Editorial

Wenn er sagte, seine Mutter warte auf ihn, fragte ich ihn harmlos:
„Wie alt ist deine Mutter?“
„Mhm, ungefähr achtzig.“
„Und wie alt bist du?“
„Also, ich bin 1926 geboren, dann bin ich…“
„Ebenfalls ungefähr achtzig.“
„Mhm – ich weiß schon, ich weiß schon.“
„Deine Mutter ist tot“, sagte ich bedauernd.

Er presste die Lippen aufeinander, nickte mehrmals langsam und erwiderte mit tiefversonnener Miene: „Ich habe es fast befürchtet.“
Es ist einer der Dialoge, die Arno Geiger in seinem Buch „Der alte König in seinem Exil“ (Hanser, München 2011) wiedergibt, mutig in der eigenen Hilflosigkeit und ermutigend für alle, die mit an Demenz erkrankten Menschen Umgang üben. Professionellen und persönlichen.

Das Schwerpunktthema „Demenz“ wurde diesmal anders strukturiert und statt drei Beiträgen mit Experten gibt es ein Interview mit einem Experten: Dr. Jan Sonntag im Gespräch mit Dr. Nicola Nawe und Prof. Dr. Eckhard Weymann. Ein Interview, das ich als ein ebenso ein- wie nachdrückliches Substrat für das Thema Demenz ansehe. In das Interview fließt ein, was Jan Sonntag in seiner gesamten publizistischen Grundlagenarbeit thematisiert (google: jan sonntag demenz): Atmosphären-Schaffung und -Gestaltung als Basis musiktherapeutischer Begleitung von demenziell erkrankten Menschen, integrierend aktuelle Theoriebildungsansätze ebenso wie Hinweise zum Methodenrepertoire.
Die beiden Berichte zum Schwerpunktthema, von der Schweizer Musiktherapeutin Marianne Burkart über ihre Arbeit mit Herrn M. („Ich ha no öpis im Chopf“) und der Pop-Musikergruppe, die mit demenziell Erkrankten von der Musik ausgehend arbeitet, sollen das Interview mit Jan Sonntag durch Perspektiven auf das Erleben dementer Menschen ergänzen. Ein Erleben, auf das wir – sowohl professionelle Therapeutinnen als auch Angehörige als auch angstbesetzt auf eigenes Alter Zugehende – mit der Unruhe weiterbringenden Lernens der Veränderungen reagieren, denen auch wir begegnen könnten als Betroffene von morgen.

Eine weitere Expertin und Pionierin der Musiktherapie bei Alzheimer/Demenz, Dorothea Muthesius, rezensiert das neue Grundlagenwerk von Jan Sonntag „Demenz und Atmosphäre“.
„Musik und Musiktherapie halte ich für die bedeutendste Hilfe für demenziell Erkrankte – neben bewährter basaler Stimulationsarbeit und kluger Medikation“ formulierte der Leiter des Instituts für Soziale Berufe und der Akademie für Weiterbildung im Bereich Gerontologie und Geriatrie in Ravensburg bei der Eröffnung einer musiktherapeutischen Weiterbildung Anfang 2014.
Neben den vertrauten Rubriken der Vorstellung einer Musiktherapie-Praxis (diesmal „Ritardando“ in Soest), dem „Klinikspaziergang“ zur Musiktherapie des Martha-Maria-Krankenhauses Nürnberg, „Patienteninterview“, „Musiktherapie studiert“ (in Magdeburg) „Musiktherapie im Ausland“ sowie den „Kleinen Hilfen zum Schluss“ – danke den Autoren und Rubrikenbetreuungen! – lesen Sie wie immer allgemeine und hochschulische Nachrichten und die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Begleitstudie über Singangebote in Gruppen aus Sicht von Singleitern in klinischen Einrichtungen, erarbeitet von einer Wissenschaftler-Gruppe unter Ltg. von Prof. Dr. Günter Kreuz. Teil II dazu erscheint in der nächsten MuG Anfang 2015.
‚LACHEN in der Therapie‘ ist ein Symposion-Thema, das sich breit macht (u.a. in der Karl-Jaspers-Gesellschaft und der Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse) und deshalb gibt es ab sofort neben meiner Kolumne eine weitere von Thomas Stegemann. Der doppelt promovierte Kollege aus Wien lässt seine Wissenschaften in ein erstes „Capriccio cerebrale“ einfließen, das von Taxifahrern, Großmutterzellen, Meeresschnecken, alten Hamburgern – und auch Fußball handelt – wie bei mir diesmal auch, der ich die WM mit Kollegen im Private Viewing sah…
Neben Lachen auch sein zugehöriges Gegenteil: die Trauer um Prof. Stella Mayr. Wir würdigen eine Frauenpersönlichkeit der Musiktherapie und Lebenskunst (S. 42).
Ich wünsche den gelingenden Übergang vom Sommer in den Herbst, von 2014 nach 2015, von MuG zu MuG.

Ihr
Hans-Helmut Decker-Voigt

(für den Herausgeberkreis)