Diesmal statt Klinikspaziergang – Das BIM
Von Ilse Wolfram
EIN Zentrum, EIN Verein und sein Netzwerk
… das ist BIM, das Bremer Institut für Musiktherapie und seelische Gesundheit e.V.
Im Zusammenhang mit diesem Text kommen wir nicht umhin, sich die Vorgeschichte des „Zentrums für Musiktherapie“ in Bremen zu vergegenwärtigen. BIM, gegründet 2000, war etwa fünfzehn Jahre lang „nur“ ein „virtuelles Institut“, öffentlich auffindbar über eine Webseite, bekannt nach gelegentlichen Pressenotizen für einen Fachtag oder auch noch über einen Wechsel im Vorstand. Umso intensiver entwickelte sich die Wahrnehmung unter den meisten bremischen Musiktherapeut*innen für die Notwendigkeit, über einen gemeinsamen öffentlich betretbaren Raum zu verfügen. Aber wie?
Gründung und Einweihung des Zentrums 2014
Etwa ab 2010 kreisten die Gedanken der damals 31 Mitglieder um Bezahlbarkeit, Lage, Größe, Verantwortung, Anschaffungen, Lautstärke, Nutzerkonzept. Mehrere Versuche, etwas gemeinsames Größeres zusammen mit Angehörigen der Künstlerischen Therapien oder von soziokulturellen Initiativen, z. B. Verein Downsyndrom, aufzubauen, scheiterten an der notwendigen längerfristigen Bereitschaft zur Mitarbeit oder an sich verändernden persönlichen Lebensumständen. BIM-Aktive besichtigten erfolglos andere Praxen in unterschiedlichen Stadtteilen oder führten zeitraubende Gespräche mit Behörden, immer begleitet von den Bedenken der Kolleginnen, wie das zu schaffen sein würde.
Es wurde ein Prozess von mehreren Jahren, ehe der jetzige Ort gefunden und als geeignet bewertet worden war. Das attraktive Mietobjekt besteht aus einem größeren Raum von ca. 40qm, 2 kleineren Räumen, WC, einer gemeinsamen Küchennutzung auf der Etage, alles frisch renoviert, kein Fahrstuhl, guter öffentlichen Erreichbarkeit in einem Bürogebäude und einer Miethöhe von 547 € inklusive aller Nebenkosten. Eine Mitgliederversammlung (von 31 waren 15 erschienen) beschloss die Anmietung dieser knapp 75qm, um erst einmal damit anzufangen. Versprochen hatte die Hausverwalterin bezüglich der zu erwartenden Lautstärke durch Musik: „Sie können hier so laut sein, wie Sie wollen, Sie können hier rasen“. Es ging einige Jahre gut, dann wechselten die Mieter des unteren Stockwerks und nach einigen Beschwerden wurde es für die Musiktherapeutinnen so unangenehm, dass wir einen Anwalt aufsuchten und seitdem eine Mieterschutzversicherung bezahlen. Tröstlich am heutigen Tag: Die Störung durch Beschwerden ist vorüber.
Wie betreibt BIM dieses Zentrum? Und: Hat das „Zentrum für Musiktherapie“ sich zu einem Ort entwickelt, in welchem nicht nur gut musiktherapeutisch gearbeitet werden kann, sondern in dem auch der Öffentlichkeit Musiktherapie nahegebracht werden kann?
Die Ausstattung erwies sich als ein relativ unproblematischer Prozess. Mehrere praktizierende Kolleginnen schenkten oder liehen (vielen Dank!) Musikinstrumente und Regale, das Fundraising wurde intensiviert mit dem großartigen Ergebnis, dass eine Bank 10.000 € beisteuerte. Damit konnten wir Tische und Stühle, große Außenschilder, ein gutes Klavier und andere Einrichtungsgegenstände einkaufen. Von einer weiteren Spende eines befreundeten Chormitglieds konnten wir einen Kontrabass anschaffen, dessen „therapeutische Qualitäten“ beim nächsten „Tag der Offenen Tür“ demonstriert wurden. Es war ein Freude, mit vielen Mitgliedern die Räume einzurichten und die Einweihung vorzubereiten! Bei dieser konnten wir Prof. Dr. Hans-Helmut Decker-Voigt begrüßen, außerdem den Klinikdirektor der Psychiatrie, den Vertreter der zustiftenden Bank und einen gesundheitspolitischen Vertreter (SPD). Gelegentlich braucht das Zentrum Neues: Wir haben einen Bewegungsraum eingerichtet mit Hängematte, Decken, einem Zelt, einer Verkleidungskiste, um den Spielbedürfnissen gerecht zu werden.
Klinische und andere Aufgaben des Zentrums: HPE, Öffentlichkeit und Projekte
Das Zentrum entwickelte sich schnell dank der Aktivitäten von Arbeitsgruppen mithilfe der Kompetenzen „aus den eigenen Reihen“. Zu den Themen Demenz, Autismusbehandlung, Supervision, Arbeit mit Blinden, mit Psychiatriepatientinnen und mit dem Film „Metamorphosen“ wurde eine öffentliche Vortragsreihe realisiert. Gleichzeitig wurde die Mietbelastung durch eine stundenweise Vermietung an drei Initiativen aus dem soziokulturellen und klinischen Spektrum reduziert. In Coronazeiten ist die Vortragsplanung, auch wenn es Nachfragen danach gibt, allerdings zum vorläufigen Erliegen gekommen. Aber nur vorläufig!
Entscheidend für die zuverlässige inhaltliche und finanzielle Existenz des Zentrums war jedoch die Kooperation mit dem Amt für Soziale Dienste (AfSD). Zeitgleich mit dem Einzug in das Zentrum konnte BIM einen Vertrag 2014 als „Leistungserbringer für Heilpädagogische Einzelmaßnahmen“, HPE genannt, abschließen. Die musiktherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Entwicklungsdefiziten und aus sozial benachteiligten Familien auf der Basis des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) ist die wichtigste therapeutische Aufgabe, die im Zentrum für Musiktherapie erfüllt werden kann. Doch die Zuweisung durch die jeweils zuständigen Casemanager des Jugendamts gelingt nur durch eine komplexe und sorgfältig wahrgenommene Abstimmung innerhalb des HPE-Teams. Das Procedere bis zum tatsächlichen Beginn einer HPE ist genau geregelt: Antrag der Erziehungsberechtigten, Erstgespräche mit Kindern und Erziehungsberechtigten, Teamentscheidungen, Erst- und Abschlussberichte, zweijährige umfassende Qualitätsentwicklungsberichte (QE), Kostenregelung. Dazu kommen regelmäßige Informationstreffen mit den sog. Regionalkoordinatoren der Sozialen Dienste, Teamsupervision und Fachsupervision. Die Kolleginnen arbeiten sowohl auf Honorarbasis als auch als Festangestellte. Der Verein BIM als Träger des Zentrums hat drei neue Arbeitsplätze geschaffen und im Laufe des letzten Jahres 2021 siebzehn Kinder versorgt! Entsprechend hat sich auch der administrative Aufwand für den Vorstand und insbesondere die Schatzmeisterin, gesteigert. Die Überschüsse (Overheads) durch die öffentlichen Zahlungen werden für die Miete und andere HPE-spezifische Kosten verwendet.
Eine weitere Aufgabe des Zentrums ist es, jüngeren Kolleginnen einen Einstieg in die Berufstätigkeit zu ermöglichen, indem sie die Räume nach Bedarf nutzen können.
In welcher Weise betrifft nun die seit März 2020 regierende Coronapandemie und ihre Folgen die therapeutische Arbeit im Zentrum für Musiktherapie?
Friederike Jacob hatte in ihrer Eigenschaft als HPE-Teamleiterin bereits ausführlich für die MuG Nr. 38/2020
(S. 26–27) über Vorsorgemaßnahmen geschrieben und dabei das Wort „systemrelevant“ für Kinder und ihre Eltern betont. Sie endete in ihrem Beitrag damit, dass es auch weiterhin gute Nachrichten gebe: „Trotz Corona stellen immer neue Familien Anträge an ihre Casemanager für eine HPE-Musiktherapie“.
Wie sieht es nun nach einem weiteren Jahr und länger im Zentrum aus? Aktuell beherrscht Omikron die gesundheitliche Lage. Die Kolleginnen berichten, dass die Regionalkoordinatoren und die Casemanager heutzutage weitaus schwieriger erreichbar sind, und dass Entscheidungen für eine Kostenzusage erheblich länger dauern. Das trifft die HPE-Arbeit empfindlich, da BIM selbst dafür keine Werbung für die Musiktherapie im Zentrum machen darf. Friederike Jacob: „Auch viele Klientinnen sind in Quarantäne. Deshalb führen wir Telefon- oder Videotherapie durch. FFP2-Masken tragen die Therapeutinnen immer und Kinder, wenn möglich. Doch: Trauer? Wut? Neugier? Wenn Masken einen Teil des Gesichts verbergen, wird die Interpretation schwierig. Bisher ist keine Therapeutin krank geworden. Wir testen uns 2–3 Mal pro Woche und fragen die Kinder, ob sie selbst negativ getestet sind. Schwierig ist der Umgang mit nicht geimpften Eltern! Für solche Fälle ist unsere Regel, dass maximal ein Elternteil begleiten darf und vor der Tür bleibt. Elterngespräche führen wir telefonisch.
Erfahrungen in der Pandemie während eines musiktherapeutischen Projekts
Mit einigem Stolz konnte BIM bisher auf seine Projekte blicken. Doch das zuletzt beendete Regenbogenfisch-Projekt hat unter Corona erheblich gelitten. Es ist einfach traurig, bedauerlich und dennoch, trotz der Einschränkungen, ist es happy-end-mäßig gelungen.
Das Projekt mit dem schönen Namen „Hand in Hand mit dem Regenbogenfisch“ – ein Musical für Kinder mit und ohne Migrationshintergrund – basiert auf einer bekannten Erzählung nach Markus Pfister von 1992. Projektpartner war eine Grundschule, Zielgruppe waren 15–20 Kinder der ersten und zweiten Klassen, beteiligt waren ausdrücklich auch ihre Eltern und Lehrer. Das Projektkonzept gewann sogar einen Förderpreis für beispielhafte Kinder- und Jugendprojekte unter dem Motto „Selbermachen!“. Doch während des ersten Lockdowns hatte es schon einmal von März bis September 2020 pausieren müssen. Danach durfte es wieder weitergehen – die Erwachsenen trugen Maske, die Kinder kamen ohne Maske in Kohorten zusammen. Singen war verboten! Das bedauerten alle, denn was ist ein Musical ohne Singen? Die Leiterin verlegte sich einfallsreich aufs Rappen, auf diese Weise entstand ein „Regenbogenfisch- Rap“. Auch dieses wurde bald seitens der Schulleitung nicht mehr gewünscht.
Die Leiterin entschied sich, ausschließlich szenisch und instrumental zu arbeiten. Die Buchtexte wurden verteilt, gelernt und geprobt. Schauspielübungen führten die Kinder in die Welt der Gefühle, der Stimmungen und der verschiedenen Charaktere des Stücks ein. Für jede Szene entstanden nun instrumentale Musiken wie z.B. Wassermusik, Sturmmusik, Musik des weinenden Regenbogenfisches etc. Dabei konnten die Kinder zahlreiche unbekannte Instrumente wie Ukulele, Schlagzeug, Oceandrum, Stealdrum und mehr ausprobieren und sich auch solistisch hervortun.
Die nächste Idee „in diesen Coronazeiten“ war die Gestaltung des Bühnenbildes – es entstanden individuelle bunte Fische und auch Aquarien zum Aufhängen. Zur Zeit des zweiten Lockdowns waren leider kaum noch Kinder in der Schule, daher pausierte das Projekt erneut. Eine Aufführung wurde trotz der sehr engagierten Lehrerinnen und der Sozialpädagogin fraglich. Doch dann durfte der geplante öffentliche Auftritt nicht stattfinden. Die Spielfreude und Kreativität der Kinder konnte dennoch aufblühen, wie hier in Fotos dokumentiert. Der Projektablauf hat der Musiktherapeutin ein gerüttelt Maß an Flexibilität und organisatorischer Improvisation abverlangt. Die Kinder erhielten zur Erinnerung einen USB-Stick mit ihrer Musik und ihren Fotos und bewahren ihre Erlebnisse mit den anderen und mit sich selbst sicherlich noch lange auf.
Ehe es das Zentrum für Musiktherapie gab, gab es EINEN Verein
Warum taten sich Kolleginnen in Bremen im Jahr 2000 zusammen? Aus heutiger Sicht ist es vielleicht schwierig, sich die damalige Lage der Musiktherapie in den 80er und 90er Jahren vorzustellen. Kurz gesagt, beäugten sich viele Angehörige unserer in mindestens acht unterschiedlichen Organisationen aufgesplitterten Berufsgruppe misstrauisch, denn Studiengänge und Ausbildungen hatten sich auf der Basis von unterschiedlichem theoretischem Hintergrund entwickelt. Zentrale Frage, nicht immer offen ausgesprochen, war: Wer ist ein richtiger Musiktherapeut und wendet die richtige Musiktherapie an? Viele hatten sich Illusionen über eine berufliche Anerkennung gemacht, gehofft, dass die Studienlage zu einem Berufsrecht führen würde, und leidvoll zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Psychologischen Psychotherapeuten im Jahr 1999 ein Berufsgesetz erhielten, das die Musiktherapeutinnen ausschloss. Damit entfiel auch die Möglichkeit, im Einzelfall über eine ärztliche Delegation eine Kostenübernahme zu erreichen (Delegationsmodell).
In der Region Bremen versuchten einige Kolleginnen mit Erfahrungen aus Arbeitskreisen und Kongressen das Beste daraus zu machen: eine gegenseitige Annäherung, zunächst über lockere Treffen an ihren Arbeitsplätzen, was zu einem erfreulichen Austausch führte. Die Handlungsebene verlangte indessen auch eine organisatorische Form, „ein Gefäß“, wie es Hans-Helmut Decker-Voigt im „Nationalen Komitee zur Vorbereitung des 8. Weltkongresses“ in Hamburg 1996 nannte. Auf dem Hintergrund dieser Erfahrungen entstand der Verein BIM e.V. durch die Initiative zunächst von Eva Frank-Bleckwedel und Ilse Wolfram, später kamen viele andere hinzu. Nicht nur die großen, bundesweiten Organisationen sollte es geben, sondern von nun an auch in der Region Bremen eine offizielle Anlaufstelle für Musiktherapie. Um zusätzlich zu den bereits bestehenden selbstständig geführten Praxen das Potential des Fachs auch hier sichtbar zu machen, mussten arbeitsfähige
Strukturen entwickelt werden. Sichtbar wurde BIM durch seinen „Stadtführer Musiktherapie“. Mit vielen kleinen Schritten wurde BIM größer, organisierte Fachtage, lernte Fundraising und gab ab 2010 „zur Mitgliederbindung“ die „Infobriefe“ pro Quartal heraus, in denen bis heute über lokale, bundes- und europaweite Ereignisse berichtet wird. Wir sind bei Nr. 45, einsehbar als Download bei www.musik-bim.de oder über den Mailverteiler bei Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! bestellbar. Die 38 Mitglieder stellen eine „bunte Mischung“ aus Ausbildungen und Studiengängen dar, sie werden auf diese Weise der „Vielfalt“ gerecht, auch das ist eine Stärke unseres Fachs. Wie heißt es in der Vorrede zum Weltkongress: „One of the strengths of our discipline of music therapy is its diversity“.
Der Verein BIM e.V. arbeitet mithilfe eines verlässlichen (ehrenamtlichen) fünfköpfigen Vorstands; ein personeller gut vorbereiteter Wechsel zu jüngeren Kolleginnen wurde Ende 2021 bruchlos vollzogen. Anfragen nach Beratung und Therapieplätzen werden zügig beantwortet. Es lässt sich also durchaus sagen, dass die Trägerschaft des Zentrums gewährleistet ist und dass BIM ständig neue Ideen aufgreifen wird. Die BIM-Satzung formulierte bereits 2000 dafür als Vereinszweck „durch Musiktherapie unmittelbar die seelische Gesundheit von Menschen in allen Lebensbereichen zu fördern“. Damit kann BIM überall ankommen.
Die Autorin:
Ilse Wolfram
Integrative Musiktherapeutin (HPG), Dipl. Psych. mit Schwerpunkt Arbeits- und Organisationspsychologie
Lehrmusiktherapeutin DMtG zert., Ehrenmitglied DMtG
Supervisorin DGSv
Berufspolitik bei BAG MT, BAG KT, EMTC
Mitgründerin von BIM e.V.
Musiktherapeutische Praxis in Bremen