Editorial

„Sage mir, aus welcher Familie du kommst – und ich sage dir, wer du wirst.“
Solch Formel, wie sie sich im Lübeck Thomas Manns und anderswo auswirken sollte, nur dass sie nicht immer von so prominenten Chronisten aufgeschrieben wurde, führte in lehrreiche Katastrophen der Familien, in schauerliche Verstrickungen und spezifische Psychopathologien.
Ende des 19. Jahrhunderts taten sich erste Psychotherapien und die Sozialarbeit zusammen und führten in den 50ern des 20. Jahrhunderts zur Familientherapie.
Die „unsichtbaren Fäden“ (Virginia Satir) wurden Kernthema der systemischen Therapie und in diesem Netzwerk wirkt und wächst seit langem Musiktherapie.
Das „der“ in der Überschrift der Einleitung in diese MuG-Ausgabe war immer schon irreführend. „Familie“ gab und gibt es nur im Plural. „Familien“. Sie zeigten und zeigen sich in unterschiedlichen, „diversen“ Strukturen und Identitäten und „Diversität und Identität“ waren auch zwei Kernbegriffe des Wiener Symposions 2022, aus denen sich unser Schwerpunkthema speist.

 

Begleitet wird dieses Update der Musik in der Therapie mit Familien von unseren vertrauten Rubriken mit Klinikspaziergang (diesmal gleich drei unter dem Dach des „Hauses Niedersachsen“ in einsamen Gegenden: Hambühren-Oerrel-Emmen), einer Praxisvorstellung (in Hamburg), den Praxismodellen und Berichten.
Sie sind diesmal besonders, die Berichte:
Unter „Ausland“ lesen Sie, wie Musiktherapie in der Ukraine wächst und bleibt – so wie der Krieg bleibt. Außerdem: „Natalia weint nicht mehr“ fokussiert auf die Arbeit mit traumatisierten ukrainischen Kindern.

Besonders viel Platz aus wissenschaftlichen wie hochschulpolitischen Gründen nimmt der Bericht über die Gründung des „CMM“ ein, des „Centrums für MusikMedizin und MusikTherapie“, das vom Institut für Musiktherapie der Hochschule für Musik und Theater Hamburg und dem Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) gegründet wurde.
Es war ein langer Weg vom ersten formalen Kontakt 2010 seitens des Instituts zum UKE hin – hin zu dieser nun institutionalisierten Zusammenarbeit. Durch das frühere Herausgeber-Team (mit den Proff. Spintge und Weymann) und dem jetzigen (Prof. Schmidt) wird die MuG mit „Herz und Sinn“ bei der weiteren Entwicklung des CMM dabei sein!
Gratulor zu all dem, was hinter diesem neuen Kürzel an Vorbereitung stand und an Gegenwart und Zukunft steht: CMM. Oder: Wie der Mitgründer der MuG und Begründer des Konzepts der MusikMedizin Prof. Dr. med. Spintge seine Geburtstagsgratulationen oft unterschrieb: Ad multos annos!

Wichtig auch der Bericht zum Symposion „Künstlerische Therapien“ in Poznan/ Polen, das der Professorin Wita Szulc gewidmet war: Einer Pionierin all dessen, was heute unter „Künstlerischen Therapien“ und/oder Ausdruckstherapie kaum mehr zu fassen ist.
Und wie immer Berichte aus der vielfältigen Arbeit der „Singenden Krankenhäuser“.
Die Rezension betrachtet ein heißes Thema seit es Menschen und in der Neuzeit Psychiatrie gibt: „Macht Wahn Sinn?“ und im Capriccio geht es scheinbar anachronistisch nochmal zurück zu Weihnachten, Spekulatiustrauma, Hausmusik und Verbitterungsstörung…
Mancher Sinn in unseren Festen macht Wahnsinn.
Wenn ich nicht schon wüsste, was alles in dieser MuG steht – ich würde sie kaufen und weiterempfehlen!

Ihr Hans-Helmut Decker-Voigt für den Herausgeberkreis (s. Impressum S. 46)