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Kleine Hilfen mit Atem, Bewegung und Stimme
Von Sabine Rittner
HöBAt – eine Achtsamkeits- und Tranceinduktionsmethode für Alltag und Therapie
„HöBAt“… bitte was? Diese merkwürdige Bezeichnung wurde vor vielen Jahren einmal scherzhaft von einem meiner Weiterbildungsteilnehmer als Abkürzung für drei wiederkehrende Schritte einer Entspannungsübung geprägt. Im Laufe der Jahre hat es sich als feststehender Begriff eingebürgert für: Hören / Boden / Atem. Wiederkehrend, immer in der gleichen Reihenfolge. Lassen Sie sich heute von mir mitnehmen auf den Weg zu einer sanften, sehr alltagstauglichen Achtsamkeits-, Selbstberuhigungs- und Selbstfürsorgemethode.
Dabei ist der Zeitbedarf sehr unterschiedlich: für den ersten Schritt benötigen Sie nur eine halbe Minute, er ist jederzeit mitten im Alltag und während jeglicher Tätigkeit durchführbar. Für den gesamten Ablauf in 7 Schritten sollten Sie sich etwa 15–20 Minuten gönnen. Wählen Sie dazu einen angenehmen Ort und eine entspannt aufrechte Sitzposition.
1. Ankommen im Jetzt: Registrieren Sie, was jetzt unmittelbar wahrnehmbar ist, ohne es zu bewerten:
–– Hören Sie auf die Geräusche im Außen.
–– Spüren Sie den Bodenkontakt.
–– Nehmen Sie Ihren Atem wahr.
Wiederholen Sie diese drei Wahrnehmungsschritte ein paarmal in genau dieser Reihenfolge. Dabei sind Sie vollkommen präsent, hellwach und gleichzeitig gelassen und entspannt. Die Augen können gerne geöffnet bleiben.
2. Loslassen:
–– Das Hören wandelt sich nun zum Lauschen. Erkunden Sie lauschend das „Dazwischen“ zwischen den momentan für Sie wahrnehmbaren
Geräuschen, von denen Sie nah oder fern umgeben sind. „Gehen Sie mit ihren Ohren spazieren“ in diesen verschiedenen Geräuschen.
–– Vertiefen Sie den Kontakt zum Boden, nehmen Sie das Getragensein wahr, vertrauen Sie sich dem Gehaltensein an.
–– Verlängern Sie ganz bewusst den Ausatem. Lassen Sie die Gedanken mit dem Ausatem ziehen, geben Sie an den Ausatem ab, was jetzt zu viel ist.
3. Vertiefen:
–– Lauschen Sie nun nach innen, in Ihren Körper hinein. Dort gibt es eine Vielzahl an Geräuschen, Rhythmen, Klängen, Gluckern, auch pulsierendes Rauschen… zu entdecken, vielleicht konkret wahrnehmbar, vielleicht als Ahnung mit Ihren „inneren Ohren“ hörbar. Stellen Sie sich vor: Jede Ihrer -zig Billionen Körperzellen produziert in diesem Augenblick einen sehr leisen Ton auf einer Frequenz, die unser Gehör durchaus wahrnehmen könnte. Mit Nano-Mikrophonen ist es gelungen, diese Zell-Klänge hörbar zu machen. Vergegenwärtigen Sie sich staunend dieses
innere Lebens-Klang-Konzert Ihres Körpers und erkunden Sie es im Lauschen nach Innen.
–– Geben Sie Gewicht ab an die Erde unter Ihnen, lassen Sie irgendetwas tief hinunter in die Erde abfließen, hineinsickern, was es auch sein
mag, die Erde nimmt bereitwillig alles auf und transformiert es.
–– Verlängern Sie den Ausatem hörbar mit einem leisen Geräusch und geben Sie ihm etwas mit, das entweichen darf: mag es eine Spannung
sein, ein belastender Gedanke oder …
Die Augen haben sich vermutlich mittlerweile schon ganz von alleine geschlossen.
4. Den Herzraum summend erkunden: Nun legen Sie eine Hand beruhigend auf die Mitte Ihrer Brust und lassen einen Summton im Innern Ihres Herzraumes entspringen. Indem Sie den Summ-Klang sich mehr und mehr entfalten lassen, gehen Sie dort summend mit Ihrer Aufmerksamkeit spazieren, schauen Sie sich um. Wie sieht es dort aus? Welche Atmosphäre nehmen Sie wahr? Wie hell oder dunkel, weit oder eng, warm oder kühl… erscheint ihnen dieser innere Raum jetzt? Stellen Sie sich vor, wie Sie mit den Vibrationen des Summens Ihren Herzraum von innen her streicheln. Kleiden Sie diesen metaphorischen Raum mit Ihrem Summen aus, malen Sie ihn mit imaginiertem farbigem, tönendem Licht an. Schicken Sie Ihr Summen behutsam auch in dunkle Ecken, Winkel und Verstecke dieses Raumes hinein, sollte es sie geben.
5. Summend ein Anliegen klären: Nun lassen Sie sich summend zu einem Anliegen hinführen, zu einem Thema, für das Sie diesen intuitiven, entspannten Wachzustand nutzen möchten. Dieses Anliegen, diese Frage darf sich nun zeigen: ob als bildhafte Vorstellung, als Gedanke, als Körperempfinden… lassen Sie sich überraschen. Erlauben Sie, dass es sich jetzt mit dem nächsten Ausatem ausdrücken darf, hörbar werden darf in Geräuschen, Lauten, Tönen, Gesten, Bewegungen, gesungenen Worten… so lange, bis es genug ist, bis es von alleine verklingt.
6. Zwei heilsame Begriffe: In der Stille danach lassen Sie zwei heilsame Begriffe auftauchen, die intuitiv aus der Tiefe Ihres Herzens aufsteigen.
Flüstern Sie diese zwei wohltuenden Worte hörbar, je eines auf den Ein- und den Ausatem. Gleichzeitig entstehen dazu vielleicht ein inneres Bild und ein angenehmes Körpergefühl, z.B.:
Einatem: - Ausatem:
„Sonne“ - „Wärme“
„Liebe“ - „Geborgenheit“
„gesund“ - „freudig“
… - …
7. Nachspüren: Wenn es genug ist – Sie werden den richtigen Zeitpunkt erspüren – nehmen Sie die Veränderungen wahr. Was ist jetzt anders als am Beginn dieser achtsamen Erkundung? Wie hat sich Ihre Stimmung verändert? Wie Ihre Körperwahrnehmung? Wie Ihr Raumgefühl? Wie der Kontakt zwischen dem Innen und dem Außen? Was hat sich mit Ihren Gedanken verändert?
Wenn Sie diese Wandlung Ihrer Befindlichkeit registriert haben, genießen Sie die „Ernte“ und gönnen Sie sich dann ein genüssliches Räkeln (wichtig: mit weit geöffneten Händen und Füßen), Gähnen, Strecken… und kehren Sie mit Ihrer gesammelten Aufmerksamkeit wieder in den Raum zurück, in dem Sie sich befinden.
Methodische Hinweise für Musiktherapeut*innen
Es handelt sich bei dieser Folge von 7 Schritten um einen spiralförmigen Prozess der Induktion einer trophotropen, hypnoiden Trance. Ausgehend vom Fernsinn, dem Hören, mit dem man die Geräusche im Außen „abtastet“ und auf ihre Bedeutsamkeit für einen selbst hin überprüft – geht es weiter zur Wahrnehmung des Bodenkontakts, der Sicherheit verschafft, Ruhe gibt, Erdung vermittelt und Schutz – um dann schließlich zum intimen, körpernahen Atem, der Außen und Innen permanent verbindet, zu gelangen. In der Wiederholung dieser drei Wahrnehmungsschritte
kann ein durchaus erwünschter Ermüdungsprozess im Denken einsetzen.
Mit Schritt 1 + 7 wird der Vorher-Nachher-Vergleich angeregt: die Wirkungen, die subtilen Veränderungen können wahrgenommen werden.
Dabei dient Schritt 7 der Integration, der Speicherung dieser Erfahrung im Körpergedächtnis, fördert das Embodiment.
Zu Schritt 1: Hier dient „HöBAt“ als Irritation, als Aufweck-Moment mitten in der gewohnheitsmäßigen Alltags-Stress-Trance und benötigt nur wenige Sekunden. Eckhard Tolle nennt diesen achtsamen Zustand vollkommener Präsenz „Gegenwärtigkeit“.
In Schritt 2 + 3 dient „HöBAt“ als sanfte Tranceinduktionsmethode, spiralförmig vertiefend, von der Außenwahrnehmung immer mehr zur Körperinnenwahrnehmung hin leitend. Auf der Ebene der Hirnwellen ließe sich mit dem bildgebenden Verfahren des Brainmapping vermutlich eine „hellwache Entspanntheit“ abbilden, ein scheinbar paradoxer, jedoch sehr heilsamer, regenerierender Bewusstseinszustand, den wir im Alltag in der Regel nicht kennen.
Bei Schritt 4–6 handelt es sich um eine emotionale Besänftigung, um Selbstfürsorge, um die Stimulation des Vagus-Nervs, was wiederum den Zugang zu unbewussten Ressourcen für eine kreative, intuitive Lösungsfindung erleichtert. Der Herzraum steht hier als Metapher für positiven SELBSTKontakt.
Die Autorin:
Sabine Rittner ist Musikpsychotherapeutin, Atem- und Stimmtherapeutin, approbierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, Psychotherapeutin (HP), Hypnotherapeutin, Traumatherapeutin mit Spezialisierung in der Arbeit mit veränderten Bewusstseinszuständen und körperorientierter Therapie. Sie ist tätig am Institut für Medizinische Psychologie der Universitätsklinik Heidelberg (Lehre, Psychotherapie, Musiktherapieforschung), sowie in eigener Praxis (Therapie, Supervision, Coaching). Seit mehr als 40 Jahren leitet sie Seminare, bildet aus und hält Vorträge weltweit. Umfangreiche Forschung und Publikationen zu den Themenkomplexen Bewusstseinsforschung – Klang – Trance – Stimme – Musiktherapie. Weitere Informationen: www.SabineRittner.de
Literaturtipps und Infos
Rittner, S. (2021). Kleine Hilfen mit Atem, Bewegung und Stimme: Das Summen in besonderen Zeiten. In: Musik und Gesundsein 40 (2021), 42–43.
Tolle, E. (2010). Jetzt! Die Kraft der Gegenwart. Bielefeld: Verlag J. Kamphausen.
Thich Nhat Hanh (2002). Das Wunder der Achtsamkeit. Bielefeld: Theseus Verlag.
Kabat-Zinn, J. (1998). Im Alltag Ruhe finden. Das umfassende praktische Meditationsprogramm. Freiburg i. Br.: Herder Verlag.
Sonneborn, U. et al. (2021). SELBST-geführte Psychotherapie: Neue Wege der Integrativen Psychotherapie Innerer Systeme und der professionellen Selbstfürsorge. Freiburg i. Br.: Arbor Verlag.
In Zusammenarbeit von Wissenschaftlern der UCLA in Los Angeles und Künstlern wurden bereits in den neunziger Jahren Körperzell-Klänge mit Hilfe von Nano-Mikrophonen hörbar und in Form von einer Rauminstallation erfahrbar gemacht: www.darksideofcell.info
Unter www.sabinerittner.de finden Sie mehrere Videos mit von Sabine Rittner angeleiteten, tönenden Meditationen und einer Klangtrance-Reise kostenlos zum Mitmachen.