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Musiktherapeutisches im Alltag

 

Wie klingt Pause? – Mit Rhythmus in die Stille und mit Stille in den eigenen Rhythmus

Mit Burnout aus dem Lebensrhythmus gefallen? Die entstehende „Pause“ kann sich leicht mit Angst, Verzweiflung und einer negativen Abwärtsspirale füllen. Mit Bewusstheit kann sie genutzt werden, um tiefer wieder in den eigenen Rhythmus zu fallen. Ob mit oder ohne Burnout – geraten Sie hin und wieder aus dem inneren Frieden, haben Sie einen problemsüchtigen Plappermann im Kopf, und sind Sie noch nicht vollends erleuchtet? Dann darf ich Sie mit den folgenden zwei Spielen dazu
einladen, tiefer in Ihren ursprünglichen Rhythmus zu fallen. Die erste Übung geht ursprünglich auf eine Rhythmusreise und eine Anregung von Reinhard Flatischler (2012) aus seinem TaKeTiNa-Konzept zurück. Dafür erheben Sie sich zunächst aus Ihrem Schreibtischoder Schaukelstuhl. Lassen Sie Ihren inneren Schweinehund verdutzt zurück (…nein, stopp, schauen Sie sich jetzt nicht empathisch um und fragen Sie ihn nicht, ob es ihm damit gut geht!) und gehen Sie ohne Frau Zweifel aus dem Haus. Atmen Sie genüsslich die frische Luft ein – wie feuchtkalt oder sommerwarm sie sein mag -, blinzeln Sie der Sonne auch hinter den Wolken zu, lauschen Sie in alle Richtungen. Wo hören Sie das lebendigste Zwitschern? Schlagen Sie dorthin ein angenehmes Spaziertempo ein… Beginnen Sie dann die Silben „Ga-Ma La-Ga-Ma-La-…” in einem fortlaufenden regelmäßigen Puls zu sprechen. Passen Sie Ihre Gehschritte so an, dass jede zweite Silbe auf einem Fuß landet. Also rechter Schritt (Ga) – linker Fuß in der Luft (Ma) – linker Schritt (La) – rechter Fuß in der Luft (Ga) – rechter Schritt (Ma) – usw., so dass gutes Wechselspiel von Willen und Hingabe. Willentlich können wir beispielsweise immer wieder innehalten. Das Zauberwort dafür heißt „Stopp!” oder „Ping!”. Prüfen Sie bei einem ersten Test, welches dieser Zauberworte in Ihrem System der Schlüssel für innere Stille ist. Funktioniert keines der beiden? Dann probieren Sie andere magische Laute. Manche Persönlichkeiten müssen auf „Tack!” oder „Doing!” zurückgreifen. Bei ganz seltenen Exemplaren funktioniert nur ein geheimer individueller Klang. Haben Sie das richtige Wort angewendet, tut sich ein Freiraum in Ihrer Wahrnehmung auf, eine Stille ergießt sich, eine Pause wird lebendig… Währenddessen verharrt der Plappermann einen Augenblick sprachlos am Rand der Szenerie. Nutzen Sie diese Gunst der Stunde, um die Aufmerksamkeit willentlich von schmerzvoller oder chaotischer Innenwelt, von grübelnden oder wissensdurstigen Gedanken, von inneren Schweinehunden oder gewohnheitsmäßigem Getriebensein auf den feierlichen Kontakt mit sich und der Außenwelt zu lenken. Landen Sie einen Moment im Hier und Jetzt. Bevor die alten lustoder unlustvollen Plapperschleifen es mitkriegen, lassen Sie Ihren Körper sich wohlig zurechtruckeln und sich so hinsetzen, wie es ihm gerade bequemt. Spüren Sie den Boden, den Stuhl, Ihre Kleidung und die Luft. Genießen Sie diesen Moment,
in der die Ewigkeit in das Zeitliche einbricht. Lauschen Sie in die Stille… rauscht gerade der Wind, zwitder Rhythmus GA-ma-LA-ga-MAla-… entsteht. Wenn Sie sich „eingegangen“ haben, setzen Sie auf jedes „Ga“ einen Klatscher – oder einen unauffälligeren Schnipser. D. h. in den Händen liegt nun der Rhythmus GA-ma-la-GA-ma-la-… Halten Sie diesen Polyrhythmus in Füßen und Händen bis er sich von alleine macht. Wenn Sie aus dem Rhythmus kommen, grinsen Sie eventuell aufkommenden Frustgedanken zu, stabilisieren Sie willentlich wieder den Rhythmus und lassen Sie sich hingebungsvoll umso tiefer wieder reinfallen. Raus – rein – raus – rein… Spüren Sie, was Ihre Füße machen. Können Sie dem Schrittrhythmus nachspüren (GA-ma-LA-ga-MAla-…) ohne dass das Klatschen holpert? … Spüren Sie, was Ihre Hände machen. Können Sie das Silbensprechen entsprechend der Klatscher betonen (GA-ma-la-GA-ma-la-…) und die Schritte dabei in ihren Silben lassen? … Wie hören sich die Pausen zwischen zwei Schritten an und wie die Stille zwischen zwei Klatschern? … Können Sie klatschend gehen und sich dabei erzählen, welche Geräusche Sie aus der Umgebung hören? … Lassen Sie dabei zu, immer wieder aus dem Rhythmus zu fallen, stabilisieren Sie den Rhythmus willentlich, geben Sie sich dem Rhythmus hin… Rausfallen gehört dazu wie reinfallen! Dieses Prinzip des Lernens wird in der zweiten Übung auf das tägliche Leben übertragen. Um tiefer in den (eigenen) Rhythmus zu fallen, braucht es laut Herrn Flatischler ein gutes Wechselspiel von Willen und Hingabe. Willentlich können wir beispielsweise immer wieder innehalten. Das Zauberwort dafür heißt „Stopp!” oder „Ping!”. Prüfen Sie bei einem ersten Test, welches dieser Zauberworte in Ihrem System der Schlüssel für innere Stille ist. Funktioniert keines der beiden? Dann probieren Sie andere magische Laute. Manche Persönlichkeiten müssen auf „Tack!” oder „Doing!” zurückgreifen. Bei ganz seltenen Exemplaren funktioniert nur ein geheimer individueller Klang. Haben Sie das richtige Wort angewendet, tut sich ein Freiraum in Ihrer Wahrnehmung auf, eine Stille ergießt sich, eine Pause wird lebendig… Währenddessen verharrt der Plappermann einen Augenblick sprachlos am Rand der Szenerie. Nutzen Sie diese Gunst der Stunde, um die Aufmerksamkeit willentlich von schmerzvoller oder chaotischer Innenwelt, von grübelnden oder wissensdurstigen Gedanken, von inneren Schweinehunden oder gewohnheitsmäßigem Getriebensein auf den feierlichen Kontakt mit sich und der Außenwelt zu lenken. Landen Sie einen Moment im Hier und Jetzt. Bevor die alten lustoder unlustvollen Plapperschleifen es mitkriegen, lassen Sie Ihren Körper sich wohlig zurechtruckeln und sich so hinsetzen, wie es ihm gerade
bequemt. Spüren Sie den Boden, den Stuhl, Ihre Kleidung und die Luft. Genießen Sie diesen Moment, in der die Ewigkeit in das Zeitliche einbricht. Lauschen Sie in die Stille… rauscht gerade der Wind, zwitschert da nicht ein Vogel, raschelt ein Rock? … Schließlich überprüfen Sie, ob es Ihnen mit Ihrem geistigen Zustand gerade gut ging oder ob Sie gerade etwas brauchen. Darf es heute etwas mehr Ruhe, Freude, Klarheit oder Verspieltheit sein? Dann stimmen Sie Ihren Geisteszustand in eine
fröhliche Melodie, in Meeresrauschen, in zarte Harfenmusik oder in ein rhythmisches „GaMaLa“, indem Sie aus der inneren Stille eine stimmige Musik auftauchen lassen. Und schließlich lassen Sie wieder los und geben sich dem Leben hin… Beim nächsten Mal, wenn Sie merken, aus Ihrem Rhythmus zu sein, grinsen Sie eventuell aufkommenden Frustgedanken zu. Halten Sie wieder inne und lauschen Sie in die Stille, stabilisieren Sie willentlich wieder den „stimmigen Rhythmus“ und lassen
Sie sich hingebungsvoll umso tiefer wieder reinfallen. Raus – rein – raus – rein… Schaffen Sie es dabei, dem Leben dieselbe Einstellung wie dem GaMaLa- Spiel oder anderem Musizieren entgegenzubringen? Ich wünsche Ihnen dafür eine hübsche Balance zwischen konsequenter Aufmerksamkeit und spielerischer Leichtigkeit!

 


Die Autorin

Selma Suzan Emiroglu
Geb. 1976. Musiktherapeutin, Physikerin mit Promotion im Bereich Psychoakustik, Folkmusikerin. Derzeit tätig in präventiver musiktherapeutischer Arbeit, u. a. mit
einem Seminarangebot zum Pausen-, Arbeits- und Selbstmanagement als Burnout-Prophylaxe.

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Schwerpunktthema II

Ein musiktherapeutischer Versuch zur Burnout-Prävention bei Studierenden

Von Martina Pohl

 

Der Begriff „Burnout“ ist heutzutage in aller Munde. Google weist bei diesem Begriff aktuell 9.700.000 Treffer auf. Ursprünglich bei helfenden Berufen beschrieben, scheint sich das Burnout-Syndrom vom Randproblem zum Massenphänomen zu entwickeln.
Seinen Ursprung hat der Begriff in der Arbeitswelt, jedoch spricht man mittlerweile bei Managern wie Hausfrauen von Burnout. Das Syndrom scheint sich durch sämtliche Berufsgruppen zu ziehen. Naheliegend ist es daher, sich einen Überblick zu verschaffen, ob auch der Bereich der Studierenden betroffen ist und welche Präventionsmöglichkeiten die Musiktherapie bieten kann. Dies waren die Grundüberlegungen für meine Masterarbeit an der Westfälischen-Wilhelms-Universität Münster zum Thema „Burnout-Prävention bei Studierenden – ein musiktherapeutischer Versuch“, aus der ich hier Auszüge vorstellen möchte.
Zunächst soll eine Definition von Burnout zugrunde gelegt werden, wobei festzuhalten ist, dass sowohl Herleitungen als auch Definitionen des Begriffs sehr vielfältig und schwer einzugrenzen sind. Nach einer Einführung in grundlegende Stressoren- und Ressourcenüberlegungen stelle ich meine praktische Arbeit mit einer Gruppe von Studierenden vor, welche aufgrund von Aspekten der Ressourcenaktivierung unter dem Thema „Reif für die Insel“ an einem musiktherapeutischen Seminar bei mir teilnahmen.
Über den Ursprung des Burnoutbegriffs sowie dessen Abgrenzung zur Depression streiten sich die Experten damals wie heute. Festhalten lässt sich folgendes: Der Burnout-Begriff entwickelte sich wahrscheinlich aus dem früheren Neurastheniekonzept, welches vom medizinisch-psychologischen Fachlexikon Pschyrembel mit Nervenschwäche gleichgesetzt wird. Sowohl bei der Neurasthenie als auch beim Burnoutsyndrom gibt es zwei Hauptsymptomgruppen:
Psychische Erschöpfung (dauerhaftes Abnehmen der Belastbarkeit und erhöhte Müdigkeit) und physische Erschöpfung (körperliche Schwäche, Kopf-, Gliederschmerzen, Schlafstörungen, Benommenheit, Reizbarkeit, Unfähigkeit zu Entspannen.) (vgl. WHO 2010: 209) Bei aller Weitläufigkeit und Unschärfe des Begriffs lassen sich emotionale Erschöpfung, Depersonalisierung (die innere Distanzierung von Patienten) und reduzierte persönliche Leistungsfähigkeit als Leitsymptome festhalten. (vgl. Hillert 2008: 15f.)
Im Gegensatz zur Neurasthenie wird der Begriff des Burnouts meist in der Arbeitswelt verortet. Dem Burnoutsyndrom vorangehend wird außerdem ein s. g. Burnoutprozess beschrieben. Dieser Prozess läuft über verschiedene Phasen und startet häufig mit Idealismus, führt über fehlende Anerkennung und Überforderung zu Hilflosigkeit und schließlich zu Selbstbeschuldigungen, Zynismus und dem Vollbild des Burnout-Syndroms. (vlg. Fengler in Theissing 1991: 156f.)
Es wird davon ausgegangen, dass Situationen, Einstellungen, Gefühle, soziale Kontakte etc. sich positiv wie negativ auf eine Person auswirken können und sich gegenseitig beeinflussen. Der Grund einer Erkrankung liegt somit in einem Ungleichgewicht von Stressoren und Ressourcen. Stressoren sind dabei alle Faktoren, die eine emotionale, geistige oder körperliche Anpassung von der Person verlangen und negativ auf Gefühle und Körper der Person wirken können. Wichtig ist dabei der individuelle Umgang der Person und die kognitive Verarbeitung der Situationen. (vgl. Chiroco 2010: 33f.) Biologisch passiert bei Dauerstress folgendes: Bei ständiger Anspannung und Überforderung wird der Körper in einen andauernden Zustand von Stress versetzt. Weil sich Adrenalin und Noradrenalin nur langsam abbauen, befindet sich der Körper in einem permanenten Alarmzustand. Es entstehen Nervosität, Reizbarkeit, Schlafprobleme, Appetitlosigkeit etc. Dieser negative Zusand wird als Dis-Stress bezeichnet.
Wichtig für ein gesundes Gleichgewicht ist die Gegenwirkung von sozialen und persönlichen Ressourcen auf die Stressoren. Ressourcen bezeichnen all jenes, was negativen Stress ausgleichen kann, also Faktoren, die zur Gesundheit eines Menschen beitragen. Um Ressourcen zu stärken, sollte an Selbstwahrnehmung, Selbstwirklichkeit, sozialer Kompetenz, Selbststeuerung, dem Umgang mit Stress und Problemlösungskompetenzen gearbeitet werden. An diesem Punkt setzte das musiktherapeutische Seminar an.
Durch die Hochschulreformen und den allgemein steigenden Karriere- und Erfolgsdruck stehen Studierende unter enormer Belastung. Finanzieller und Leistungsdruck, Arbeitsüberlastung und persönlicher Perfektionismus sind nur einige studierendenbezogene Stressoren. Ein Vollbild der Krankheit ist recht selten, doch laut einer Studie der Techniker Krankenkasse im Jahr 2007 leiden in Deutschland bereits 17 Prozent der Studierenden oft bis sehr oft unter depressiven Symptomen. Alarmzeichen, die Denkanstöße für mich bedeuteten. Könnte nicht schon präventiv eingegriffen werden, statt erst beim Vollbild des Burnout-Syndroms zu intervenieren? Denn wenn Studierende nicht unter dem Druck des Studiums lernen, Psy­chohygiene für sich zu nutzen, wie sollen sie es später im noch stressvolleren Berufsalltag für sich nutzen können? Wie könnte den Studierenden ein Bewusstsein an die Hand gegeben werden, mit Hilfe dessen sie sich besser vor Burnout-begünstigenden Faktoren zu schützen wissen, ein innerer Einklang gefunden werden kann zwischen den eigenen Bedürfnissen und Erwartungen an den Betroffenen durch sich und andere? Diese Überlegungen führten zu der Beschäftigung mit der Frage nach Stressoren und Ressourcen. Und wäre es möglich, diese Bereiche mit Hilfe musiktherapeutischer Methoden zu thematisieren?
Aufgrund dieser Basis entstand die Idee eines Seminars zur Burnoutprävention bei Studierenden mit Hilfe musiktherapeutischer Methoden. Dieses sollte unter dem Titel ‚Reif für die Insel‘ stattfinden, in Anlehnung daran, sich bewusst Auszeiten zu nehmen und auf seine eigenen Bedürfnisse zu achten. Das Seminar sollte einen prozesshaften selbsterfahrungsausgerichteten Charakter haben.
Dieses fand an einem Wochenende statt. Das Konzept war ausgerichtet auf die Gruppe der Studierenden und deren entwicklungstypische allgemeine wie spezifische Stressoren. Im Seminar sollte eine Bewusstmachung und Stabilisierung der Ressourcen stattfinden, um schon bei ersten Burnout-Symptomen präventiv ansetzen zu können und eine Sensibilität für sich zu entwickeln.
Das Seminar gliederte sich in drei große Teile. Im ersten Teil ging es ums Ankommen. Die Gruppe lernte sich kennen und die musiktherapeutischen Methoden wurden vorgestellt. Dabei habe ich mit Gruppenimprovisation, offen oder mit thematischen Überschriften sowie mit der MTE, der musiktherapeutischen Tiefenentspannung nach H.-H. Decker-Voigt gearbeitet (nachzulesen in Jahn 2006: 229ff.).
Die musiktherapeutischen Methoden wurden als sehr bereichernd wahrgenommen. Die Möglichkeit, sich nonverbal auszudrücken, war für einzelne Seminarteilnehmer bis dato unbekannt und überraschend wirksam. Schwierig fiel zunächst die s. g. „Entspannung auf Knopfdruck“. Im Laufe des Seminars dreimal durchgeführt und mit Denkanstößen versehen, wurde aber auch die Methode der MTE als sehr positiv und als eine Art „Geschenk“ angenommen. Ein weiterer fester Bestandteil waren Gesprächsrunden, in denen das Musikalische verbalisiert sowie ins Gespräch über die Themen gekommen werden konnte.
Thematisch ging es auf der Metaebene Musik oft um das Thema Rhythmus – in der Musik, im Leben, im Alltag seinen Rhythmus finden, Pausen schaffen. Von dieser Metaebene der musikalischen Symbolisierung gelang es im Prozess, Raum für persönliche und Gruppenthemen zu schaffen, die in der Zeit des studentischen „Umbruchs“ stark wirksam sind. Im Laufe des Seminars war folgender Themenleitfaden zu verzeichnen:
Vorstellung von Burnout / Ankommen, zu sich finden / Leistungsdruck / Stressoren / innerer Zensor / Ressourcen / Spielen / Entspannung aushalten / gesunder Egoismus / Grenzen setzen / den eigenen Rhythmus finden und halten / Pausen setzen und aushalten / Lebensqualität / sich seine eigene Insel schaffen.
Spannend war dabei der „innere Zensor“, der sich thematisch durch das Wochenende zog. Der innere Zensor repräsentiert das bewertende Fremdbild: Die Meinung und der Druck von außen, Einflüsse von Eltern und Freunden, die mit der Zeit zum introjizierten Selbstbild, zum inneren Zensor wurden. Aufgabe kann es sein, seine introjizierten Selbstbilder zu reflektieren und dysfunktionale von positiven Einstellungen unterscheiden zu lernen.
Ein weiteres Thema war das zweckfreie „Spielen“ als Handlung an sich und wie gut dies der Seele tut. Dieses Spielen, welches für Kinder stundenlang selbstverständlich ist, kann man im Übergang zum Erwachsenenalter ebenfalls für sich nutzen.
Während des Seminars wurden gemeinsam Stressoren und Ressourcen erarbeitet und wieder bewusst gemacht – allgemein gültige und solche, die jeder persönlich für sich wählen und nutzen kann. Dabei galt es vor allem Pausen in den Alltag einzubauen. Die Schwierigkeit Pausen auszuhalten wurde musikalisch wie im Gespräch ausprobiert und erlebt. Dass Pausen zu mehr Lebensqualität führen können, war eine Beobachtung der Gruppe.
Meine Vorstellung wäre, solche musiktherapeutischen Seminare mit selbsterfahrungsorientierter Komponente fest im universitären System zu integrieren und so mehr Präventions- und Therapieangebote zu schaffen. So könnte die Gesundheit von Studierenden langfristig davon profitieren – ein Wachstum nach Bedarf zeichnet sich schließlich in den Zahlen Burnout-gefährdeter Studierender ab.

Die Autorin

Martina Pohl
Dipl. Päd., Musiktherapeutin MA Martina Pohl studierte von 2009 bis 2012 den Master Klinische Musiktherapie. Frau Pohl arbeitet am Klinikum Dortmund auf der Kinderonkologie und der Neonatologie sowie mit geistig und körperlich beeinträchtigten Menschen. Einmal pro Semester bietet sie zusammen mit dem ASTA der Uni Münster (Fikusreferat) einen Vortrag zum Thema „Burnout-Prävention bei Studierenden“ an.

Die Magisterarbeit von Martina Pohl „Gedanken zur Burnout-Prävention bei Studierenden – ein musiktherapeutischer Versuch“ (2011) kann unter folgendem Link als pdf bestellt werden: http://www.uni-muenster.de/Musiktherapie/Literaturdienst/bestellservice.html

Schwerpunktthema

Das Burnout-Syndrom – Übersicht und kritische Anmerkungen

Von Prof. Dr. Hans Ulrich Schmidt

 

Einleitende Anmerkungen
Die Diagnose Burnout steht wie kaum eine im Mittelpunkt vieler Diskussionen zwischen somatisch orientierten Ärzten, Psychiatern oder Fachärzten für Psychosomatik und Psychotherapie auf der einen, Gesundheitsökonomen und Gesundheitspolitikern auf der anderen Seite. „Obwohl bisher keine einheitliche Definition des Burnout existiert und Burnout weder in der Internationalen Definition der Krankheiten, 10. Revision (ICD-10) noch im Diagnostischen und Statistischen Handbuch psychischer Störungen (DSM-IV) eine eigenständige Diagnose darstellt, wird Burnout in der klinischen Praxis diagnostiziert. Vor dem Hintergrund der damit verbundenen individuellen, gesellschaftlichen und finanziellen Auswirkungen erklärt sich die hohe Brisanz dieser Thematik.“ (Korczak 2010, S. 1). Die Burnout-Diagnose hat nicht zuletzt aufgrund der deutlichen Zunahme von Krankschreibungen eine hohe gesundheitspolitische Brisanz: Laut Bundespsychotherapeutenkammer entfielen im Jahr 2004 noch 0,7 Arbeitsunfähigkeits-Tage pro 100 Versichertenjahre auf die Diagnose Burnout, 2011 waren es bereits 9,1, also ca. vierzehnmal so viele (BPtK 2012, S. 5). „Der Anteil der Krankschreibungsfälle hat sich zwischen 2004 und 2011 verachtfacht. Während 2004 nur 0,05 Krankschreibungsfälle auf 100 Versicherte auftraten, sind es 2011 nunmehr 0,4“. (BPtK S. 6)

Definition
Kaschka et al. (2011) konstatieren zunächst: „Eine allgemeingültige, international konsentierte Definition von Burn-out gibt es derzeit nicht“ (ebd., S. 782). Wörtlich übersetzt, bedeutet der Begriff „to burn out“ ausbrennen. Im Gegensatz zur fehlenden einheitlichen wissenschaftlichen Definition ist „das intuitive Verständnis des Ausdrucks (…) in der Umgangssprache sehr groß. Burnout kann daher als ein Begriff von hoher gesellschaftlicher Praxisrelevanz verstanden werden“ (Korczak 2010, S. 14). In verschiedenen Definitionsansätzen finden sich Begriffe wie emotionale Erschöpfung, verringerte persönliche Erfüllung im Beruf, Arbeit bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit, Erschöpfung und/oder Enttäuschung nach Realisierung unrealistischer Erwartungen (Zusammenstellung Korczak 2010, S. 14). In einer Sammlung verschiedener Definitionen durch Rook (1998) finden sich wiederkehrende Elemente wie „körperliche, emotionale, geistige Erschöpfung, Entfremdung, Arbeitsbelastung, unerfüllte Bedürfnisse und Erwartungen, Desillusionierung, fehlgeschlagene Arbeitsanpassung“ (in Korczak 2010, S. 14).
Insgesamt werden eher verschiedene Zustände (und nicht scharf umrissene Symptome) geschildert, die erstens nicht den Beginn einer Symptomatik klären, zweitens vor allem zwei Aspekte gemeinsam zu haben scheinen:
–    Großes Bemühen einer Person führt bei viel Engagement zu zunehmender körperlicher und seelischer Erschöpfung
–    Ein wesentlicher ursächlicher Faktor liegt in der Umwelt, meist dem Arbeitsfeld.
Historisch steht das Konzept in einer langen Tradition: Shorter (1994) beschäftigt sich mit soziokulturellen Aspekten der Verlagerung objektivierbarer, schärfer umrissener Symptome auf subjektive Empfindungen. „Aus der Sicht der Patienten hatten Schmerzen und Mattigkeit den Vorteil, dass sie erstens den Erwartungen entsprachen, die sich die Ärzte unter dem Einfluß des zentralnervösen Paradigmas gebildet hatten, und dass sie zweitens unmöglich zu widerlegen waren. Als hochgradig subjektive Empfindungen, die sie sind, können weder Schmerzen noch Abgeschlagenheit im Einzelfall als in Wirklichkeit gar nicht vorhanden abqualifiziert werden. (…) Viele motorische Symptome waren mit dem Nachweis einer ja fehlenden anatomischen Basis medizinisch zu widerlegen. Demgegenüber war die potentielle anatomische Basis von Schmerz und Mattigkeit (…) viel komplexer und schwieriger zu untersuchen“ (ebd., S. 462–63). Shorter weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass bereits seit ca. 150 Jahren – mit einer Verdichtung vor ca. 100 Jahren – Diskussionen über den Neurastheniebegriff begannen. Zusammengefaßt vertritt Shorter die These, dass sich der große Pool schwer fassbarer und stark subjektiv getönter Symptome vor allem aus zwei Krankheitskonzepten speist: Dem der Neurasthenie und dem der Hysterie.

Diagnostik
Im Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation erscheint Burnout nicht als eigenständige Diagnose, sondern firmiert innerhalb einer Gruppe verschiedener Zusatzdiagnosen, denen prinzipiell andere Erkrankungen zugrunde gelegt werden und die ergänzende Informationen zu entsprechenden (Haupt-)Diagnosen beschreiben. Im aktuellen DSM-IV ist die Diagnose nicht aufgeführt, in der ICD-10 findet man sie unter der Kategorie „Z 73, Probleme verbunden mit Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“. Als nähere Erläuterung zur Ziffer Z 73.0 erscheinen Begriffe wie „Ausgebranntsein“ oder „Zustand der totalen Erschöpfung“. Differentialdiagnostisch kann laut ICD dann von einem Burnout gesprochen werden, wenn keine andere psychiatrisch definierte Krankheit wie Neurasthenie (F48.0), Panikattacke (F41.0) oder allgemeine Ermüdung (R53) vorliegen. Eine Aufnahme in DSM-V oder ICD-11 ist nicht vorgesehen. Kaschka et al. (2011) sprechen von einem „aus medizinischer Sicht unfertigen Konzept“ (S. 783). „Die wissenschaftliche Psychiatrie hat es bisher weitgehend vermieden, sich mit dem Phänomen Burn-out zu beschäftigen, sei es, dass sie vor der definitorischen Unschärfe des Syndroms zurückgeschreckt ist oder sei es, dass die Überschneidungsbereiche mit etablierten psychiatrischen Diagnosen wie Depression oder Anpassungsstörung so groß erschienen, dass man glaubte, auf eine Validierung von Burn-out als diagnostische Entität verzichten zu können“ (ebd., S. 783).
Differentialdiagnostisch ist häufig vom Zusammenhang zwischen Burnout und Depression sowie Burnout und dem Konzept chronischer, anhaltender Erschöpfung (hier klingt der im angloamerikanischen Sprachraum verwendete Begriff des „chronic fatigue syndrome“ an) die Rede. Immer wieder ist beobachtbar, dass so bezeichnete Patienten große Schwierigkeiten haben bzw. unfähig sind, Gefühle bei sich selbst oder bei anderen wahrzunehmen bzw. zu verbalisieren. Diese Hinzuziehung des sog. Alexithymie-Konzeptes, das gern zur Konzeptualisierung der Entstehung und Aufrechterhaltung somatoformer, mitunter psychosomatischer Beschwerden im engeren Sinne, hinzugezogen wird, verweist auf ausgeprägte psychogene Entstehungsfaktoren des Burnout-Syndromes, die in starkem Maße auf Eigenheiten des Patienten selbst zumindest mit verweisen. Es scheint darüber hinaus so zu sein, dass die Diagnose eines Burnout-Syndroms einen Risikofaktor für die Entwicklung einer Depression darstellt.
Andererseits besteht eine Assoziation zwischen Burnout und kardiovaskulären, muskulo-skelettalen, kutanen und allergischen Erkrankungen. Die somatische Komorbidität nimmt mit dem Schweregrand des Burnout-Syndroms zu. „Im Einzelnen sind die neurobiologischen beziehungsweise psychobiologischen Mechanismen, die den körperlichen Auswirkungen von Burn-out zugrunde liegen, noch ungeklärt“ (Kaschka 2011, S. 785).

Behandlung
Zum Teil sind Praxen, mitunter ganze Kliniken auf die Behandlung des Burnout-Symdroms spezialisiert. Behandlungsansätze sind meist psychotherapeutischer Natur und verwenden entsprechende Methoden. Verschiedentliche therapeutische Bemühungen orientieren sich vor allem am Schweregrad.
„Bei leichterer Ausprägung werden Maßnahmen im Sinne einer Veränderung der Lebensgewohnheiten und Optimierung der „Work-Life-Balance“ empfohlen (Kaschka 2011, S. 786). Hier sollten sich nach Hillert und Marwitz (2006) die Maßnahmen auf drei Aspekte konzentrieren:
–    Entlastung von Stressoren
–    Erholung durch Entspannung und Sport
–    Ernüchterung im Sinne einer Verabschiedung von Perfektionsvorstellungen
„Liegt ein stärkerer Ausprägungsgrad (…) vor, werden psychotherapeutische Interventionen sowie auch Antidepressiva, optimalerweise kombiniert mit Psychotherapie, empfohlen. (…) Bei den psychotherapeutischen Interventionen wird meist ein schulenübergreifender Ansatz angeraten, wobei der Schwerpunkt auf kognitiv-verhaltenstherapeutischen Verfahren liegt. Da allerdings bisher keine kontrollierten Studien vorliegen, die die Wirksamkeit verschiedener Interventionen belegen könnten, muss die Effektivität dieser Interventionen offen bleiben“ (Kaschka 2011, S. 786).
„Als präventive Maßnahmen (…) werden (…) vor allem Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung, die Einführung von Arbeitszeitmodellen sowie die Durchführung von Supervisionen empfohlen. Damit ist eine gesellschaftliche Komponente (…) angesprochen, die ein Umdenken erforderlich macht, das zu Veränderungen der Arbeitswelt im Sinne einer umfassenden Humanisierung führen sollte“ (ebd., S. 786).
Eine musiktherapeutische Masterarbeit (Pohl 2012) widmet sich ebenfalls diesem Thema. Die Verfasserin bemängelt ebenfalls die unklare Definitionslage. Sie schlägt vor, die Definition im Sinne des alten Neurastheniekonzeptes weiterzuentwickeln. „Im Vergleich der verschiedenen Definitionen ließen sich die Leitsymptome emotionale Erschöpfung, Depersonalisierung, und reduzierte persönliche Leistungsfähigkeit festmachen. Diese werden in den meisten Definitionen beschrieben und stellen somit die Hauptbestandteile von Burnout dar. Das Burnout-Syndrom kann folglich als eine Weiterentwicklung der Neurasthenie bezeichnet werden“ (ebd., S. 107). Eine Augsburger Masterarbeit zum Thema „Prävention beim Burnout-Syndrom“ steht vor dem Abschluss.
Wohlgemerkt: Einem mittlerweile beträchtlichen Aufwand an präventiven und symptomatischen Behandlungsmaßnahmen steht unter anderem der Sachverhalt gegenüber, dass es aktuell und zukünftig keine Hauptdiagnose „Burnout“ in den einschlägigen diagnostischen Manualen gibt oder geben wird. „Angesichts der unzureichenden Validierung von Burn-out und der aufgezeigten Forschungsdefizite sollte derzeit aber von einer Verwendung dieses Begriffs als Diagnose und Grundlage für Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen oder Berentungen abgesehen werden“ (Kaschka 2011, S. 786).

 

Der Autor:

Prof. Dr. Hans Ulrich Schmidt
Co-Leitung des Berufsbegleitenden Weiterbildungsstudiengangs mit Masterabschluss am Leopold-Mozart-Zentrum, Universität Augsburg. Bereich Ärztliche Psychotherapie, Ambulanzzentrum des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf

E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

 

Literatur

  • Bundespsychotherapeutenkammer (2012). BPtK-Studie zur Arbeitsunfähigkeit. Psychische Erkrankungen und Burnout
  • Burisch, M. (2010): Das Burnout-Syndrom. Theorie der inneren Erschöpfung. 4., akualisierte Aufl. Springer, Heidelberg.
  • Hillert, A., Marwitz M. (2006): Die Burnout-Epidemie oder brennt die Leistungsgesellschaft aus? München: Beck
  • Kaschka, W., Korczak, D., Broich K. (2011): Modediagnose Burn-out. Deutsches Ärzteblatt 108, 46, S. 781–86
  • Kaschka, W., Korczak, D., Broich K. (2012): Modediagnose Burn-out. Diskussion zum Beitrag. Deutsches Ärzteblatt 109, 18, S. 338–41
  • Korczak, D., Wastian M., Schneider, M. (2012): Therapie des Burnout-Syndroms. HTA-Bericht 120. Schriftenreihe Health Technology Assessment (HTA) in der Bundesrepublik Deutschland.
  • Korczak, D., Kister, C., Huber, B. (2010): Differentialdiagnostik des Burnout-Syndroms. HTA-Bericht 105. Schriftenreihe Health Technology Assessment (HTA) in der Bundesrepublik Deutschland.
  • Pohl, M. (2012): Gedanken zur Burnout-Prävention bei Studierenden – Ein musiktherapeutischer Versuch. Masterarbeit für den Master of Arts, Masterstudiengang Klinische Musiktherapie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster.
  • Rook M. (1998): Theorie und Empirie in der Burnout-Forschung. Eine wissenschaftstheoretische und inhaltliche Standortbestimmung. Verlag Dr. Kovac Hamburg.

Praxisvorstellung

Praxis für Musiktherapie, Heidelberg

Von Martin Spiegler

Stellen Sie sich bitte kurz vor!
Mit dem Therapeuten-Beruf ist es, wie mit einem gutem Rotwein: er reift und entfaltet sich mit den Jahren. Der Note nach Brombeeraroma, Bourbon-Vanille und Zedernholz dort entspricht hier vielleicht die Melange aus therapeutischer Kunstfertigkeit, geistig-philosophischen Erkenntnissen und spirituellen Einsichten, und nicht zuletzt einer zuträglichen Dosis eigener, durchlebter Höhen und Tiefen. Dazu kommt – als besondere Würze – das Staunen, dass alles immer auch anders sein kann als es sich jedes Lehrbuch träumen lässt.
Zum Glück hört das Reifen, auch mehr als ein halbes Leben nach dem ersten Flirt mit der Musiktherapie, nicht auf. Daran haben auch die Jahre davor ihren Anteil, der Musiker, der sich mit Taxifahren über Wasser hielt, das Schreinerkollektiv und der Bau von Musikinstrumenten, das Politikstudium und der gut dotierte Job in der Sozialforschung.

Welche Situation Ihres musik­therapeutischen Berufslebens lag vor der Eröffnung Ihrer ambulanten Praxis?
Aufbau der Musiktherapie an der Psychiatrie in Heppenheim/Bergstraße und wenige Jahre später an der neu eröffneten psychosomatischen Fachklinik am Hardberg, in Siedelsbrunn/Odenwald – mit tiefenpsychologisch-analytischem, später zusätzlich systemisch-hypnotherapeutischem Konzept. Dazu die Erweiterung des fachlichen Horizonts in Weiterbildungen und Selbsterfahrungskursen (in humanistischer Psychotherapie, Körpertherapien, verschiedenen Möglichkeiten der Arbeit mit veränderten Wachbewusstseinszuständen, unterschiedlichen systemischen Ansätze u. a.).

Wie sind Sie zu dem Beruf des Musiktherapeuten/der Musik­therapeutin gekommen?
Erster Anstoß Ende der 70er Jahre beim Instrumentalunterricht mit multinationalen Kindern und Jugendlichen. Der herrschende Leistungsfetisch, vor dem Hintergrund oft schwieriger Familiensituationen, drängte nach Alternativen und zum Experimentieren. Parallel dazu das Absorbieren von Impulsen aus den Anfängen des Freien Musikzentrums München und des (ersten deutschsprachigen) Wiener Musiktherapie-Studiengangs. Appetithappen aus den noch spärlichen Texten zum Thema und der Kurzschluss mit Gleichgesinnten. Was zwangsläufig zum Sprung ins kalte Wasser führen musste: die Realisierung eines Pilotprojekts „Musiktherapie mit psychiatrischen Patienten“ an der Rotkreuz-Tagesklinik in München. Beflügelt vom Enthusiasmus des Anfängers und getragen von einem Klinikteam mit der Aufgeschlossenheit für das Neue. Flankierend (Selbst-) Erfahrungen in einer Gruppenanalyse. Schließlich das Musiktherapiestudium in Heidelberg mit dem Dokument für die berufliche Bewegungsfreiheit. Und, für mich conditio sine qua non, das Zeit-lassen- Dürfen auf der psychoanalytischen Couch.

Erzählen Sie bitte von den Rahmen­bedingungen und der Konzeption Ihrer Praxis.
Knapp zwanzig Jahre sind es seit den Anfängen. Eine längere Strecke davon mit einem zweiten Gleis in der Klinik-Teilzeit, bis das Wagnis Praxis pur fällig war. Mit den Vorzügen, unabhängig von klinischen Glaubensrichtungen, betriebswirtschaftlichen Daumenschrauben und chefärztlichen Eitelkeiten zu arbeiten, ganz zu schweigen von den selbstbestimmten Arbeits- und Urlaubszeiten. Was abgeht ist das Miteinander im Team, der Austausch, die Impulse, gelegentlich das interdisziplinäre Behandlungskaleidoskop. Die Arbeit in eigener Praxis ist, auch bei vollem Terminplan, ein mitunter einsamer Job, bei dem fachliche Erdung und kollegiale Vernetzung nicht ohne Eigeninitiative (gut) gehen. Privatpraxis heißt, dass meine KlientInnen selbst zahlen und die Kosten, je nach Vertrag mit ihrer Kasse, ersetzt bekommen können. Einige lassen sich die Therapie über eine Heilpraktiker-Zusatzversicherung erstatten, die wenigsten haben eine Kostenübernahme für Musiktherapie oder künstlerische Therapien vereinbart (und dass eine ansonsten empfehlenswerte Kasse Musiktherapie nur in der anthroposophischen Variante übernimmt, sollte vielleicht nicht das letzte Wort von unserer Seite sein). Vereinzelt macht (auch bei einer gesetzlichen Kasse) Verhandeln Sinn, wenn es gelingt, die drohende Alternative einer wesentlich teureren, stationären Behandlung darzulegen. Die Praxis selbst befindet sich in einem zentral gelegenen, lebendigen Altbauviertel am Neckar mit guter Infrastruktur und angenehmen Plätzen zum Verweilen. Zu Bus und Tram sind es drei Minuten, zum Hauptbahnhof durchschnittlich zwölf. Vermutlich hat auch die Umgebung ihren Anteil am therapeutischen Gelingen, wenn KlientInnen gern ins Quartier kommen und sich um die Stunde herum noch ein Weilchen am Fluss oder in einem Cafe gönnen. Die Räume (in Praxisgemeinschaft) befinden sich im ersten Stock eines von Psychotherapeuten unterschiedlicher Couleur besiedelten Gebäudes. Der grüne Innenhof ist eine Oase der Ruhe und ein Schatz, der manchmal Konzessionen bei der Terminierung expressiver Gruppenveranstaltungen erfordert. In dieser Hinsicht kann ich mich der Langmut meiner KollegInnen glücklich schätzen. Vor ein paar Jahren ist, willkommene Öffnung der therapeutischen Monokultur, ein italienisches Sprachinstitut ins Erdgeschoss gezogen, bei dem es immer frischen Espresso gibt.

Wie sind Ihre Praxisräume eingerichtet? Nach welchen Kriterien haben Sie sie gestaltet?
Der zentrale Berberteppich und die Sitzpolster laden ein auch die regressiven Bedürfnisse nicht an der Garderobe abzugeben. Wichtig die Wahlmöglichkeit bequem am Boden zu arbeiten – vor allem, wenn der Körper miteinbezogen sein will, oder wenn zur Klang-Trance die innere Reise bevorzugt im Liegen angetreten wird. Bewegliche Sitzelemente, Meditationskissen und Decken erlauben das Modellieren emotional bedeutsamer „Landschaften“ (sicherer Ort, mit Raum oder Grenzen experimentieren usw.). Für das Einzelsetting und Paargespräche stehen zudem Sessel zur Verfügung. Mit knapp 28 m2 ist der Raum noch nicht zu groß für Einzeltherapien und eignet sich gleichermaßen für Gruppen bis 8 Teilnehmer.  Dazu gehört ein separater Wartebereich mit Sitzbank im Treppenaufgang. Außerdem das Büro und zwei Toiletten. Bei Bedarf (Wochenendgruppen) kann ich die Infrastruktur der Nachbarpraxis mitbenutzen. Die Instrumente sind danach ausgewählt möglichst wenig leistungsbezogene Assoziationen zu wecken. Da ich finde, dass nicht nur die akustische Palette, sondern auch das visuelle und das Berührungsempfinden eine wichtige Rolle spielen, überwiegt hier der Ethnobereich. Von Bedeutung auch die Instrumente für die Klang-Trance, mit dem therapeutisch erforderlichen Spektrum archetypischer Themen. Alle Instrumente sind leicht zugänglich und stehen auf dem Boden oder in einem offenen Regal.

Mit welchen Anliegen, Leiden oder Krankheiten können sich Menschen an Sie wenden?
Ich arbeite hauptsächlich mit Erwachsenen. Die Bandbreite der Themen erstreckt sich von der Praenatalzeit bis zu den Projektionen über das Lebensende hinaus. Es geht um Erfahrungen von zu viel oder zu wenig Wärme, von mangelnder Akzeptanz im individuellen So-Sein, um frühe Instrumentalisierungen, Ablösungsthemen, persönliche, berufliche und Beziehungskrisen, auch um die Auseinandersetzung mit dem Älterwerden und der eigenen Endlichkeit oder die Frage nach Erfülltheit und Sinn. Dahinter immer wieder auch die seelischen und zwischenmenschlichen Konflikte, psychosomatischen Symptome und Erkrankungen, in denen sich nicht zuletzt die Sehnsucht nach Verbundenheit in einem selbstbestimmten und selbst gestalteten Leben manifestiert.  Seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten ist die Arbeit mit traumatisierten Menschen einer meiner Schwerpunkte geworden. Neben der sexuellen Ausbeutung tauchen hier von Zeit zu Zeit auch transgenerationelle Themen auf, vor allem im Zusammenhang mit Nationalsozialismus, Kriegserlebnissen, Verfolgung und Heimatverlust. Wenn Jugendliche (ab 16) den Weg zu mir finden, dann meist über die typischen Adoleszenzkrisen, inklusive der Essstörungen oder der Modediagnosen für mehr Lebendigkeit und Unsicherheit, als unsere Turbogesellschaft den jungen Menschen zugestehen kann. Da psychische, psychosomatische und zwischenmenschliche Konflikte immer auch als Ausdruck der Suche nach Lösung hinterfragt werden können, gibt es für mich keine Einschränkung bei den Anliegen und Problematiken, für die jemand therapeutische Unterstützung bei mir sucht.
Die Mischung aus Einzel-, Paar- und Gruppentherapie auf der einen Seite, sowie Weiterbildung und Supervision für KollegInnen und StudentInnen auf der anderen, bildet eine sich gegenseitig befruchtende Korrespondenz, die sich belebend auf die Arbeit insgesamt auswirkt, nicht zuletzt, weil dadurch das eigene Denken immer wieder durchlüftet und die Räumlichkeiten energetisch neu geladen werden.

Was hilft in Ihrer Therapie? Nach welchem Konzept arbeiten Sie?
Auf der Basis von Achtsamkeit und Respekt stellt für mich das analytisch-tiefenpsychologische Verständnis seelischer Prozesse eine wesentliche Grundlage meiner Arbeit dar, ergänzt um die Erkenntnisse der Prae- und Perinatal- sowie der transpersonalen Psychologie. Systemische Betrachtungen und lösungsorientierte Ansätze erweitern die therapeutische Perspektive und die praktischen Möglichkeiten. Im Mittelpunkt steht dabei – vor der Methode – immer der Einzelne mit seinen individuellen Bedürfnissen und Nöten, Möglichkeiten und Begrenzungen. Ich betrachte es deshalb als hilfreich auch andere therapeutische Herangehensweisen zu kennen. In diesem Sinne verstehe ich mich als hoffnungslosen Eklektiker. Selbstverständlich spielt die Beziehung eine zentrale Rolle und das Anrecht meiner KlientInnen, mich nicht nur hinter der Einwegglasscheibe aseptischer Professionalität verorten zu müssen. Jemand, der in seinem Leben emotional verloren gegangen ist, soll sich in den Anteil nehmenden Gefühlen des Therapeuten-Gegenübers verankern dürfen, oder auch wissen, in welcher Gegend ich im Urlaub nicht aus der Welt gefallen bin. Und warum sollte jemand nicht Hoffnung aus der Tatsache schöpfen dürfen, wenn auch ich bisweilen ähnliche Herausforderungen in meinem Leben zu bestehen hatte. In diesem Sinne halte ich es mit einer geläuterten Abstinenz, die sich daran orientiert, dass alles was geschieht, im Dienste meiner Klienten zu stehen hat.

Wie klingt die Musik, die Sie mit Patientinnen machen oder die Sie ihnen vorspielen?
Die gemeinsam improvisierte Musik hat vor allem die mannigfaltigen Qualitäten von Beziehung im Blick. Je nach Übertragungsaspekten und zwischenmenschlicher Gemengelage entspricht sie den Bedürfnissen nach Sicherheit und Tragfähigkeit, nach Konfrontation und Sich-zumuten-Dürfen oder auch der Sehnsucht danach, den offensichtlichen oder unterschwelligen Gefühlen und Impulsen Gehör zu verschaffen. Herausforderung, Lustvolles und Katharsis gehören ebenso dazu wie die musikalische Rückenstärkung. Oder aber die akustische Versagung, die oft erst den erlittenen Mangel an existentieller Resonanz und die fehlende Zustimmung für das eigene Wesen ins Bewusstsein treten lässt. Nicht zu vergessen der Sound, der zu eng gewordene Grenzen zu sprengen vermag und neue Welten entdecken lässt.
Die an meine KlientInnen adressierte Musik klingt intuitiv-begegnend, (nach-)nährend, gelegentlich auch kontemplativ-zentrierend, stets bejahend – und, vor allem, immer aus dem Augenblick heraus. In der Klang-Trance stellt sie rhythmisch- und klanglich-monochrome Projektionsflächen zur freien Verfügung.

Schildern Sie bitte eine typische Situation aus Ihrem Berufsalltag.
Zur Einstimmung auf den Praxistag der Blick in den Terminkalender. Erste Blitzlichter zu einzelnen Klienten und evtl. anstehenden Themen. Außerdem – der Kelch der Buchhaltung bleibt einem Freiberufler nicht erspart – welche Rechnungen noch durch den Drucker müssen. Unmittelbar vor der Sitzung die letzten zwei, drei Eintragungen im Klapprechner, das Wesentliche, um es in der Stunde parat zu haben: ein Prozess, der noch nicht zuende geführt ist, ein wichtiges Detail, das nicht verloren gehen soll, eine Botschaft an mich, die ich ernst nehmen möchte („der Begriff inneres Kind löst bei mir Panik aus“; „ich finde das Wort Ehrenrunde beschämend“. „ich brauche am Ende der Stunde immer noch einen Puffer für den Übergang in den Alltag“). Wichtig auch die spontanen Gedanken, Gefühle, mit denen ich der Stunde begegne, und was das möglicherweise mit der aktuellen Dynamik zu tun hat. Zu Beginn lasse ich uns beiden einen Moment zum Hinspüren, Ankommen. Jemand hat vielleicht bereits etwas im Gepäck, ein anderer braucht ein musikalisches Intro für den Stand der Dinge oder eine akute Not hat keine Zeit zu verlieren. Nicht selten eröffnet ein Traum die Stunde, hin und wieder mit dem Wunsch, ihn – neben der gemeinsamen Übersetzung – instrumental zu einem besseren Ende zu bringen. Ich achte auch bei Albträumen auf Lösungspartikel.

An welche besonders schwierige, lustige oder glückliche Situation können Sie sich erinnern?
Man sollte sich weder von den „Flitterwochen“ zu Beginn einer Therapie noch vom Blei in den Beinen, das sich gelegentlich unterwegs einstellen mag, allzu sehr beeindrucken lassen. Das therapeutische Glück liegt oft in kleinen, dennoch richtungsweisenden Augenblicken: Die Klientin, die in fünf Jahren keine einzige Stunde zu versäumen wagte und jedes Mal in existentielle Not geriet, wenn Sitzungen wegen meines Urlaubs oder einer Fortbildung ausfielen. Plötzlich teilte sie mir mit, dass ich die nächsten beiden Stunden ohne sie auszukommen hätte, weil sie ihren jahrelang gehegten Traum, ans Meer zu fahren (zu dem sie sich nunmehr in der Lage fühlte), nicht länger mir zuliebe zurückstellen könne. Welch wunderbares Enttäuscht-Werden, weil jemand das Wagnis eingeht, sich für das eigene Leben zu entscheiden.
An einer Selbsterfahrungswoche im Tessin nahm auch eine meiner Klientinnen teil, die massive sexuelle Übergriffe im familiären Kontext erlebt und ihre Gefühle überwiegend in Selbstverletzungen und indirekte, ihre Lebensqualität beeinträchtigende, autoaggressive Impulse hatte münden lassen. Die in der Einzeltherapie erreichte Stabilität und die neuen Gestaltungsmöglichkeiten in ihrer gegenwärtigen Lebensrealität hatten sie dazu veranlasst, sich nun auch ihrer sozialen Isolation zu stellen und sich in der Dynamik einer Gruppe zu versuchen. Im Kurs verliebte sie sich in die große Djembe, deren kraftvolle Basstöne und die Möglichkeit sich damit Gehör zu verschaffen sie faszinierten. Ein Schritt auf dem Weg ihre verloren gegangenen, vital-aggressiven Potentiale wieder in Besitz zu nehmen. Nach einer Gruppensitzung, in der sie sich bedürftig erlebt hatte, aber von mir nicht gesehen, kehrte sie während der Mittagspause allein in den Gruppenraum zurück und stach mit einem Messer in das Fell des Instruments. In der Bearbeitung gelang es ihr, ihr selbstschädigendes Muster zu entschlüsseln und sich den in die Autoaggressivität verlagerten Gefühlen von Sehnsucht, Schmerz und Wut (und auch der Eifersucht in der Geschwisterkonstellation der Gruppe) zuzuwenden. Anschließend kümmerte sie sich selbst, auf liebevolle Weise, um die Reparatur der Trommel. Die Wiederherstellung des Instruments erlebte sie, symbolisch, als Fürsorge für ihre eigenen erlittenen Verletzungen und die aktive Heilung ihrer eigenen aggressiven Kraft.

Welche Idee im Bereich der Musiktherapie würden Sie gerne verwirklichen, wenn Sie ausreichend Zeit und Mittel hätten?
Was auch noch schön wäre: die Schaffung eines interdisziplinären Projektes aus Musikpsychotherapie, Philosophie und Zeitgeschichte als Forum für Diskussion und die Entwicklung eines mehrdimensionalen therapeutischen Denkens, im Hinblick auf die Wechselwirkung individueller und kollektiver (gesellschaftlicher und transnationaler) Prozesse.

 

Der Autor:

Martin Spiegler
Praxis für Musikpsychotherapie
Schröderstr.39
69120 Heidelberg
Tel. 06221-658502
www.musiktherapie-heidelberg.de

Martin Spiegler, Jahrg. 1953. Lebensstationen Regensburg – München – Heidelberg. Musiktherapie-Studium in Heidelberg. Psychotherapie-Heilpraktiker, Approb. als Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut, Lehrmusiktherapeut, Supervision. Langjährige Tätigkeit in der klinischen Psychosomatik, Psychiatrie und Psychotherapie. Freie Praxis seit 1994. Traumatherapie (seit 1996), Entwicklung eines musiktherapeutischen Ansatzes der Tinnitus-Therapie (2000). Weiterbildungstätigkeit an verschiedenen Institutionen aus dem psychoanalytischen, psychotherapeutischen, kreativ-therapeutischen und therapeutisch-spirituellen Bereich und in der eigenen Praxis. Regelmäßige Kurse zu verschiedenen Lebensthemen.

Musiktherapeutischer Klinikspaziergang

Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie (Märkische Kliniken – Klinikum Lüdenscheid)

Von Patrick Walraf

Nähert man sich dem Klinikum Lüdenscheid über die Zufahrtstrasse, fällt der moderne, vierstöckige, grün getäfelte Hauptbau zuerst auf. Dieser beherbergt fast alle somatischen Abteilungen. Das Klinikum Lüdenscheid ist als größtes Krankenhaus Südwestfalens für die Gesundheitsversorgung mehrerer Städte, Lüdenscheid, Brügge, Halver, Kierspe und der ländlichen Gebiete im Märkischen Kreis entlang der Autobahn A 45, der so genannten „Sauerlandlinie“, zuständig. 28 Fachabteilungen befinden sich in dem Klinikkomplex.
Links neben dem Hauptbau befinden sich die zweigeschossigen Gebäuderiegel, in denen die Verwaltung sowie die so genannten „Psych-Fächer“ Allgemeinpsychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie und Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie angesiedelt sind. Diesen Gebäuden ist die frühere militärische Nutzung noch anzusehen, natürlich wurden sie renoviert und saniert und bieten in ihrem Innenraum ein modernes Ambiente. Die umliegenden Parkplätze sind von einem beeindruckenden Bestand an alten Bäumen gesäumt, der, nach den meist schneereichen sauerländischen Wintern, im Frühjahr durch üppiges Grün das Auge erfreut.
Die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie befindet sich neben anderen kleineren somatischen Abteilungen in zwei der vorgenannten Gebäuderiegel, in Haus 2 die Station mit 23 Betten sowie einige Arztzimmer nebst Physiotherapie im Erdgeschoss, in Haus 3 die Ambulanz, die Funktionsbereiche (Gruppentherapie, Kunst- und Gestaltungstherapie, Tanz- und Ausdrucks- sowie Musiktherapie), weitere Arztzimmer und die Tagesklinik. Insgesamt sind die Räume sachlich mit einem Hang zum Analytischen eingerichtet. Naturgemäß bietet der große Gruppenraum, in dem auch Tanz- und Musiktherapie stattfindet, die meisten Sinneseindrücke.
Klinikdirektor und Gründer der psychosomatischen Abteilung ist Chefarzt Dr. Gerhard Hildenbrand, die stellvertretende Leitung hat Oberärztin Doris Bartels inne.
Das Grundkonzept der Klinik
Grundlegend für die Behandlung ist die psychodynamische Sichtweise der Genese von psychosomatischen Erkrankungen. Der Patient wird vor dem Hintergrund seiner biographischen Entwicklung behandelt. Die komplexen Wechselwirkungen zwischen den biologischen, körperlichen, seelischen und sozialen Aspekten werden aufgegriffen. Verhaltenstherapeutische, systemische, traumatherapeutische sowie neurobiologische Elemente werden in das psychodynamische Grundkonzept integriert. Probleme und Konflikte können erkannt und die Sprache der Symptome verstanden werden. Gemeinsam mit dem Patienten wird ein „Raum der Möglichkeiten“ entworfen, in dem er seine Ressourcen erleben und weiterentwickeln kann. Dies soll eine Bewältigung der Erkrankung ermöglichen und so mehr Lebensqualität bieten.

Multimodalität
In der Psychosomatik spielt der Gedanke einer multimodalen Behandlung von Erkrankungen eine zen­trale Rolle. Daher werden in unserer Klinik folgende, gleichwertig nebeneinander und ineinander greifende Therapien angeboten. Dabei ist zwischen regelhaften (für alle Patienten) und indikativen (nach Verordnung) Verfahren zu unterscheiden. Die Behandlung entspricht den Vorgaben der psychosomatisch-psychotherapeutischen Komplexbehandlung bei psychischen und psychosomatischen Störungen und Verhaltensstörungen bei Erwachsenen (OPS 9.63). Dementsprechend werden die Patienten in festen Bezugsgruppen (halboffene Gruppen bedingt durch Aufnahme und Entlassung) behandelt. Da eine solche Gruppe gemeinsam an allen regelhaften Verfahren teilnimmt, entsteht ein „roter Faden“ zwischen den therapeutischen Angeboten: was in der Gruppentherapie besprochen wurde, kann in der Musiktherapie emotional durchlebt werden oder in der Gestaltungstherapie sichtbar werden, Erlebnisse aus den künstlerischen Verfahren werden in der ärztlich-psychotherapeutischen Einzeltherapie bearbeitet usf. Es wird großer Wert auf eine poststationäre und ambulante Anschlussbehandlung gelegt. Hierbei kann auf das vielfältige Angebot der Ambulanz zurückgegriffen werden.

„Teamplayer“
Im Hintergrund einer psychosomatischen Behandlung spielt die Zusammenarbeit des multiprofessionellen Behandlerteams eine sehr wichtige Rolle. Ein intensiver Austausch findet in den Übergaben und Teamsitzungen statt, das Verständnis der Psychodynamik des einzelnen Patienten sowie der jeweilig aktuellen Gruppendynamik wird hierdurch entwickelt und vertieft.

Ausbildungsinstitut
Die Psychosomatische Klinik bietet die Möglichkeit der fachärztlichen Ausbildung (Facharzt/-ärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Zusatzbezeichnung Psychoanalyse, Zusatzbezeichnung Psychotherapie – fachgebunden). Für das Team bedeutet es eine systemimmanente Fluktuation ärztlicher Kollegen. Neben dem Chefarzt und der Oberärztin gibt es da nur wenige feste Größen, wie zum Beispiel die Kunst- und Gestaltungstherapeutin. Andererseits ist die Zusammenarbeit mit neuen Kollegen auch immer wieder eine sehr bereichernde Angelegenheit.

Und die Musiktherapie?
Die Musiktherapie ist als Regelangebot für die stationären Patienten eine feste Größe (in Einzelfällen besteht eine Möglichkeit der Beurlaubung aufgrund von Kontraindikationen, z. B. bei möglicher Reizüberflutung infolge zurückliegender Traumatisierung). Einerseits ist die Musiktherapie berüchtigt wegen möglicher emotionaler (Neben-)Wirkungen bzw. aufschlussreicher Erkenntnisse über das eigene Verhalten im Gruppengeschehen, andererseits gerade auch deswegen geschätzt, da sie Entwicklungen und Erfolgen Raum bieten kann. Wie zu erwarten, sind neue Patienten zuerst einmal skeptisch, erleben sich selber als unmusikalisch, denken eher an die leistungsorientierte Seite des Musikalischen (einen Rhythmus oder eine Melodie spielen, zusammenspielen können). Hier empfinde ich es als sehr wertvoll, die Patienten, welche schon länger in der Klinik sind, von ihren Erfahrungen berichten zu lassen. Einerseits können sie stets die anfängliche Skepsis gegenüber der Methode bestätigen, andererseits aber auch beschreiben, welche therapeutischen Prozesse sie erlebt haben. Als Therapeut ergänze ich die Erlebnisse mit dem Beschreiben einer Art „2-Säulen-Modell“ für die Musiktherapie: Säule 1: Gefühle zulassen, wahrnehmen, annehmen und ausdrücken lernen. Säule 2: Gruppenimprovisation, d. h. das spontane Zusammenspielen auf Instrumenten, als Abbild des Themas „Ich und die (Um-)Welt“. Hier erkläre ich meine Hypothese der Analogie zwischen dem sozialen Erleben im musikalischen Gruppenprozess und dem „Alltags“-leben. Häufig berichten hier auch Patienten von der Unfähigkeit sich Gehör zu verschaffen, sich abzugrenzen usf. Diese Themen können im „Spielraum“ der Musiktherapie bearbeitet werden.
Als Einstiegshilfe für neue Patienten hat sich übrigens sehr bewährt, die Wahrnehmung auf das Phänomen Klang zu lenken. Die anderen Bestandteile der Musik wie Melodie und Rhythmus dürfen erst einmal „vergessen“ werden. Die verbale Einladung zum Spiel lautet: „Suchen Sie einen Klang, der sie anspricht“.

Regeln in der Musiktherapie

aus Sicht des Musiktherapeuten
Ich stelle mir meinen Interventionsgestaltungsraum wie einen fiktiven Schieberegler vor, ähnlich dem Lautstärkeregler alter Stereoanlagen. Auf der einen Seite des Reglers steht „frei“, auf der anderen „strukturiert“. Je nach Notwendigkeit versuche ich, auf der so entstandenen Skala, die richtige Intervention zu gestalten nach dem Motto: „so wenig Strukturvorgabe wie möglich, so viel wie nötig“. Immer wieder eine spannende Herausforderung.

aus Sicht der Patienten
Neuen Patienten stelle ich die „Stopp-Regel“ als einzige für die Musiktherapie während des gesamten Behandlungszeitraums gültige Regel vor. Diese Regel soll einen Schutz vor Überreizung, Überforderung bieten. Gleichzeitig bietet diese Regel ein Übungsfeld, in dem die Patienten lernen können, sich mitzuteilen und Grenzen zu setzen. In den Therapiestunden wird zudem auch bald deutlich, dass die Patienten einzeln und miteinander sich implizite, d. h. nicht ausgesprochene Regeln setzen: z. B. das Instrument nicht zu wechseln um nicht zu stören, die „Harmonie“-Regel als Ausdruck eines inneren Wunsches nach einem konfliktfreien Raum usf. Ich hinterfrage die Notwendigkeit dieser Regeln und versuche mit den Patienten die biographischen Hintergründe zu ergründen.

Status der Musiktherapie bei Kollegen
Von Seiten der Klinikleitung empfinde ich sehr hohes Vertrauen und Wertschätzung für Art und Inhalt meiner Arbeit. Dies zeigt sich auch in Zusammenarbeit mit den anderen ärztlichen und nicht ärztlichen Kollegen. Die gemeinsame Arbeit am Patienten findet auf Augenhöhe statt, Wahrnehmungen der unterschiedlichen Berufsgruppen werden ernst genommen, etwaige kontroverse therapeutische Einschätzungen fruchtbar diskutiert.

Zwei Welten
Wenn ich die fachliche Fundierung meiner Arbeit reflektiere, fällt mir das Begriffspaar „zwei Welten“ als passende Überschrift ein. Zuerst in der Bewegung zwischen tiefenpsychologischem Denken und systemischen Methoden. Diese erlebe ich nicht als gegensätzlich sondern als sich ergänzend. Gerne wähle ich für meine Arbeit die Bezeichnung „Musiktherapie – Arbeit mit inneren und äußeren Systemen“. Die inneren können tendenziell mit Hilfe tiefenpsychologischer, die äußeren mit Hilfe systemischer Modelle und Theorien beschrieben werden. „Zwei Welten“ beschreibt aber auch das Vorhandensein von zwei Medien, der Musik und der Sprache, in einer psychotherapeutisch orientierten Musiktherapie. Die früher gerne verwendete Bezeichnung „nonverbale Therapien“ für die künstlerischen Therapien ist m. E. nicht nur nicht zutreffend sondern für psychotherapeutische Prozesse geradezu hinderlich. Mit meinem ersten Arbeitgeber hatte ich vor 20 Jahren einige kontroverse Diskussionen zu dem Thema geführt. Die „zwei Welten“ Sprache und Musik gleichen zwei Bewusstseins- und Seinszuständen des Menschen, diese zu nutzen ist wertvoll. Fritz Hegis Titel „Übergänge zwischen Sprache und Musik“ beschreibt treffend die therapeutische Kunst des Hin- und Hergehens zwischen diesen beiden Welten. Dabei ist mir der fragend-phänomenologische Umgang mit sowohl musikalischen als auch sprachlichen Äußerungen des Patienten wichtig, im Sinne eines „den Dingen auf den Grund gehen“. Einige Patienten erleben dies am Anfang unter Umständen als unangenehm, viele schätzen aber mit der Zeit dieses genaue Betrachten und Nachfragen.

Prozesse
in der ambulanten Gruppe
Die Tanztherapeutin und ich bieten in den Klinikräumlichkeiten, im Rahmen unserer Zulassung als Heilpraktiker (Psychotherapie), Einzel- und Gruppentherapie für selbst zahlende Patienten an. Diese ambulante Arbeit, mit zuvor stationär behandelten Patienten, hat sich für mich als sehr erkenntnisreich herausgestellt. Am Ende der stationären Behandlung wird aufgrund des intensiven, multimodalen therapeutischen Behandlungsprozesses eine Vielfalt an Erkenntnissen und Ideen entwickelt und „mitgenommen“ – ich vergleiche dies oft mit einer Art hochdosierter Vitaminkur. Da diese „Vitamin“-Dosis im Alltag sinkt, erfolgt die Umsetzung von Veränderungen ungleich kleinschrittiger, es gibt Misserfolge, Stagnation usf. Im Rahmen der ambulanten Arbeit diese kleinen Schritte begleiten zu dürfen, hat mir den Ausblick ermöglicht, Veränderungs- und Entwicklungsprozesse besser abschätzen zu können und einen „langen Atem“ zu entwickeln.

 

Der Autor:

Patrick Walraf
geb. 1964
Dipl-Musikpädagoge Rhythmik, Dipl.-Musiktherapeut, Hdk Berlin
Systemischer Supervisor ifs Essen
Freie Praxis seit 1992:
–    Kinder-/Jugendliche mit Entwicklungsstörungen
–    Psychosomatik
–    Gerontopsychiatrie
–    Phase F (Menschen im Wachkoma)
–    Erwachsene mit frühkindlichem Autismus
–    Systemischer Supervisor
–    Tagesklinik für Psychiatrie (Wuppertal)
–    seit 2010 Klinik f. Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Fortbildungsangebote:
–    Musiktherapie für Menschen im Wachkoma
–    Systemische Methoden in der Musiktherapie
–    Mitarbeit in Arbeitsgruppen der DGMT/DMtG

Quellen:

Angaben zur Klinik: www.maerkische-kliniken.de