Editorial

„…hatten wir noch nie…“ Gemeint ist bei solcherlei Äußerungen gegenwärtig immer Virus Covid 19 mit dem im Lateinischen so ganz anders besetzten „Corona“. Dort bedeutet es zuerst Krone, Kranz, Ehrenkranz, dann Versammlung, Kreis von Zuhörern u.a.
In der MuG „hatten wir noch nie“ ein Sonderthema neben dem Schwerpunktthema. Diesmal aber, weil das Sonderthema Corona eben alle anderen Themen unserer Gesamtgesellschaft und der Musiktherapie-Communities dominiert. Mindestens durchsetzt.
Dass der Therapie-Wunsch stärker sein kann als die Ängste vor und um und mit Corona und deren Folgen es sind – dies beschreibt der erste der fünf „Sonder“-Beiträge zum unvorhersehbar gewesenen Sonderthema „Musik in Zeiten von Corona“. Unvorhersehbar, weil die Druckvorbereitung unserer Halbjahreszeitschrift schon fertig war, als die coronaesken Zeiten begannen.

Eben die Unvorhersehbarkeit (lat. Im-pro-visation) fordert alle heraus, die mit und in Musiktherapie mit Improvisation als „prominenter Methode“ unter den verschiedenen Methoden arbeiten. Eckhard Weymann formte diesen Begriff vor langer Zeit und aktuell formte er das Schwerpunktthema von Musiktherapie in und zwischen verschiedenen Kulturen.
Das letzte Mal formt Prof. Dr. Eckhard Weymann hier mit, denn als Mitherausgeber und Betreuer der wichtigen Rubriken „Klinikspaziergang“ und „Praxisvorstellung“ verlässt er uns anlässlich des Beginns seines Ruhestands Ende 2020 – nach sieben Jahren der Leitung des Instituts für Musiktherapie in Hamburg. Ausführlich gewürdigt und bedankt haben die MuG und ich ihn in der Frühjahrsausgabe, vor Corona – und hier sei er nochmal bedankt für ebenso verlässliche wie kreative Mitgestaltung!
Unzufällig zeigen sich Ähnlichkeiten zwischen Schwerpunktthema und Sonderthema. Corona bricht ein und auf, lässt alte gesellschaftliche Profile verblassen, gar schwinden und bisher zugedeckte, versteckte oder ganz neue Profile der kollektiven wie individuellen Identitäten auftauchen. Nur ein Beispiel: Die Verschiebung direkter Interaktion in Lehrveranstaltungen, Sitzungen, Begegnungen überhaupt, zunehmend auch psychotherapeutischer Begegnungen – auf die virtuelle Ebene. Es sind Umwälzungen, die sich früher still ankündigten – und jetzt durch Corona unvorhergesehene Schubkraft erhalten. Die Medienpsychologie spricht vom „unkown valley“, das wir gerade durchschreiten.
Schwindendes Altes, wachsendes Neues, Verschiebungen von Interaktionswelten – all das wirkt auch in der interkulturellen Arbeit und der Musiktherapie mit ihren musikalischen Mitteln darin, die immer schon für das kulturelle „crossing borders“, die Grenzüberschreitungen und Grenzaufweichungen stehen. Udo Baer, Thomas Stegemann und Edith Wiesmüller fokussieren das vorhersehbare, aber unübersehbare Feld unserer Wege von Interaktionen zu Kommunikationen. Und Letzteres stammt vom lat. communicare = verstehen.
Ansonsten finden Sie in diesen strukturschwächelnden coronaesken Zeiten die vertrauten Rubriken der MuG als Grundstruktur – so wie überhaupt die Printmedien gegenwärtig eine grundgebende Strukturhilfe für den Tag, die Woche, den Monat sind.

SALUTE wünscht Ihnen und den Ihnen nahen und sich nähernden Menschen: Hans-Helmut Decker-Voigt für den Herausgeberkreis


In ureigenster „Sache“ oder Esmeraldas Gratulation


Sie kommt wie Esmeralda daher – diese Gratulation. Esmeralda ist eine Schildkröte und im Bilderbuch macht sie sich auf, um dem König der Tiere zu gratulieren zur Hochzeit. Alles rast aus der Tierwelt an ihr, der Langsamen, vorbei, um das Fest nicht zu verpassen. Natürlich verpasst Esmeralda es.
Szenenwechsel: Bescheiden, fast schüchtern und dabei ungewohnt strahlend reicht die Verlegerin Ursula Reichert mir zu Anfang eines der wenigen Meetings eine Riesentüte. Ich ziehe daraus wie aus einer Wundertüte ein Puzzle-Spiel, ein bibliophil gestaltetes Faksimile zu den Schichten der Geschichte. Die Tüte war voll mit PR-Materialien zu diesem 50., die die Besucher des Standes auf der Buchmesse geschenkt erhielten.
Die Musiktherapie – ihre Szene, ihre Community, die AutorInnen und LeserInnen denken bei „Reichert“ an Musiktherapie, an die sorgsam gestalteten „Blauen Bücher“. Aber gefeiert wurde die Verlagsgründung in Wiesbaden durch Dr. Ludwig Reichert, dem Vater der heutigen Verlegerin, einer Verlegerpersönlichkeit „alter Leipziger Schule“. Mediävistik war sein Gebiet (Geschichte, Kunst, Wissenschaft des Europäischen Mittelalters, dann Orientalistik). Seine Tochter, ausgebildete Kirchenmusikerin und Musiktherapeutin (Integrative Musiktherapie) führt den Verlag weiter, erweitert ihn bis heute – und gründete daneben den Musiktherapie-Verlagsteil, der – durch Lupe betrachtet – der kleine Teil des Ganzen
ist, welches 2.500 Titel umfasst.
Mit der Einbeziehung der Drucktechnik des Book on Demand ermöglichte Ursula Reichert vielen JungautorInnen den Einstieg in die Fachpublizistik, nahm ganze Buchreihen innerhalb der Musiktherapie unter die orientalischen Flügel und die sind weit gespannt und – bunt: Hamburger Buchreihe zur Musiktherapie, die Frankfurter Buchreihe, die „Jahrbücher Musiktherapie“, Bücher/Broschüren zur Praxis, zur Forschung
in der Musiktherapie. Nicht zuletzt die „MuG“, die Sie, verehrte LeserIn, gerade in der Hand halten.
Das auf Musiktherapie-Inhalte bezogene Herz der Verlegerin Ursula Reichert ist groß und was mich betrifft stimmt der Satz nicht, dass die Beziehung zwischen Autor und Verleger grundsätzlich eine gespannte (i.S. von verspannte) ist.
Esmeralda verpasst trotz ihrer Langsamkeit das Fest – nicht. Sie kommt rechtzeitig an. Allerdings zur Hochzeit des nächsten Königs der Tiere. Dort wird ihre Gratulation sehr wohl auf- und angenommen.
Hoffentlich erfährt diese verspätete Gratulation dies auch.