenig länger, begrüßen Sie es sinnlich und beschreiben Sie es: Ist es warm oder kalt, eckig oder rund, blau, rot, quietschend, ratternd …?
Der letzte Schritt findet in Stille statt. Stoppen Sie dazu die CD. Nun denken Sie an ein vergangenes Erlebnis und beobachten, was Sie in Ihrem Körper spüren: Ist da etwas Freudiges im Bauch? Spüren Sie Langeweile in den Schultern? War da geborgene Wärme in der Brust? Verweilen Sie eine Weile mit dem Gefühlskonglomerat und machen Sie es sich detailliert bewusst: Die Langeweile in den Schultern fühlt sich hängend und schwach an. Die Freude ist kribbelig, orange und glucksend …
Persönlichkeitspingpong kann lebendig und lustvoll sein. Die Angst vor den eigenen Gefühlen kann allerdings manches Gespräch stereotypisch monoton gestalten. Lernen Sie Ihre Gefühle übers Spüren kennen und lieben, bewegt sich die eigene Schallplatte im Kopf öfter zur nächsten Rille. Viel Freude beim Pingpongspielen mit bunteren Bällen!

 

Die Autorin:

Selma Suzan Emiroglu
Geb. 1976. Musiktherapeutin, Physikerin mit Promotion im Bereich Psycho­akustik, Folkmusikerin. Derzeit musiktherapeutisch tätig mit Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung, Seminaren zur Burnout-Prophylaxe und begleitendem Einzelmusikcoaching.
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Referenzen, Literatur und weiterführende Information:


1    GFK nach Marshall Rosenberg: http://de.wikipedia.org/wiki/Gewaltfreie_Kommunikation
2    The Work of Byron Katie: http://thework.com/de
3    Psychoanalyse: http://de.wikipedia.org/wiki/Psychoanalyse
4    HSP (Highly Sensitive Person) nach Elaine Aron: http://www.zartbesaitet.net
Nidiaye, Safi (2014): Die 10 Herzensschlüssel: Ausgeglichen und gesund mit Körperzentrierter Herzensarbeit. München: Gräfe und Unzer.
Röcker, Anna E. (2010): Klang als Weg zur Achtsamkeit. München: Südwest-Verlag.
Rokeach, Milton (1960): The Open and Closed Mind. New York: Basic Books.
Virani, Amana (2007): Gefühle. Eine Gebrauchsanweisung. Rettenbach: V.C.S. Dittmar Verlag.
Winkler, Werner (2005): Warum sind wir so verschieden? Psychographie als Schlüssel zur Persönlichkeit. München: mvg-Verlag.