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Kleine Hilfen mit Atem, Bewegung und Stimme

Von Sabine Rittner

Klang-Erkundungen mit dem „großen Lalula“
Kroklokwafzi? Semememi!
Seiokrontro – prafriplo:
Bifzi, bafzi; hulalemi:
quasti basti bo…
Lalu lalu lalu lalu la!

Hontraruru miromente
zasku zes rü rü?
Entepente, leiolente
klekwapufzi lü?
Lalu lalu lalu lalu la!

Simarar kos malzipempu
Silzuzankunkrei (;)!
Marjomar dos: Quempu Lempu
Siri Suri Sei[]!
Lalu lalu lalu lalu la!

Dies ist keine babylonische Sprachverwirrung, auch kein Computer-Sprachsalat und keine exotische Sprache einer entlegenen Insel im Südpazifik. „Das große Lalula“ ist ein Gedicht von Christian Morgenstern, der damit bereits 1895 Dada erfand, lange bevor es Dada gab. Es begeistert mich so sehr, dass ich mit diesem Text bereits seit Anbeginn meiner Seminartätigkeit in meinen Stimme-Seminaren immer wieder neu experimentiere. Passend zu diesem Themenheft der „Muttersprachen in der Musiktherapie“ möchte ich Sie mit folgender Übungssequenz inspirieren, neugierig, spielerisch und staunend die faszinierende Welt des „Lalula“ zu entdecken. Sie können diese Übungsfolge alleine ausprobieren. Mehr Intensität hat sie jedoch in einem geeigneten Gruppenkontext und macht gemeinsam viel mehr Spaß. Ich empfehle, sich für den gesamten Ablauf etwa 30–40 Minuten Zeit zu nehmen in einem Raum mit ausreichend Platz für Bewegung. Wenn Sie weniger Zeit haben und sich eher beruhigen möchten, dann greifen Sie sich einfach nur den Punkt 2 heraus. Diese Kurzform entfaltet ihre entspannende Wirkung auch schon in etwa 10 Minuten.

1. Im Stehen: Grounding und Einstimmung
Stellen Sie sich vor, dass Sie im Stehen durch Ihre Fußsohlen hindurch in den Boden hinein ausatmen. Mit jedem Ausatem kraftvoll und hörbar stampfend entlasten Sie sich, geben an die Erde ab, was Ihnen momentan lästig ist.
Beklopfen Sie nun Brust, Hals, Nacken und Schultern mit Ihren Fingerspitzen, indem Sie die Hände abwechselnd locker fallenlassen. Finden Sie dabei die richtige Intensität heraus, genau so, wie es sich an der jeweiligen Stelle jetzt angenehm anfühlt.
Tupfen Sie nun Ihr Gesicht mit den Fingerspitzen sanft ab wie mit „Katzenpfötchen“. Beginnen Sie dabei beim Kinn und wandern über die Wangen, die Nasenflügel, bis hin zu den Ohren, den Schläfen, den Augenbrauen und hinauf zur Stirn. Über den Haaransatz lassen Sie das sanfte Tupfen der Fingerspitzen auf der Kopfhaut weiter hinauf gleiten und am Hinterkopf hinunter bis zum Nacken. Dosieren Sie dabei jeweils die Intensität so, dass Sie angenehm ist.

2. Im entspannt aufrechten Sitzen (oder weiter im Stehen): Resonanzräume erkunden
Lassen Sie nun einen sanften Summton hörbar werden.
Gehen Sie mit den Fingerspitzen im Gesicht auf Entdeckung, an welcher Stelle Sie die Vibration dieses einen Summtones am deutlichsten spüren können.
Summen Sie jetzt einen völlig anderen Ton und erkunden Sie erneut das „Epizentrum“ seiner Vibration.
Jetzt umgekehrt: Lassen Sie Ihre Fingerspitzen an einer Stelle liegen und variieren Sie statt dessen die Höhe Ihres Summtones. Lassen Sie den Ton auch weit hinauf und tief hinunter gleiten. Was entdecken Sie unter ihren Fingern? Bei welcher Tonhöhe spüren Sie das leichte Vi­brieren unter Ihren Fingerspitzen am deutlichsten?
Auf die gleiche Art erkunden Sie jetzt verschiedene Stellen: auf der Brust, am Hals, im Gesicht, auf dem Kopf…
Neugierig können Sie auf diese Weise die „Kartografie“ verschiedener vibrierender Resonanzräume im oberen Körperraum erforschen. Sie werden entdecken, dass sich diese innere Klanglandkarte je nach Tonhöhe wandelt.

3. Den Mundraum erkunden: Schlagzeug im Mund
Nun wenden Sie sich dem Innenraum Ihres Mundes zu. Erforschen Sie mit der Zungenspitze jeden Zentimeter des Mundinnenraums, jeden Winkel, jede Erhöhung, jede Höhlung.
Lassen Sie Töne hörbar werden, so, wie sie entstehen möchten.
Verziehen Sie dabei in jeglicher Weise das Gesicht, machen Sie Fratzen, experimentieren Sie spielerisch mit Lauten, Geräuschen, Konsonanten, Vokalen – so, wie Sie es ganz sicher damals als Kind mit vorsprachlichen Lautierungen gemacht haben.
Finden Sie nun eine wiederkehrende Lautfolge, die Ihnen gefällt und wiederholen Sie sie eine zeitlang.
Rhythmisieren Sie diese Lautfolge, als hätten Sie ein „Schlagzeug“ in Ihrem Mundraum.

4. In Bewegung: Stimm-Improvisation
Improvisieren Sie, spielen Sie mit dieser rhythmischen Lautfolge, bewegen Sie sich dazu im Raum, tanzen Sie damit. Wenn Sie in einer Gruppe sind, lassen Sie sich verführen zu verrückten Lautexperimenten. Warum nicht einfach mal gemeinsam spielerisch lautierend herumalbern?
Wichtig ist dabei: geben Sie die Pulsation Ihrer lautmalerischen Experimente in Ihre Füße, stampfen Sie während des Improvisierens mit der Stimme im gemeinsam sich synchronisierenden Rhythmus.

5. Mit dem Text von Morgenstern: Das große Lalula
Nehmen Sie nun „Das große Lalula“ zur Hand und benutzen Sie für Ihre rhythmischen Stimm- und Sprechimprovisationen die Wortfetzen, Bausteine, Fragmente, Lautmalereien, die Ihnen Morgenstern dazu anbietet.
Variieren Sie im Sprechgesang diese Anregungen, erfinden Sie neue dazu, jedoch immer auf der Basis einer rhythmischen Grundstruktur.
Vielleicht haben Sie nun Lust, gemeinsam mit anderen mit dem „Lalula“-Text eine kleine Szene zu gestalten, damit ein Rollenspiel zu erfinden, eine musikalisch-kabarettistisch-lautmalerische Aufführung zu inszenieren?
Wenn Sie bis hierher das Wagnis eingegangen sind, mit Körperklängen, Geräuschen, Atem, Stimme zu experimentieren, werden Sie bemerken, dass Musiktherapie keine ernste, problemfokussierte und harte Arbeit ist, sondern vielmehr kreativ, leicht und spielerisch sein kann. Diese Übungssequenz habe ich vor sehr langer Zeit entwickelt aus einer Kombination von Elementen aus Atemtherapie, Stimmtherapie, Vokalimprovisation, Musiktherapie und: Dada.
Ich wünsche Ihnen viel Leichtigkeit und Freude mit unser aller Muttersprache: lalu lalu lalu lalu la!

Die Autorin:

Sabine Rittner
ist Musikpsychotherapeutin, Atem- und Stimmtherapeutin, approbierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, Psychotherapeutin (HP), Hypnotherapeutin, Traumatherapeutin mit Spezialisierung in der Arbeit mit veränderten Bewusstseinszuständen und körper­orientierter Therapie. Sie ist tätig am Institut für Medizinische Psychologie der Universitätsklinik Heidelberg (Lehre, Psychotherapie, Musiktherapie- und Bewusstseinsforschung), sowie in eigener Praxis (Therapie, Supervision, Coaching). Seit 40 Jahren leitet sie Seminare, bildet aus und hält Vorträge weltweit. Umfangreiche Forschung und Publikationen zu den Themenkomplexen Bewusstseinsforschung – Klang – Trance – Stimme – Musiktherapie. Weitere Informationen: www.SabineRittner.de

Anmerkungen /Literaturtipps:
Christian Morgenstern. Das große Lalula. Entstanden 1895–1906.
Quelle: Christian Morgenstern (1983). Galgenlieder. Zürich: Diogenes.
In meiner allerersten musiktherapeutischen Publikation habe ich mich mit Stimm- oder Vokalimprovisation bereits grundlegend methodisch befasst:
Rittner, Sabine (1990): Zur Rolle der Vokalimprovisation in der Musiktherapie. In: Musiktherapeutische Umschau. Band 11, 2. S. 104–119. Frankfurt/Stuttgart: Brochinsky/Fischer.
In der Neuauflage des „Lexikon Musiktherapie“ 2019 setzt sich dieses Thema auf stilistisch vollkommen andere Weise fort:
Rittner, Sabine (2019): Vokale Musiktherapie. In: Decker-Voigt et al. (Hg.): Lexikon Musiktherapie. Göttingen: Hogrefe.