Ausbildung

Staatlicher Studiengang Münster

Von Britta Sperling

 

1. Nennen Sie bitte Inhalte Ihres Studiums, die Sie für Ihre Praxis für effizient halten?
die tiefenpsychologisch orientierte Grundhaltung in der Begegnung mit meinen Patienten
der hohe Anteil an Selbsterfahrung zur Verknüpfung von fachlichen Inhalten parallel zur biographie- und selbstbezogener Reifung in Richtung einer „Therapeutenpersönlichkeit“/Berufs­identität
auf instrumentaler/„handwerklicher“ Ebene der Improvisations-­unterricht, in dem ein flexibler Umgang mit diversem Instrumentarium eröffnet und erprobt wird, sowie die Entwicklung eines „Methodenköfferchen“ zum Thema „freie Improvisation“ und Gestaltung von therapeutischen Einzel- und Gruppensettings stattfindet
die praxisorientierten Seminare, welche einen breiten Einblick in die Vielzahl der Anwendungsfelder ermöglichen z.B. Musiktherapie mit alten Menschen, Musiktherapie in der Psychiatrie, Musiktherapie in der Psychosomatik, Musiktherapie in der Neurologie u.v.m.
die Musiktherapeutischen Praktika


2. Welche Ausbildungsinhalte erfahren Sie dabei für sich selbst am wertvollsten?
Da meine Vorbildung als Psychologin sehr verhaltenspsychologisch/therapeutisch orientiert war, empfand ich die tiefenpsychologische Ausrichtung des Studiengangs zunächst als fremd, später als bereichernde Blickwinkelerweiterung und heute (als tätige Musiktherapeutin) als absolut unverzichtbare Grundhaltung im Umgang mit den unterschiedlichsten Patienten. Konkret gibt es einige theoretische Konzeptionen (s.u.), welche sich vor allem in Aspekten der Beziehungsgestaltung darstellen und so versteh- und reflektierbar werden (z.B. Übertragungs- und Gegenübertragungsprozesse). Dabei bot das Studium stets eine Offenheit für die Einnahme verschiedener Perspektiven, Vernetzung von bereits erworbenem und neuem Wissen und die Ausbildung eines eigenen (eklektischen und integrativen) Therapieansatzes. Die vermittelten Inhalte wurden dabei nicht als „absolutistische Wahrheiten“ transportiert, sondern ermöglichten den Studierenden allzeit eine kritische Auseinandersetzung, die nicht nur zu einer fachlichen Entwicklung, sondern ebenso zu einer persönlich-berufsbezogenen Reifung beitrugen.


3. Würden Sie sich zurückblickend zusätzlich noch weitere Inhalte wünschen, die Ihnen momentan eventuell fehlen?
Es gibt eine sehr intensive Zusammenarbeit mit dem medizinischen Fachbereich, die den Studenten einen wirklich intensiven Einblick in medizinische Themenfelder (Grundlagenwissen, aber auch spezifische Anwendungsfelder wie z.B. Schmerztherapie o.ä.) gibt. Der stärkere Einbezug therapiespezifischer Inhalte (z.B. verhaltens-therapeutische Standardverfahren, Grundlagen diagnostischer Testverfahren o.ä.) in Kooperation mit den psychologischen Fachbereichen wäre sicherlich für viele Studierende eine Bereicherung. Anzumerken ist, dass man natürlich als Student an der WWU unabhängig vom Lehrplan jederzeit Vorlesungsveranstaltungen anderer Fachbereiche besuchen kann. In der Praxis hat man es mit multiprofessionellen Mitarbeitern zu tun. In der Vorbereitung auf die spätere kollegiale Zusammenarbeit ist es auch ein Teil interdisziplinärer Akzeptanz und Anerkennung zu wissen, was der jeweils andere tut. Dies ist etwas, was ich mir als Musiktherapeutin ebenso von Kollegen aus anderen Fachbereichen wünsche.


4. Welche Inhalte haben Sie zwar bereits in der Ausbildung kennengelernt, konnten diese aber nicht in Ihre Praxis übertragen?
Natürlich spielen in meinem praktischen Berufsalltag wissenschaftstheo­retische Aspekte keine große Rolle. Forschungsrelevante Themen und empirische Grundlagen sind aber ein wesentlicher Aspekt in der akademischen Ausbildung und für die Weiterentwicklung, Etablierung und Anerkennung eines Fachbereiches fundamental. Um im fachlichen Austausch und Dialog zu bleiben, ist es relevant, aktuelle Studienergebnisse zu verstehen und einordnen zu können. Vielleicht wird man nach einigen Jahren Berufserfahrung Beiträge in Fachzeitschriften veröffentlichen oder in sonstige Forschungsaktivitäten eingebunden sein. Spätestens dann bekommt dieser Teil der wissenschaftlichen Ausbildung eine persönliche Aktualität.


5. Welche Methoden, Ansätze oder Konzepte der Musiktherapie stehen in Ihrer beruflichen Praxis im Mittelpunkt?
freie und teilstrukturierte Improvisationen: Verfahren zum Verstehen und Verarbeiten musiktherapeutischer Improvisation (morphologische Musiktherapie: Beschreibungen mittels Tonaufnahme der Improvisation; Bilder, Assoziationen, Einfälle)
tiefenpsychologische Theorien und Ansätze: Entwicklungstheorie nach Stern, Selbst- u. Objektbeziehungstheorien (z.B. Kohut, Klein, Balint); Konzept des Containing, Negative Capability und Reverie (Bion, W.R.), Konzept der Holding Function und des intermediären Raumes (Winnicott, D.W.), Konzept der projektiven Identifikation (Klein, M.)
in der Gruppenarbeit mit alten und demenziell erkrankten Menschen: vor allem atmosphärisches Arbeiten mittels altem Liedgut; biographie- und erinnerungsbezogenes Arbeiten (Validationsprinzip, Naomi Feil)


6. Welche arbeitsrechtlichen Inhalte fehlten Ihnen besonders auf die Musiktherapie bezogen?
In meiner derzeitigen Situation als Freiberuflerin fühle ich mich durch die Einbindung in das Netzwerk mit den Kollegen von Musik auf Rädern und durch die Mitgliedschaft im Berufsverband gut informiert. Schon während des Studiums gab es eine enge Kooperation und guten Kontakt zum Unternehmen, so dass aufkommende Fragen auch mit den bereits tätigen Kollegen besprochen werden konnten. Die Studiengangsleitung steht für alle Jahrgänge und in jeder Phase der Ausbildung mit einem umfassenden Wissen und langjähriger Erfahrung als Begleiterin und Ansprechpartnerin zur Verfügung. Ich fühlte und fühle mich zu jederzeit gut unterstützt und beraten.


7. Welche Störungsbilder und Formen der Behinderung haben Sie während des Studiums kennengelernt? Welche fehlen Ihnen?
Aufgrund der sehr engen Kooperation mit den medizinischen Fachbereichen gibt es eine umfassende und intensive Grundausbildung in den Bereichen Psychopathologie für den Bereich Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Erwachsenenpsychiatrie, Psychosomatik, sowie physiologische und neurologische Krankheitslehre (z.B. demenzielle Erkrankungen, Morbus Parkinson, Multiple Sklerose, Epilepsie u.v.m.). Institutsintern und spezifisch musiktherapeutische Seminare gab es hierzu: Musiktherapie mit Menschen mit Behinderung, Musiktherapie in der Psychiatrie, Musiktherapie in der Psychosomatik, Musiktherapie in der Neurologie – in allen Seminaren arbeiteten wir mit Musiktherapeuten aus der Praxis, die uns einen tiefen Einblick (auch vor Ort, z.B. mit einem Besuch einer Station für Wachkomapatienten) in ihre Arbeit boten. Des Weiteren fanden natürlich viele Patientenkontakte in den Praktika statt. In diesem Zusammenhang machte ich persönlich die Erfahrung, unterschiedlichste schwer- und schwerstbehinderte Kinder bei meiner Arbeit auf einer Kinderpalliativstation und kinder- und jugendpsychiatrische Störungen während eines Praktikums in der Kinder und Jugendpsychosomatik kennenzulernen. Wenig Kontakt habe ich bisher mit den Themen Sucht (auch Essstörungen) und mit onkologischen Erkrankungen gemacht, was aber nicht an mangelndem Angebot innerhalb der Studiums liegt, sondern in erster Linie an persönlicher Schwerpunktsetzung. So bietet die wirklich umfassende Grundlagenausbildung (bei der ich nichts vermisst habe) die Möglichkeit, individuelle Interessen in Form von studienbegleitenden Praktika zu vertiefen.


8. Welche Berufsbezeichnung benutzen Sie (Musiktherapeut/ggf. und/oder Ihren Grundberuf)?
Diplom Psychologin
Musiktherapeutin (Master of Arts)
Psychotherapie (HP)


9. Welche Berufsidentität hatten Sie mit Abschluss des Studiums eingenommen?
Nach dem Psychologiestudium war es für mich klar, eine therapeutische Weiterbildung anzustreben. Dass ich für die zukünftigen Begegnungen mit meinen Patienten das Medium Musik wählte, ergab sich sozusagen „von Haus aus“. Meine Erfahrung ist, dass die Entscheidung für diesen Beruf schon „per se“ tief mit der Identität der jeweiligen Person verbunden ist. Der Entscheidung für diesen Beruf liegen meist langjährige und biographiebezogene Erfahrungen zugrunde, dass Musik etwas „Magisches“ sein kann, etwas, das über das rein gesprochene Wort hinausgeht und vor allem etwas, das dem emotionalen Erleben zutiefst zugänglich ist. So verspürte ich vom ersten Tag der Ausbildung an ein hohes Maß an Authentizität und Zugehörigkeit. Es gab keine Unsicherheiten, dass die Kombination aus psychologischen, kreativen und therapierelevanten Fähigkeiten in diesem Beruf eine ideale Vernetzung erfährt. Das Studium verankerte im Grunde die bereits vorhandene Vorerfahrung mit dem Ausbau zusätzlichen Fachwissens. Für mich war das eine Art Brückenschlag für die wirkliche Arbeit am Patienten und den Schritt in die Praxis. Neben der Ausbildung einer berufsbezogenen Grundhaltung (Wie ist mein Umgang mit Menschen? Wie begegne ich schwerkranken und hilfsbedürftigen Menschen? Wo sind meine eigenen Grenzen? Was bedeutet für mich eine interdisziplinäre Zusammenarbeit? Wie gehe ich in diesem Zusammenhang mit auftauchenden Konflikten um?) entwickelte sich dabei ein gewisser Anspruch an die Qualität der Methode. Hierzu zählte vor allem die Auseinandersetzung mit der Frage, welchen wissenschaftlichen Beitrag das Fach zum wachsenden Verstehen von musikbezogenen Wirkungsprozessen beim Patienten liefern kann.


10. Welche ist es jetzt?
Die zuvor beschriebenen Aspekte der Identitätsentwicklung gehen seit meiner praktischen Tätigkeit mit der Erfahrung einher, dass der Aufbau von individuellen therapeutischen Beziehungen der Kernmotor von Entwicklungsprozessen in der Arbeit mit den Patienten ist. Besonders in der Arbeit mit chronisch psychiatrischen Patienten ist die Stabilität und uneingeschränkte Zuverlässigkeit im Therapeutenverhalten entscheidend (Objektkonstanz). Ich verstehe mich gerade in dieser Arbeit als strukturschaffenden Faktor. Die Rolle der Musik kann in den individuellen Sitzungen völlig unterschiedlich sein. Ich werde jeden Tag aufs Neue in meinem kreativen Umgang mit den verschiedensten Beziehungssituationen gefordert. Dabei treffen die (vielleicht idealisierten) Vorstellungen nach dem Studium auf unmittelbare Erfahrungen/„Realitäten“ des Alltags (Das können zum Beispiel Fragen zum Therapieerfolg sein – wann kann ich in einem therapeutischen Prozess von „Erfolg“ sprechen? In welchem Maße hat mein professionelles Therapeutenverhalten zu diesem so genannten Erfolg beigetragen? Oder ganz pragmatische Settingfaktoren betreffend: Wie verhalte ich mich bei Störungen innerhalb einer Sitzung, z.B. Pflegepersonal kommt in den Raum? Wie kann die Musiktherapie finanziert werden?). Meine Berufsidentität ist gekennzeichnet durch eine wertschätzende innere Haltung (Menschenbild), klare Ziele und das Bewusstsein über eigene Stärken und Fähigkeiten im Umgang mit anderen Menschen. Das, was ich in meiner Arbeit anbiete, verstehe ich im weitesten Sinne als personenbezogene Dienstleistung, die mir über die reine Existenzsicherung hinaus ein Gefühl von Sinnhaftigkeit und persönlicher Entfaltung ermöglicht.


11. Arbeiten Sie als Musiktherapeut selbstständig und/oder sind Sie teilangestellt?
Ich arbeite selbstständig als Franchise­nehmerin bei der Musik auf Rädern GbR.


12. Können Sie im Fall der Selbstständigkeit über die Abrechnung Ihrer Arbeit etwas ausführen?
Der Heilpraktiker für Psychotherapie erleichtert die selbstständigen Abrechnungsmodalitäten. Die Abrechnung erfolgt nach Rechnungsstellung über Finanzmittel der jeweiligen Einrichtung oder durch eine direkte und private Kostenübernahme des Patienten.

Die Autorin:

Britta Sperling
Jahrgang 84
Diplom Psychologin: Studium an der Ruhr-Universität Bochum
Master Klinische Musiktherapie an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster: Abschluss Juli 2014
Thema der Masterarbeit: AD(H)S und Timing in der Musiktherapie – eine Untersuchung mit dem Messinstrument InTime
Seit Januar 2014 als selbstständige Musiktherapeutin für das Unternehmen „Musik auf Rädern“ im Kreis Coesfeld, Teilen des Münsterlandes und nördlichem Ruhrgebietes tätig (www.musikaufraedern.de).
Derzeitige Tätigkeitsschwerpunkte: Musiktherapie mit alten und demenziell erkrankten Menschen, mit behinderten Menschen, mit chronisch-psychisch Kranken.
Unter anderem tätig im: St. Antonius Haus in Schöppingen, Wohn- und Pflegeheim für Menschen, die aufgrund einer psychischen Erkrankung oder einer geistigen und mehrfachen Behinderung dauerhaft auf unterstützende Hilfe und Begleitung angewiesen sind.