Heft 35 (2019) ist erschienen!

Die Muttersprache in der Musiktherapie

Migration und Interkulturalität sind Themen, die auch in der Musiktherapie intensiv diskutiert werden. Unsere nächste Ausgabe der MuG wird die Bedeutung und Wirkung der Muttersprache in der Musiktherapie fokussieren – und zwar nicht nur auf die Klienten bezogen, die sich in einer Sprache zu verständigen haben, mit der sie nicht aufgewachsen sind. Was ist, wenn MusiktherapeutInnen in einem Land arbeiten, das nicht ihr Herkunftsland ist und wo sie sich in einer „Fremdsprache“ bewegen? Welche Erschwernisse aber auch Bereicherungen können sich daraus ergeben?

Editorial

Verlust oder Möglichkeit?

Das Schwerpunktthema dieser Ausgabe ist „Arbeiten im Ausland“. Genauer: Musiktherapeutisches Arbeiten dort, wo die Muttersprache keine mehr zu sein scheint. Claudia Noll, eine der drei Autorinnen zum Schwerpunktthema, gibt in einer ihrer Zwischenüberschriften die Antwort auf das Fragezeichen oben im Editorial: „Was der Verlust des Vertrauten ermöglicht“.
Eigentlich ist diese Suche und die Findung von neuen Möglichkeiten, die jeder Verlust in sich birgt, Aufgabe jeder Therapie, jeder Gestaltung von Lebenssituation, in der Vertrautes sich entzieht, verblasst. Langsam oder plötzlich. Körperteile, Teile der Identität bei Berufsrollenverlust, Verlust von Freundschaften, Liebespartnern. Ungeplant oder geplant.
Die drei Autorinnen wanderten mitsamt Muttersprache geplant aus, in ein Aus-Land. Ihre Erfahrungen laden ein zum Nachdenken und Vordenken über die Rolle der Muttersprache der Musiktherapeutin, wenn sie im Ausland arbeitet – und mit der Musik über eine Sprache verfügt, die wir formelhaft als „crossing borders“ bezeichnen. Was die Erstgespräche z.B. mit Erwachsenen nicht leichter macht – aber das „danach“.
Die Estin Katrin Kaasik, die Japanerin Saya Shiobara, die zitierte Deutsche Claudia Knoll entführen uns und machen uns heimisch in ihrer vertraut gewordenen Ferne.
Mich stimmt dies Schwerpunktthema auch persönlich zur Bescheidenheit mahnend – und Bewunderung hervorrufend, weil ich bis heute ca. mindestens ein Viertel eines jeden Jahres Ausländer bin, im Ausland für und mit Musiktherapie arbeite. Jedoch hier den Mut (= Gesinnung) bewundere, sich mit vollem Risiko der Veränderung des eigenen Spontanverhaltens im fernen Land ebenso zu stellen wie dem des Patientengegenübers.

Weiterlesen: Editorial

Musiktherapeutischer Klinikspaziergang

Die LVR-Klinik Langenfeld

Von Sarah Bonnen

Der Landschaftsverband Rheinland (LVR) ist ein Kommunalverband, der mit 19.000 Beschäftigten für die Behinderten- und Jugendhilfe, Psychiatrie und Kultur im Rheinland zuständig ist.
Zum Verband gehören insgesamt neun Kliniken, die sich auf die Versorgung von psychisch kranken Menschen spezialisiert haben.
Eine davon ist die LVR-Klinik Langenfeld. Sie liegt auf halber Strecke zwischen Köln und Düsseldorf, besteht seit März 1900 und versorgt PatientInnen aus dem südlichen und mittleren Kreis Mettmann, Solingen, Leverkusen, Burscheid und Leichlingen.
Die Klinik umfasst 32 Stationen sowie vier Tageskliniken mit insgesamt 663 Behandlungsplätzen. Sie gliedert sich in acht Fachabteilungen:
Allgemeine Psychiatrie (drei Abteilungen)
Gerontopsychiatrie und Neurologie
Abhängigkeitserkrankungen
Forensische Psychiatrie (zwei Abteilungen)
Therapeutische Dienste

Betritt man das Gelände, so fallen die vielen alten Gebäude sowie das parkähnliche Gelände mit großem Baumbestand auf. Besonders imposant ist auch das Hauptgebäude direkt am Eingang der Klinik. Seit etwa drei Jahren wird innerhalb des Geländes, in dem es auch allerlei Kunstinstallationen zu sehen gibt, allerdings auch fleißig gebaut. Die Klinik befindet sich zurzeit mitten in einem Umbau- und Dezentralisierungsprozess, der vermutlich im Jahr 2020 vollständig abgeschlossen sein wird und schon jetzt erste Veränderungen im Behandlungsangebot mit sich bringt.

Musiktherapie in der LVR-Klinik Langenfeld
Der Fachbereich Musiktherapie gehört ebenso wie die Kunst-, Sport- und Bewegungs-, Tanz-, Ergo- und Physiotherapie seit 2011 zur Abteilung therapeutische Dienste. Seither konnte sich die Musiktherapie personell, angefangen von einer Honorarstelle, stetig vergrößern.
So arbeiten wir jetzt in einem Team von insgesamt vier Kolleginnen mit einem Stellenanteil von insgesamt 3,2 Vollzeitstellen.
Damit versorgen wir in unterschiedlicher Intensität PatientInnen von 17 Stationen und zwei geronto­psychiatrischen Tageskliniken.
Das Arbeitsfeld gliedert sich hauptsächlich in die Bereiche Allgemeine Psychiatrie, Gerontopsychiatrie sowie den Bereich geistig behinderte Erwachsene mit psychischen Erkrankungen.
Dementsprechend haben wir unser Angebot, an den Bedürfnissen der PatientInnen orientiert, sehr breit aufgestellt. Von psychodynamischen über gestalttherapeutische bis hin zu verhaltenstherapeutischen und erlebniszentrierten Ansätzen bieten wir Einzel- und Gruppentherapien an.
Unser Musiktherapieraum befindet sich im ersten Stock des mittelalterlichen restaurierten Gutshofs der Klinik. Ebenfalls auf dem Gutshof befindet sich die Kunsttherapie und die Arbeitstherapie Biologischer Gartenbau, was neben dem wunderschönen Gebäude zusätzlich zu einer besonderen, „wenig klinischen“ Atmosphäre beiträgt.
PatientInnen, die zum ersten Mal in die Musiktherapie kommen, erleben die Atmosphäre auf dem Gutshof als entspannt und geschützt. Es sehe hier weder nach Krankenhaus aus noch fühle es sich so an.
Neben stationsübergreifenden Gruppen wie der Entspannungsgruppe und dem Angebot „Stimme-Selbstwert-Selbsterfahrung“ finden im Gutshof vor allem stationsbezogene Angebote statt, in denen die aktive Musiktherapie, meist in Form freier Improvisation, im Vordergrund steht.
Der Musiktherapieraum, ausgestattet mit einer Vielzahl an Instrumenten, soll den PatientInnen Sicherheit und gleichzeitig Raum und Neugier zum Ausprobieren vermitteln. Dennoch bleibt es nicht aus, dass einige PatientInnen zunächst mit Vorbehalten den Raum betreten. Ängste, Unsicherheiten, Schamgefühle, Überzeugungen „unkreativ“ oder „nicht musikalisch“ zu sein, begegnen uns häufig zu Beginn oder im Verlauf einer Therapie. Unsere Aufgabe ist es dann, die PatientInnen zu begleiten und zu ermutigen, sich auf die noch oft fremde „Klangwelt“ einzulassen.
Meist ist die innere Resonanz auf die Musik unmittelbar für den Patienten spür- und erfahrbar. Manchmal braucht es aber auch etwas Zeit, Geduld und Mut, sich für die innere Erlebniswelt zu öffnen und diese „hörbar“ zu machen. Eigene Grenzen kennenzulernen, kreative Ressourcen zu entdecken, mit sich und Anderen spielerisch in den Kontakt zu treten und sich selbstwirksam zu erleben, sind einige Ziele, die wir gemeinsam mit unseren PatientInnen verfolgen.

Fallvignette
Vier neue PatientInnen kommen zum Vorgespräch in die Musiktherapie. Her P. beginnt sich vorzustellen. Er wirkt sehr erschöpft, traurig und verunsichert. Während des Gesprächs fängt er an zu weinen. Ich möchte ihm Zeit geben seine Traurigkeit zu spüren, ihm gleichzeitig auch das Gefühl geben, dass es in diesem Moment in Ordnung ist, sich so zu zeigen, wie er sich fühlt. Dies sieht seine Mitpatientin Frau K. jedoch ganz anders. Nun sei es aber mal genug, ich dürfe den Patienten doch nicht so ausquetschen. Frau K fühle sich verantwortlich, für den Mitpatienten in dieser Situation einzustehen. Meine Interventionen im Kontakt mit Herrn P. scheint die Patientin als Bedrohung zu erleben. Ich bin überrascht, fast erschrocken, dass Frau K. so impulsiv auf meinen Dialog mit Herrn P. reagiert.
Herr P. nimmt die Unterstützung von Frau K dankbar an, Frau K. fühlt sich in ihrem Handeln bestärkt. Ich spüre Frau K.s Wut, gehe dem Wunsch, mich verteidigen und erklären zu wollen, nicht nach und erkenne das Bedürfnis, ihre(n) Mitpatienten schützen zu wollen, an.
In der Improvisation zeigt sich ein ähnliches Bild. Herr P. sucht sich das Xylophon aus. Drei Mitpatientinnen bieten Herrn P. an, mit ihnen das Instrument zu tauschen, da er zuvor eigentlich angegeben hatte, die Trommel spielen zu wollen. Herr. P. lehnt drei Mal höflich ab und ist während der sehr kraftvollen, durchaus aggressiven Musik kaum zu hören. Frau K. sitzt direkt mit dem Rücken zu mir vor dem Klavier und spielt den Gong. Ich erlebe ihr Spiel als sehr mächtig, an der Grenze zum Aushaltbaren und fast unkontrollierbar. Zeitweise spüre ich die Unsicherheit der Patientin, ob sie überhaupt so laut spielen darf. Immer wieder dämpft die Patientin den Klang mit ihrer Hand ab. Während die Improvisation noch verklingt, dreht sich Frau K. zu mir um: „Schön war das, nicht!“.
Im Nachgespräch frage ich Herrn P., wie er es eigentlich schaffe, dass man sich so gerne um ihn sorgen möchte. Herr P. entgegnet, dass ihm das bisher gar nicht so bewusst gewesen sei und beginnt wieder zu weinen. Schon schaltet sich Frau K. und noch eine weitere Patientin ein, um dem Patienten zur Seite zu stehen. Es fällt der Patientin schwer, mich ausreden zu lassen. Immer wieder schneidet sie mir das Wort ab, um ihr Handeln zu erklären.
Diesmal schafft es Herr P. jedoch selbst für sich einzustehen. Er habe 52 Jahre lang nicht gelernt, auf seine Grenzen zu achten und er könne ja nicht ständig darauf vertrauen, dass jemand ihn „rette“.
Diese Aussage hilft Frau K. zu verstehen, dass nicht ich „die Bedrohung“ bin, sondern innere Ängste und Konflikte, die es gilt behutsam bewusst zu machen, um ihnen selbstwirksam begegnen zu können…

Musiktherapie auf den Stationen
Neben den Angeboten, die im Musiktherapieraum auf dem Gutshof stattfinden, suchen wir auch Stationen auf, um Angebote direkt vor Ort anzubieten. Meist sind dies offene Singgruppen, die besonders in der Geronto­psychiatrie, aber auch im Geistig-Behinderten-Bereich und auf geschützten Akutstationen gerne angenommen werden. Dieses Angebot bietet auch schwächer strukturierten PatientInnen die Möglichkeit an der Musiktherapie teilzunehmen. In zwei gerontopsychiatrischen Tageskliniken gibt es sowohl Singangebote als auch erlebnis- und ausdruckszentrierte Angebote mit musiktherapeutischem Instrumentarium.
Seit etwa zwei Jahren bieten wir zudem im Demenzbereich auch interdisziplinäre Angebote an. Hierzu gehört zum Beispiel das Angebot „Musik & Bewegung“, bei dem eine Physiotherapeutin einfache Körperübungen anleitet. Dabei werden die PatientInnen musikalisch auf der Gitarre begleitet und zusätzlich körperlich aktiviert. Die „Livemusik“ ermöglicht es hier im Sinne der neurologischen Musiktherapie ganz indivuell auf die körperlichen und emotionalen Fähigkeiten und Befindlichkeiten des Patienten einzugehen. In der Gruppe „Malen zur Musik“, die wir gemeinsam mit einer Kollegin aus der Ergotherapie gestalten, geht es darum, unterschiedliche kreative Medien miteinander zu verbinden – mit dem Ziel möglichst viele Wahrnehmungsebenen anzusprechen und verbleibende Ressourcen der Patienten zu aktivieren. Musik kann hier Atmosphäre schaffend, anregend, belebend oder beruhigend wirken.
Zuletzt gibt es für schwerer demente und zunehmend passive Patienten das Angebot der „basalen Stimulation“, welches ebenfalls gemeinsam mit einer Physiotherapeutin durchgeführt wird. Bei dieser Therapie nutzen wir die beruhigende Wirkung entspannungsfördernder Instrumente wie der Körpertambura oder dem Klangstuhl, um den Patienten in einen tranceartigen Entspannungszustand zu versetzen. Taktile Stimulation in Form von behutsamen Massagen lässt die PatientInnen zusätzlich ein Gefühl von Geborgenheit, Schutz und Urvertrauen erfahren.
Die musiktherapeutische Arbeit in der LVR-Klinik ist also sehr vielseitig. Sie erfordert ein hohes Maß an Flexibilität und Arbeitseinsatz, erlaubt uns allerdings auch viel Freiheit und Lust, musiktherapeutische Methoden im Sinne der PatientInnen anzuwenden, zu gestalten und weiterzuentwickeln.
Wie bereits beschrieben, werden wir im Jahr 2019 einige bereits begonnene strukturelle Veränderungs- und Dezentralisierungsprozesse weiter mitgestalten. So wird auf dem Gelände selbst ein neues Bettenhaus gebaut, was die räumlichen Möglichkeiten für eine stationsnahe Behandlung strukturschwächerer Patientinnen und Patienten deutlich erweitert. Hinzu kommt eine Wahlleistungsstation für SelbstzahlerInnen und PatientInnen mit privatem Krankenversicherungsverhältnis. Zwei Stationen werden in ein neues Behandlungszentrum in Solingen umziehen. Auch dort wird die Musiktherapie fest integriert zum Behandlungskonzept gehören.
Als ein Highlight im nächsten Jahr freuen wir uns bereits jetzt darüber, dass die 12. LVR-Kreativtherapietage am 14.–15. November 2019 in unserer Klinik stattfinden werden. Interessierte können sich unter www.kreativtherapie.lvr.de auf dem Laufenden halten.

Die Autorin:

Sarah Bonnen
Musiktherapeutin BA, ArtEZ Konseratorium Enschede
Musiktraumatherapeutin

Das Team:

Janneke Berg
Dipl. Musiktherapeutin, Hochschule Magdeburg-Stendal

Nicole Kramortz
Musiktherapeutin BA, Hogeschool van Arnhem en Nijmegen

Lea Sauter
Musiktherapeutin BA, ArtEZ Konservatorium Enschede

Praxisvorstellung

Naturheilpraxis Carolin Kubacki

Mein Weg zur Musiktherapie:

Von Carolin Kubacki

Meine Kindheit bis zum Studium verbrachte ich in München, wo ich 1968 geboren wurde. Schon früh entdeckte ich die Liebe zur Musik. In erster Linie fühlte ich mich sehr mit dem Gesang verbunden. Es war eine Möglichkeit, mich auszudrücken. Meine Eltern unterstützten liebevoll und freilassend meine Freude an der Musik durch Flöten-, Klavier- und späterem Gesangsunterricht.
Neben meiner Begeisterung für Musik erwachte ein großes Interesse an der naturheilkundlichen Medizin. Immer stand dabei der Mensch im Mittelpunkt in einer ganzheitlichen Betrachtungsweise – und ein tiefes Anliegen, dem Menschen in irgendeiner Art zu helfen.
Die künstlerische und gesangspädagogische Ausbildung erhielt ich am Richard-Strauß-Konservatorium in München mit dem Abschluss zur staatl. geprüften Konzert- und Opernsängerin. Schon während des Musikstudiums begann ich, nach weiteren Ansätzen im musikalisch-therapeutischen Bereich zu suchen.
Aus dem Bedürfnis heraus, die Verbindung zwischen Musik, Heilung und Medizin für mich weiterzuentwickeln, schlossen sich diverse Zusatzausbildungen an. Beispielhaft seien hier einige Abschlüsse genannt:
Musik-Kinesiologie Practitioner; Brennan Healing Science® Practitioner, USA; Brennan Integration® Practitioner (Spezialisierung auf Einzel- und Gruppensupervision), A; Peter-Hess-Klangmassagepraktikerin; Heilpraktikerin (Abschluss 2015).
Dazwischen absolvierte ich eine Ausbildung an der Orpheusschule für anthroposophische Kunsttherapie Fachrichtung Musiktherapie, CH. Zusätzlich erlangte ich die Zertifizierung als Musiktherapeutin (DMtG) und Lehrmusiktherapeutin (DMtG).
Innerhalb einer langjährigen Tätigkeit als Musiktherapeutin implementierte ich in einer psychosomatischen Reha- und Fachklinik, so wie auch in einer sozial-therapeutischen Einrichtung mit Schwerpunkt psychische Erkrankungen das Therapiefeld der Musiktherapie. In den letzten Jahren half ich immer wieder in einer Onkologischen-, Palliativ- und Schmerzklinik als Musiktherapeutin aus.
Seit 2017 arbeite ich in eigener Praxis in Villingen im Schwarzwald.
Im Spannungsfeld zwischen Kunst, Pädagogik, Therapie und Medizin ist meine langjährige Bühnenpraxis, Konzert- und Unterrichtstätigkeit in meine musiktherapeutische Arbeit integriert.

Schlüsselerlebnis
Den entscheidenden Anstoß Musiktherapie zu studieren gab ein Eurythmist an der Waldorfschule in Carbondale, USA. Zu diesem Zeitpunkt lebte ich in den USA, wo ich u.a. an einer Waldorfschule das Fach Musik unterrichtete. Ich durfte seine Eurythmiestunden auf dem Klavier begleiten, was mir sehr viel Freude bereitete. Er machte mich auf eine Musiktherapeutische Ausbildung in der Schweiz aufmerksam, was meine Neugier weckte und mein Herz höher schlagen ließ. Es brannte in mir die Frage, was steckt eigentlich alles hinter der Musiktherapie. Ich zog Erkundigungen ein und machte mich auf den Weg zurück nach Europa und in die Schweiz.

Was ist mir wichtig – Rahmen und Konzept:
Aus dem oben beschriebenen Dreiklang von Naturheilkunde, Musiktherapie und Persönlichkeitsentwicklung ergibt sich die Konzeption meiner Praxistätigkeit.
In der heutigen Zeit gibt es immer mehr Menschen, die alternative Wege für ihre Probleme und Krankheiten suchen. Für manche Menschen kann es auch eine Hürde aus Scham oder Hemmungen sein, einen Psychologen oder Psychotherapeuten aufzusuchen. Mein Schwerpunkt liegt deshalb auf einer Kombination von Musiktherapie im Einzelsetting in Verbindung mit Psychotherapie.
Für Gruppen biete ich immer wieder verschiedene Arten von Stimm-Workshops an zur Entdeckung und Entfaltung der eigenen Stimme und Persönlichkeit.
Vielen Menschen fällt es im Allgemeinen leichter ihre Empfindungen musikalisch auszudrücken, als diese in Worte zu fassen. Gerade z.B. bei traumatisierten Menschen besteht oft eine Blockade, über das Thema zu reden, und so kann eine Verarbeitung über die eigene Stimme oder ein Instrument eine große Hilfe sein.
Neben der Musiktherapie kommen folgende Heilungsansätze zur Anwendung: die anthroposophische Medizin, Phytotherapie, Homöopathie, Ernährung, Nahrungsergänzungsmittel und Ausleitungsverfahren.
Im Zentrum meines Angebots stehen jedoch die Stimme und die Gesangstherapie. Es geht hier nicht in erster Linie darum, eine spezielle Technik zur Vervollkommnung der Stimme zu vermitteln, sondern für mich gehen Stimmentwicklung und Persönlichkeitsentwicklung Hand in Hand.
So bin ich überzeugt, dass die Stimme jederzeit Ausdruck unserer Seelenverfassung (Gestimmtheit) und unseres gesundheitlichen Zustands ist.
Die Stimme ist somit das „Instrument der Wahl“, um den Seelenraum zu öffnen.
In meinem ganzheitlichen Ansatz hilft mir das Medium der Musik sowohl bei der Diagnostik wie auch bei der Therapie.
Diese Methodik unterstützt mich auch in der Arbeit mit dem Klangbett und den Klangschalen. Einerseits zeigt mir die Schwingungsunfähigkeit, die ich an gewissen Körperstellen wahrnehme, eine Erstarrung im seelisch-geistigen oder körperlichen Bereich an, mit der gearbeitet werden kann, andererseits können dabei sowohl körperliche wie seelische Befindlichkeitsstörungen harmonisiert werden. Solche Erstarrungen finden sich vor allem bei Burnout, Ängsten, Depression, Trauma, chronischen Schmerzerkrankungen und Krebs.
Die Musik zeigt sich oft hilfreich bei Schwellenmomenten in der eigenen persönlichen Entwicklung oder bei Wandlungsphasen im körperlichen und seelischen Bereich.
Dieser musiktherapeutische Ansatz ließ mich in der Palliativmedizin erleben, wie Patienten ihren letzten Schwellenübertritt angstfreier, entspannter und zuversichtlicher erlebten.

Praxisräumlichkeiten zum Wohlfühlen
Die hellen, frisch renovierten Altbauräumlichkeiten meiner Praxis sind zum Hof, d.h. von der Einkaufsstraße entfernt, ausgerichtet, so dass eine angenehme, ruhige und entspannte Atmosphäre einladend auf die Klienten wirken kann. In einer sonst zurückhaltenden Einrichtung schaffen sie einen Ort der Ruhe und Entspannung, der den Patienten helfen soll, besser zu sich selbst zu finden.

„Meine Praxishelfer“ … oder wo Rhythmus und Klang sich treffen
Das Repertoire meiner therapeutischen Musikinstrumente reicht von Klangbett, Klangschalen, Gong, Leier, Chrotta, Gitarre, Alphorn, Djemben und div. Perkussionsinstrumente bis hin zur eigenen Stimme. Das Wichtigste ist für mich jedoch die Stimme. Sie gibt mir im Praxisalltag einen unmittelbaren Bezug zu meinen Patienten.
Der Klang der menschlichen Stimme, welcher aus der lebensspendenden Energie des Atems hervorgeht, ist unser ureigenstes Instrument.
Der Klang und die Stimme im Besonderen haben unmittelbaren Zugang zu den Emotionen und zum Körper. Sie wirken daher – unter kurzzeitiger Umgehung des Intellekts – aktivierend auf die eigenen Selbstheilungskräfte.
Der Mensch stellt eine tiefere Beziehung mit sich selbst und seinem ICH her. Er erfährt dieses einerseits durch einen erfahrbaren, typenbezogenen (solaren/lunaren) Atem, einzelne Stimmübungen und andererseits durch den Gesang von Liedern, Songs, Arien usw., welche der Erweiterung eigener Ausdrucks- und Kommunikationsmöglichkeiten dient.

Wer zu mir kommt und was hilft
Wie bereits erwähnt, arbeite ich grundsätzlich mit einem ganzheitlichen Ansatz. Ich sehe den Menschen immer im Mittelpunkt meiner Betrachtung, die Seele, Körper und Geist umfasst und ihn da abholt, wo er biographisch gerade steht. Der Heilungserfolg hängt maßgeblich von einem professionellen und vertrauensvollen Therapeuten-Patientenverhältnis ab.
Durch meine psychotherapeutische und naturheilkundliche Ausbildung behandle ich Menschen in Lebenskrisen ebenso wie Patienten mit chronisch-organischen Leiden. Das Spektrum geht von Entwicklungsverzögerung bei einem Kind über die ganzheitliche Aufarbeitung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), Burnout, Depression, Linderung von chronischen Schmerzzuständen, Krebs, Bewältigung von diversen Lebenskrisen bis hin zur palliativen Sterbebegleitung.
Ein besonderes Anliegen ist mir neben der klanglichen Gesang- und Stimmschulung auch die Persönlichkeitsentwicklung meiner Klienten.
Des Weiteren ist es mir ein besonderes Bedürfnis, als Lehrmusiktherapeutin (DMtG) auch meine langjährige klinische Berufserfahrung im psychosomatischen Bereich an jüngere Kollegen/innen weiterzugeben.

Wenn man mich fragt, wie die Musik klingt
Der Klang von Musik und Stimme geht als Bypass vom Verstand direkt in die Zellen bzw. es berührt den Kern – die Essenz des Menschen.
Mal lasse ich den Patienten mit seiner Stimme und Musik aktiv erklingen und ein anderes Mal, z. B. bei sehr geschwächten Patienten mit Depression oder Burnout, lasse ich im Anfangsstadium der Behandlung die Musik rezeptiv wahrnehmen. In dem Moment erlebe ich oft innige Momente, in denen es mir erscheint, wie wenn meine Klienten aus den Klängen der Musik heraus genährt werden.

Eine typische Situation aus dem Berufsalltag
Oft erlebe ich, dass die Menschen Hemmungen und Scham haben, ein Instrument zu spielen und im Besonderen die eigene Stimme erklingen zu lassen. Es braucht etwas Mut und Unterstützung – wenn sie diese Hürde jedoch nehmen, erlebe ich ein Strahlen in den Gesichtern und Begeisterung, so dass sie ihre Stimme weiter entdecken möchten. Aus den vielfältigen Erfahrungen sind mir die „Un-Stimmigkeiten“ genauso bekannt wie der Zauber, welcher der Stimme innewohnt. Mein Anliegen ist es, die Menschen dabei zu unterstützen, die Kraft in der eigenen Stimme zu finden.

Eine besonders bewegende Situation
Ein Beispiel ist eine Begegnung mit einem älteren Herrn in einem Hospiz, der an der Schwelle des Todes stand. Es stellte sich heraus, dass er selbst Musiker, Chorleiter und Anthroposoph war. Ich saß an seinem Bett mit der Solo-Altleier in der Hand, welche schon alleine durch ihr helles Holz Licht und Wärme ausstrahlte. Der Raum war gefüllt mit einer zeitlosen Stille. Nun fing ich an auf der Leier zu improvisieren und nahm später noch meine Stimme hinzu. Es war noch eine weitere Person aus der Verwandtschaft auf der anderen Seite des Bettes anwesend. Sie fing leise an zu weinen. Am Ende des Spieles nahm der Herr seine Hand, legte sie ganz sanft auf meine, drückte sie leicht und lächelte dabei. Mein Herz wurde in diesem innigen Moment zutiefst berührt.

Meine Vision von meiner Tätigkeit
Es würde mich freuen, wenn das Gesundheitssystem Rahmenbedingungen schaffen könnte, die es allen Patienten ermöglicht, diese wertvolle Therapieform nach Wunsch zu ergreifen.
Des Weiteren erlebe ich in den Kliniken oft eine Atemlosigkeit und Hektik. Immer mehr Therapieeinheiten sollen abgehalten werden, um die Kosten zu decken und Gewinne zu erwirtschaften. Dabei bleiben die Menschen, der Therapeut und der Patient, auf der Strecke. Hier würde ich mir mehr Raum und Zeit für den Therapeuten und die Patienten wünschen.
Künstlerische Therapien sollten generell in den Kliniken ein festes Standbein haben, da sie sehr wirkungsvoll in der Aktivierung der Selbstheilungskräfte sind. Der Beruf des Musiktherapeuten/der Musiktherapeutin sollte staatlich anerkannt werden.

Die Autorin

Carolin Kubacki
Heilpraktikerin, Musiktherapeutin (DMtG), Brennan Healing Science® Practitioner, Brennan Integration® Practitioner
Rietstr. 3
78050 VS-Villingen
Tel. 07721 / 680 73 31
Mobile 0151 / 172 950 70
Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
www.carolinkubacki.de

Glossar
Anthroposophie:
„Anthroposophie – wörtlich aus dem Griechischen: „Weisheit vom Menschen“ – ist in den Worten ihres Begründers Rudolf Steiner (1861–1925) „Bewusstsein des eigenen Menschentums“ und ein spirituell orientierter Erkenntnisweg.“ (aus www.anthroposophie.or.at/anthroposophie)
Eurythmie:
Es ist eine Bewegungskunst aus der Anthroposophie, die Sprache und Musik nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten umsetzt.

 

Inhaltsverzeichnis

Editorial
Hans-Helmut Decker-Voigt

Musiktherapeutischer Klinikspaziergang
Die LVR-Klinik Langenfeld
Sarah Bonnen

Praxisvorstellung
Naturheilpraxis Carolin Kubacki
Carolin Kubacki

Patienteninterview
Musiktherapie nach Schädel-Hirntrauma
Alexandra Takats

Der Turmbau zu Babel

Schwerpunktthema II
Die Muttersprache in der Musiktherapie
Saya Shiobara

Bedeutung von Fremdsprachigkeit
für die musiktherapeutische Identität
Katrin Kaasik

Ich, Fremde, in der Musiktherapie
Erfahrungen mit Sprach- und Heimatlosigkeit
Claudia Knoll

Master Musiktherapie der Universität Augsburg
Ljiljana Winkler, Stefan Bartmann, Michael Fiedcak

Musiktherapie in Belgien
Jos De Backer, Katrien Foubert

Papa Haydn, Muttersprache und Weißbüscheläffchen-Eltern…
Am Anfang war Musik
Thomas Stegemann

31. Werkstatt für musiktherapeutische Forschung Augsburg
Katrin Haugwitz

News und Hochschulnachrichten

Singende Krankenhäuser e. V.
Elke Wünnenberg, Gabriele Schmidt, Wolfgang Baumgärtner

Rezension
Anne-Katrin Jordan u.a. (Hg.):
Musiktherapie in pädagogischen Settings
Ludger Kowal-Summek

Rezension
Susanne Bauer: Musiktherapie
Ludger Kowal-Summek

Rezension
H. U. Schmidt/T. Timmermann (Hg.): Förderung von Kindern und Jugendlichen
durch musiktherapeutische Vorgehensweisen
Ludger Kowal-Summek

Min Modersprak, wa klingst du schön

Kleine Hilfen mit Atem, Bewegung und Stimme
Klang-Erkundungen mit dem „Großen Lalula“
Sabine Rittner

Praxismodelle
Die Seelenwanderung
Constanze Rüdenauer-Speck

AufgeMuGt
Babylon. Von Vaterland und Muttersprache
Hans-Helmut Decker-Voigt

Vorschau. Impressum

Schwerpunktthema II

Die Muttersprache in der Musiktherapie

Von Saya Shiobara

„Die japanische Studentin spielte zwei japanische Stücke am Klavier. Während sie das erste Stück spielte, lud sie ihre StudienkollegInnen ein, die Aufmerksamkeit nach innen zu richten, sich selbst wahrzunehmen und die Musik auf sich wirken zu lassen. Danach sang sie das zweite Stück auf Japanisch. Die Stücke wurden von KollegInnen als rührend, tröstend und zentrierend erlebt. Die japanische Studentin brachte ihre Traurigkeit sowie ihre Sehnsucht nach Japan zum Ausdruck und umging auf diese Art die Sprachbarriere.“ (November 2001, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Unterrichtstunde Rezeptive Musiktherapie)
Diese Studentin war ich vor 18 Jahren. Im März 2001 kam ich nach Wien, ich hatte gerade das Musiktherapiestudium begonnen und alles – die Stadt, Deutsch als Fremdsprache – war mir noch sehr fremd. Dieses Gefühl von „fremd sein“ wollte ich nicht. Ich hatte ein Stück in meiner Muttersprache gewählt, um mich wieder präsent wahrnehmen zu können. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich mich dabei gefühlt habe. Der Ausdruck für dieses Gefühl ist „Setsunai“ auf Japanisch, das aus einer herzzerreißenden Mischung von Traurigkeit, Sehnsucht und Melancholie entsteht. Es lässt sich leider nicht direkt auf Deutsch übersetzen. Obwohl meine KollegInnen kein Japanisch verstanden haben, war und bin ich davon überzeugt, dass sie mein Gefühl mit Hilfe der Musik gespürt haben und ihre Rückmeldungen haben meine Überzeugung bestätigt.

Muttersprache
Der Begriff „Muttersprache“ wird zumeist für die im menschlichen Leben zuerst erworbene Sprache verwendet. Mehrere Definitionen sind bereits vorhanden, aber in diesem Beitrag wird der Begriff „Muttersprache“ als die Sprache verwendet, mit der man sich als Individuum am meisten identifizieren kann und mit der man die Werte und Normen in der Kultur erlernt.
Anhand von einem Beispiel aus der japanischen Sprache möchte ich nun zeigen, wie unterschiedlich ein zentrales Wort in einer anderen Kultur formuliert werden bzw. wie ein Wort eine soziale Konstellation widerspiegeln kann.

Beispiel: „Nein“ in der japanischen Sprache
Das Wort „Nein“ ist ein sehr essenzielles Wort in der Kommunikation und kommt in jeder Sprache vor. Die Bedeutung des Wortes ist in der japanischen Sprache prinzipiell dasselbe wie in der deutschen. Man verwendet es, wenn man z.B. auf Fragen, Forderungen, Meinungen, Vorschläge von anderen Menschen mit Verneinung bzw. Ablehnung reagieren will. Wenn man eine japanische Übersetzung des Wortes „Nein“ sucht, findet man allerdings gleich mehrere Möglichkeiten, wie z.B.:
„iie (Nuance: neutrale Übersetzung für Nein)“,
„Iya da (Nuance: ich mag es nicht, ich will es nicht)“,
„Iya desu (Höflichkeitsform von Iya da)“,
„Dame da (Nuance: ich verbiete dir)“,
„Dame desu (Höflichkeitsform von Dame da)“,
„Chigau (Nuance: das stimmt nicht)“,
„Chigai masu (Höflichkeitsform von Chigau)“.
In der Umgangssprache wird das Wort je nach Geschlecht, Situation und zwischenmenschlicher Beziehung weiter variiert.
Die Muttersprache ist nicht nur eine „Sprache“, sondern symbolisiert das soziokulturelle Kommunikationssystem. Die jeweilige Kultur beeinflusst die Struktur, den Aufbau und die Funktion der Sprache. Das bedeutet, dass Kultur und Sprache miteinander interagieren: Der Mensch nimmt einerseits durch die Verwendung der Sprache die wesentlichen Aspekte bzw. Elemente der Kultur auf und verstärkt andererseits die Kultur durch Verwendung der Sprache (vgl. Matsumoto, 2000, S. 163–173).

Der Umgang mit Sprache in der Musiktherapie
Musik ist ein Hauptmittel in der Musiktherapie und kann als universales Medium betrachtet werden, das Menschen miteinander verbindet. Die musiktherapeutische Arbeit beinhaltet sowohl nonverbale als auch verbale Elemente: Musikalische Phänomene und die durch sie hervorgerufenen Gefühle und Stimmungen können mittels Verbalisierung bewusst gemacht bzw. aufgearbeitet werden. Die Musik ermöglicht andererseits aber auch den Ausdruck dessen, was nicht in Worte gefasst werden kann.
Im Erstkontakt mit den meisten PatientInnen ist die Sprache vor allem ein wichtiges Kommunikationsmittel, um sich gegenseitig kennenzulernen und eine therapeutische Beziehung aufzubauen. Welche Probleme ergeben sich nun, wenn eine MusiktherapeutIn nicht die gleiche Muttersprache spricht wie ihre Patienten? Problematisch ist es, sich als TherapeutIn aus eigener Verlegenheit bzw. aus Schamgefühl so zu präsentieren, als verstünde man alles, was der/die PatientIn sagt, denn dadurch können Kunstfehler entstehen. Meiner Meinung nach sind die nachfolgenden Kriterien wichtig, wenn man in einer „Fremdsprache“ als MusiktherapeutIn tätig sein will:

1. Ernsthafte Bemühung, die Sprache so gut wie möglich zu beherrschen.
Die Fähigkeit der verbalen Kommunikation ist eine wichtige Grundlage für jede therapeutische Arbeit. Auch die Musiktherapie ist keine vollständig „nonverbale“ Therapie. Daher sollte man als fremdsprachige Therapeutin bereit sein, die Sprache des Landes, in dem man arbeitet, so gut und präzise wie möglich zu lernen.

2. Verständnisprobleme offen ansprechen – als fremdsprachige TherapeutIn authentisch sein.
In der Therapiestunde kann es allerdings passieren, dass das, was der Patient ausdrückt, bedingt durch ganz feine sprachliche Nuancen von fremdsprachigen TherapeutInnen anders verstanden wird. In diesem Fall ist es wichtig, diese Diskrepanz nicht zu übersehen, die eigene Scham zu überwinden und das Nicht-Verstehen ehrlich zu thematisieren. Das hilft den PatientInnen nicht nur sich präziser auszudrücken, sondern auch weitere wichtige Themen wie z.B. den Umgang mit Fehlern bzw. Schamgefühlen beim „verstehen wollen bzw. verstanden werden wollen“ zu entwickeln. Aus meiner Erfahrung wirkt diese ehrliche Konfrontation nur selten verunsichernd. Es ist für die therapeutische Beziehung sogar förderlich, wenn PatientInnen sehen, dass TherapeutInnen auch nicht immer perfekt sind, aber authentisch und ehrlich für sie da sein wollen.

3. Muttersprachliche Sicht- und Denkweisen der TherapeutInnen als Bereicherung.
Als ein Vorteil von fremdsprachigen TherapeutInnen kann der erweiterte Horizont des Sprachverständnisses genannt werden. Und zwar nicht nur in Bezug auf die Sprache im linguistischen Sinn, sondern auf die Denk- und Verwendungsweise in der jeweiligen Sprache, die in der musiktherapeutischen Situation sinnvoll und effektiv eingebracht werden kann.

Ich kann hier aus meiner Erfahrung von mehreren Aspekten berichten, die in meiner musiktherapeutischen Arbeit hilfreich waren. Der erste Aspekt ist die durch die japanische Sprache und Kultur gelernte Fähigkeit, „zwischen Zeilen lesen“ zu können bzw. zu müssen. In der japanischen Kultur wird vieles nicht direkt ausgesprochen, man muss das Gesagte im Zusammenhang erkennen und nachvollziehen. Um dies zu ermöglichen, werden Japaner in der zwischenmenschlichen Interaktion bewusst oder unbewusst gut „trainiert“, folgende Faktoren der Kommunikation sehr sensibel wahrzunehmen: die Atmosphäre im Hier und Jetzt, die Stimmlage des Gesprächspartners und bestimmte Redewendungen, die eine andere Botschaft ausdrücken, als tatsächlich gesagt wurde.
Eine Erkenntnis, die ich aus eigener Erfahrung gewonnen habe: Es gibt Worte, die nur in der jeweiligen Muttersprache verwendet werden bzw. Gefühle, die sich nur in der Muttersprache stimmig ausdrücken lassen. Und es kommt darauf an, wie man grundlegende, wichtige Worte in der Kommunikation zum Ausdruck bringt (siehe Beispiel „Nein“).

Fallvignette: Bedeutung und Wirkung der Muttersprache in der Musiktherapie
Um eine Brücke zwischen der bisherigen Beschreibung der eigenen Erfahrung und der Möglichkeit der praktischen Umsetzung herzustellen, möchte ich einen Fall aus dem musiktherapeutischen Setting vorstellen und vier unterschiedliche Sitzungen beschreiben.
1: „Ich weiß nicht mehr, wer ich bin“ (5. Sitzung)
Frau H. kommt in die Behandlung, da sie unter einer Depression leidet und zurzeit eine Lebenskrise hat. Sie ist in einer Firma angestellt und arbeitet laut ihrer Beschreibung „Tag und Nacht“. Manchmal arbeitet sie von zu Hause aus. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder, bis jetzt sei soweit alles gut gelaufen. Wie es ihren Kindern geht, sei für sie das Wichtigste. Mit ihrer Partnerschaft ist sie zufrieden. Da ihr Mann auch viel arbeitet, hätten sie unter der Woche nicht so viel gemeinsame Zeit, aber am Wochenende würden sie die Zeit miteinander als Familie verbringen. Sie beschreibt sich wie folgt: „Ich habe ja wunderbar funktioniert und so war ich immer“.
Seit Monaten merkt sie: irgendetwas „stimmt nicht“ mit ihr. Sie klagt über Konzentrationsschwierigkeiten, allgemeines Desinteresse und fehlende Lebensfreude. Sie verbirgt ihre Gefühle vor der Umwelt, versucht „ihren“ Lebensstil beizubehalten, bemerkt aber immer mehr körperliche Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindel und Herzrasen. Nach einem Nervenzusammenbruch entscheidet sie sich, in den Krankenstand zu gehen und sich professionelle Hilfe zu holen, was für sie ein schwieriger Schritt war.
In der Biographiearbeit wurde ihre Lebensgeschichte besprochen. Frau H. stammt aus Bulgarien (Eckdaten wurden geändert) und kam im Volksschulalter mit ihrer Familie nach Österreich. Frau H. spricht fließend Deutsch und kann sich sowohl emotional als auch rational sehr gut ausdrücken.
In der Einzeltherapie thematisiert sie ihre Lebenssituation: Sie arbeitet kooperativ mit, wirkt sehr angepasst, im Kontakt ist sie aber eher vorsichtig und zurückhaltend. Sie macht den Eindruck, als würde sie die ganze Zeit überlegen, was richtig ist und was jetzt gemacht werden muss. Die durch gemeinsame Improvisationen hervorgerufenen Emotionen beschreibt sie immer ausführlich. Die therapeutische Beziehung wird langsam aufgebaut und entwickelt sich in eine gute Richtung.
Trotzdem entsteht bei mir das Gefühl, dass irgend etwas Wesentliches noch fehlt. Ich spüre sie als Person immer noch nicht ganz präsent. Was ist das? In der verbalen Reflexion sagt Frau H.: „Einiges ist mir irgendwie immer noch fremd: ich selbst, Therapien, Instrumente und in Behandlung zu sein. Ich weiß nicht mehr, wer ich bin.“ Frau H. sagt den Satz, schließt ihre Augen und wirkt richtig erschöpft. Das war ein Schlüsselwort: „fremd sein“ – sie hat zurzeit keinen Kontakt zu ihrer Mitte, ihrem Selbst-Bild und ihren Wurzeln.
2: „Meine Gefühle in der Muttersprache benennen und spüren“ (8. Sitzung)
In dieser Stunde wird eine Situation aus ihrer Kindheit thematisiert, in der sich Frau H. allein gelassen gefühlt hat und damit klarkommen musste. Ich schlage ihr vor, für eine gemeinsame Improvisation zwei Instrumente zu wählen. Das Instrument, das sie spielen soll, steht für das allein gelassene Kind, das Instrument, das ich spiele, symbolisiert „Ich bin für dich da.“ Frau H. wählt eine kleine Harfe (Kantele) für sich und gibt mir ein Röhrenglockenspiel. Bevor wir mit der Improvisation beginnen, ermutige ich sie, die auftauchenden Gefühle in ihrer Muttersprache zu benennen, auch wenn es für sie ungewöhnlich ist, da die Therapie auf Deutsch stattfindet. Die Improvisation klingt harmonisch, ruhig, wie ein Frage-Antwort-Dialog und dauert einige Minuten. Nachdem sie zu Ende ist, nimmt sich Frau H. eine lange Pause und fängt schließlich an, einige Worte in ihrer Muttersprache zu formulieren. Es ist klar spürbar und sichtbar, dass sie wirklich bei sich ist. Tränen fließen. Sie berührt die kleine Harfe ganz sanft und redet weiter, als ob sie mit dem kleinen Kind, das sie damals war, sprechen würde. Ich bleibe nonverbal mit ihr gut in Kontakt, indem ich den Blickkontakt zu ihr halte. Nach einer Weile entsteht Stille.
Auf meine Frage (wieder auf Deutsch), was gerade in ihr vorgeht, antwortet sie: „Ich bin da und habe mein Gefühl gespürt.“ Ich bitte Sie um eine kurze Zusammenfassung auf Deutsch und frage, was das wichtigste Wort war, das ihr Gefühl ausdrückt. Sie nennt ein Wort in ihrer Muttersprache und sagt, dass sie das Wort nicht direkt auf Deutsch übersetzen kann.
3: „Nein sagen“ in meiner Muttersprache (13. Sitzung)
Frau H. schildert eine Situation, in der sie am liebsten „Nein“ gesagt hätte, es aber nicht sagen konnte. Laut ihrer Beschreibung kommen solche Situationen immer wieder vor.
Ich schlage die folgende Improvisation vor: Die Patientin soll ein Instrument für sich wählen, mit dem sie musikalisch gut „Nein“ sagen kann. Ich würde in unterschiedlicher Lautstärke und unterschiedlichem Tempo Basisklänge spielen. Mit ihrem musikalischen „Nein“ werden meine Basisklänge gestoppt, es folgt eine Pause und dann fangen diese Klänge wieder langsam und vorsichtig an. Sie kann jederzeit wieder versuchen, ein musikalisches „Nein“ in die Improvisation einzubringen. Frau H wählt eine Trommel für sich und ich spiele ein Metallophon.
Frau H. macht den Eindruck, dass sie die Trommel in der Improvisation effektiv nutzt, aber ihre Unsicherheit ist immer noch spürbar.
Nach dem ersten musikalischen Versuch beschreibt sie, dass sie ein gutes Gefühl hatte, da sie es war, die diese Situation kontrollieren konnte. Ich frage sie, welche Form von „Nein“ in ihrer Muttersprache für diese Situation passen würde. Sie überlegt und nennt einige Begriffe in ihrer Muttersprache.
Als nächstes schlage ich noch eine weitere gemeinsame Improvisation mit der gleichen Regel vor. Die Variation besteht darin, dass sie zusätzlich zum musikalischen Ausdruck „Nein“ in ihrer Muttersprache sagt. Anfangs ist sie ähnlich vorsichtig, wie bei der ersten Improvisation. Nachdem sie mehrmals verbal „Nein“ begleitend zum Ton der Trommel ausspricht, wirkt sie von Mal zu Mal sicherer. Die Tonstärke der Trommel wird auch immer lauter. Als ich nach einer Pause wieder spielen will, spielt sie fast gleichzeitig einen ganz klaren Ton auf der Trommel und sagt dazu richtig klar das Wort „Nein“ in ihrer Muttersprache. Dabei wirkt sie sehr überzeugt von ihrer inneren Haltung.
4: „Ein Lied in der Muttersprache hören, singen und reflektieren“ (17. Sitzung)
Es ist ein Lied in ihrer Muttersprache, das sie auswendig kann und immer wieder gerne hört. Wenn sie es hört, fühlt sie sich meistens wohl, auch in schwierigen Zeiten. Ich habe sie gebeten, das Lied in die Musiktherapie mitzubringen.
Zuerst hören wir gemeinsam das Lied und anschließend besprechen wir die Bedeutung des Textes. Sie beschreibt, dass es darin um die innere Kraft und das Selbstvertrauen geht. Dann schlage ich ihr vor, das Lied noch einmal gemeinsam anzuhören und in einer für sie passenden Lautstärke mitzusingen. Auch wenn sie nur einen Teil mitsingen will, ist es in Ordnung. Das Ziel ist, das Lied und den Text mit der eigenen Stimme für sich bewusst zu spüren. Die Sitzposition wurde geändert (mehr Abstand und anderer Sitzwinkel), damit sie sich nicht von mir beobachtet fühlt. Frau H. schließt ihre Augen, wir hören das Lied und mit der Zeit wird eine leichte Körperbewegung bei ihr sichtbar. Beim Refrain beginnt sie, für sich leise mitzusingen, im Laufe des Singens wird ihre Stimme etwas kräftiger. Da die Melodielinie des Refrains leicht zu merken ist, summe ich auch im Hintergrund leise mit. Nach diesem Experiment beschreibt sie, dass sie sich mit ihrem Lieblingstext sehr stark identifizieren konnte und sich wieder daran erinnert hat, wie sie sein möchte. Sie sagt: „Interessant. Im Alltag habe ich nicht mehr daran gedacht, oder es war mir nicht so bewusst, aber die Muttersprache kommt wirklich direkt im Herzen an.“

Zusammenfassung
Die Muttersprache kann Menschen helfen, zu ihren ursprünglichen Wurzeln zurückzufinden.
In der Musiktherapie kann die Muttersprache als ein therapeutisches Mittel eingesetzt und mit der Musik – dem Hauptmedium in der Musiktherapie – gut kombiniert werden. Dadurch werden PatientInnen dabei unterstützt, ihre eigene Mitte wiederzufinden und ihr Selbstbild zu stärken.
Zum Schluss möchte ich einen Vorteil anführen, den MusiktherapeutInnen haben, wenn sie in einer Fremdsprache arbeiten: Wir wissen aus eigener Erfahrung, wie eng die Muttersprache mit den eigenen Gefühlen bzw. dem Individuum verbunden ist, und dass sich manche Gefühle nicht in einer Fremdsprache ausdrücken lassen. Diese Erfahrung ermöglicht eine sensible und gezielte Nutzung der Muttersprache des Patienten in der Musiktherapie.

Die Autorin:

Mag. Saya Shiobara
Musiktherapeutin, Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision – Integrative Gestalttherapie. Mitglied seit 2015 im Wiener Institut für Musiktherapie
Sozialmedizinisches Zentrum Baumgartner Höhe/Otto-Wagner-Spital, 1. psychiatrische Abteilung mit Zentrum für Psychiatrie und Psychosomatik

Literatur
Matsumoto, D. (2000): Bunka to Shinrigaku, Hikakubunka Shinrigakunyumon, Kyoto, Kitaoji Verlag (Org. Culture and Psychology: People Around the world, Wodsworth)

Publikation
Shiobara, S. (2010): Kultur – Mensch – Musiktherapie, Interkulturelle Aspekte im Umgang mit Emotionalität. Musiktherapeutische Umschau Band 31, 5–13
Shiobara, S. (2011): Working as a Music Therapist in Austria. Japanese Music Therapy Association Journal Vol.11/Vol. 1, 24–28

Zum Mitmachen

Kleine Hilfen mit Atem, Bewegung und Stimme

Von Sabine Rittner

Klang-Erkundungen mit dem „großen Lalula“
Kroklokwafzi? Semememi!
Seiokrontro – prafriplo:
Bifzi, bafzi; hulalemi:
quasti basti bo…
Lalu lalu lalu lalu la!

Hontraruru miromente
zasku zes rü rü?
Entepente, leiolente
klekwapufzi lü?
Lalu lalu lalu lalu la!

Simarar kos malzipempu
Silzuzankunkrei (;)!
Marjomar dos: Quempu Lempu
Siri Suri Sei[]!
Lalu lalu lalu lalu la!

Dies ist keine babylonische Sprachverwirrung, auch kein Computer-Sprachsalat und keine exotische Sprache einer entlegenen Insel im Südpazifik. „Das große Lalula“ ist ein Gedicht von Christian Morgenstern, der damit bereits 1895 Dada erfand, lange bevor es Dada gab. Es begeistert mich so sehr, dass ich mit diesem Text bereits seit Anbeginn meiner Seminartätigkeit in meinen Stimme-Seminaren immer wieder neu experimentiere. Passend zu diesem Themenheft der „Muttersprachen in der Musiktherapie“ möchte ich Sie mit folgender Übungssequenz inspirieren, neugierig, spielerisch und staunend die faszinierende Welt des „Lalula“ zu entdecken. Sie können diese Übungsfolge alleine ausprobieren. Mehr Intensität hat sie jedoch in einem geeigneten Gruppenkontext und macht gemeinsam viel mehr Spaß. Ich empfehle, sich für den gesamten Ablauf etwa 30–40 Minuten Zeit zu nehmen in einem Raum mit ausreichend Platz für Bewegung. Wenn Sie weniger Zeit haben und sich eher beruhigen möchten, dann greifen Sie sich einfach nur den Punkt 2 heraus. Diese Kurzform entfaltet ihre entspannende Wirkung auch schon in etwa 10 Minuten.

1. Im Stehen: Grounding und Einstimmung
Stellen Sie sich vor, dass Sie im Stehen durch Ihre Fußsohlen hindurch in den Boden hinein ausatmen. Mit jedem Ausatem kraftvoll und hörbar stampfend entlasten Sie sich, geben an die Erde ab, was Ihnen momentan lästig ist.
Beklopfen Sie nun Brust, Hals, Nacken und Schultern mit Ihren Fingerspitzen, indem Sie die Hände abwechselnd locker fallenlassen. Finden Sie dabei die richtige Intensität heraus, genau so, wie es sich an der jeweiligen Stelle jetzt angenehm anfühlt.
Tupfen Sie nun Ihr Gesicht mit den Fingerspitzen sanft ab wie mit „Katzenpfötchen“. Beginnen Sie dabei beim Kinn und wandern über die Wangen, die Nasenflügel, bis hin zu den Ohren, den Schläfen, den Augenbrauen und hinauf zur Stirn. Über den Haaransatz lassen Sie das sanfte Tupfen der Fingerspitzen auf der Kopfhaut weiter hinauf gleiten und am Hinterkopf hinunter bis zum Nacken. Dosieren Sie dabei jeweils die Intensität so, dass Sie angenehm ist.

2. Im entspannt aufrechten Sitzen (oder weiter im Stehen): Resonanzräume erkunden
Lassen Sie nun einen sanften Summton hörbar werden.
Gehen Sie mit den Fingerspitzen im Gesicht auf Entdeckung, an welcher Stelle Sie die Vibration dieses einen Summtones am deutlichsten spüren können.
Summen Sie jetzt einen völlig anderen Ton und erkunden Sie erneut das „Epizentrum“ seiner Vibration.
Jetzt umgekehrt: Lassen Sie Ihre Fingerspitzen an einer Stelle liegen und variieren Sie statt dessen die Höhe Ihres Summtones. Lassen Sie den Ton auch weit hinauf und tief hinunter gleiten. Was entdecken Sie unter ihren Fingern? Bei welcher Tonhöhe spüren Sie das leichte Vi­brieren unter Ihren Fingerspitzen am deutlichsten?
Auf die gleiche Art erkunden Sie jetzt verschiedene Stellen: auf der Brust, am Hals, im Gesicht, auf dem Kopf…
Neugierig können Sie auf diese Weise die „Kartografie“ verschiedener vibrierender Resonanzräume im oberen Körperraum erforschen. Sie werden entdecken, dass sich diese innere Klanglandkarte je nach Tonhöhe wandelt.

3. Den Mundraum erkunden: Schlagzeug im Mund
Nun wenden Sie sich dem Innenraum Ihres Mundes zu. Erforschen Sie mit der Zungenspitze jeden Zentimeter des Mundinnenraums, jeden Winkel, jede Erhöhung, jede Höhlung.
Lassen Sie Töne hörbar werden, so, wie sie entstehen möchten.
Verziehen Sie dabei in jeglicher Weise das Gesicht, machen Sie Fratzen, experimentieren Sie spielerisch mit Lauten, Geräuschen, Konsonanten, Vokalen – so, wie Sie es ganz sicher damals als Kind mit vorsprachlichen Lautierungen gemacht haben.
Finden Sie nun eine wiederkehrende Lautfolge, die Ihnen gefällt und wiederholen Sie sie eine zeitlang.
Rhythmisieren Sie diese Lautfolge, als hätten Sie ein „Schlagzeug“ in Ihrem Mundraum.

4. In Bewegung: Stimm-Improvisation
Improvisieren Sie, spielen Sie mit dieser rhythmischen Lautfolge, bewegen Sie sich dazu im Raum, tanzen Sie damit. Wenn Sie in einer Gruppe sind, lassen Sie sich verführen zu verrückten Lautexperimenten. Warum nicht einfach mal gemeinsam spielerisch lautierend herumalbern?
Wichtig ist dabei: geben Sie die Pulsation Ihrer lautmalerischen Experimente in Ihre Füße, stampfen Sie während des Improvisierens mit der Stimme im gemeinsam sich synchronisierenden Rhythmus.

5. Mit dem Text von Morgenstern: Das große Lalula
Nehmen Sie nun „Das große Lalula“ zur Hand und benutzen Sie für Ihre rhythmischen Stimm- und Sprechimprovisationen die Wortfetzen, Bausteine, Fragmente, Lautmalereien, die Ihnen Morgenstern dazu anbietet.
Variieren Sie im Sprechgesang diese Anregungen, erfinden Sie neue dazu, jedoch immer auf der Basis einer rhythmischen Grundstruktur.
Vielleicht haben Sie nun Lust, gemeinsam mit anderen mit dem „Lalula“-Text eine kleine Szene zu gestalten, damit ein Rollenspiel zu erfinden, eine musikalisch-kabarettistisch-lautmalerische Aufführung zu inszenieren?
Wenn Sie bis hierher das Wagnis eingegangen sind, mit Körperklängen, Geräuschen, Atem, Stimme zu experimentieren, werden Sie bemerken, dass Musiktherapie keine ernste, problemfokussierte und harte Arbeit ist, sondern vielmehr kreativ, leicht und spielerisch sein kann. Diese Übungssequenz habe ich vor sehr langer Zeit entwickelt aus einer Kombination von Elementen aus Atemtherapie, Stimmtherapie, Vokalimprovisation, Musiktherapie und: Dada.
Ich wünsche Ihnen viel Leichtigkeit und Freude mit unser aller Muttersprache: lalu lalu lalu lalu la!

Die Autorin:

Sabine Rittner
ist Musikpsychotherapeutin, Atem- und Stimmtherapeutin, approbierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, Psychotherapeutin (HP), Hypnotherapeutin, Traumatherapeutin mit Spezialisierung in der Arbeit mit veränderten Bewusstseinszuständen und körper­orientierter Therapie. Sie ist tätig am Institut für Medizinische Psychologie der Universitätsklinik Heidelberg (Lehre, Psychotherapie, Musiktherapie- und Bewusstseinsforschung), sowie in eigener Praxis (Therapie, Supervision, Coaching). Seit 40 Jahren leitet sie Seminare, bildet aus und hält Vorträge weltweit. Umfangreiche Forschung und Publikationen zu den Themenkomplexen Bewusstseinsforschung – Klang – Trance – Stimme – Musiktherapie. Weitere Informationen: www.SabineRittner.de

Anmerkungen /Literaturtipps:
Christian Morgenstern. Das große Lalula. Entstanden 1895–1906.
Quelle: Christian Morgenstern (1983). Galgenlieder. Zürich: Diogenes.
In meiner allerersten musiktherapeutischen Publikation habe ich mich mit Stimm- oder Vokalimprovisation bereits grundlegend methodisch befasst:
Rittner, Sabine (1990): Zur Rolle der Vokalimprovisation in der Musiktherapie. In: Musiktherapeutische Umschau. Band 11, 2. S. 104–119. Frankfurt/Stuttgart: Brochinsky/Fischer.
In der Neuauflage des „Lexikon Musiktherapie“ 2019 setzt sich dieses Thema auf stilistisch vollkommen andere Weise fort:
Rittner, Sabine (2019): Vokale Musiktherapie. In: Decker-Voigt et al. (Hg.): Lexikon Musiktherapie. Göttingen: Hogrefe.