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Musiktherapeutisches im Alltag

Von Selma Suzan Emiroglu

 

Mit good vibrations
auf dem Weg. Brabbeln als
Psychohygiene, Vibrationen
zur Erdung

Auf der Demenzstation verkündet hier eine Frau mit grauen Haaren aufgeregt, dass „sie jetzt unbedingt den Tisch für Papa decken muss“, dort erzählt ein Mann mit verschmitztem Lächeln: „Jabo! Dasosasosa... Lalamaa jo nunaa.“ Betreuungskräfte greifen diese Kommunikationsangebote mit sogenannter Validation auf, das aus dem Lateinischen so viel bedeutet wie „für gültig erklären, wert verleihen“. Dazu gehen sie in wertschätzender Haltung mit Fragen und Kommentaren auf das Gespräch ein. Sie greifen den emotionalen Gehalt der Aussagen und des Verhaltens der Person auf und erklären ihn für gültig, ohne zu analysieren, zu bewerten oder zu korrigieren. Musiktherapeuten machen Ähnliches – vorwiegend nonverbal –, schwingen brabbelnd und musizierend mit, lassen dabei auch schweigende Atmosphären erklingen. Zentral an beiden Konversationen ist die würdevolle Begegnung in Akzeptanz mit allem, das gerade da ist. Der Weg ist das Ziel zum inneren Frieden. Auf diesen Weg lade ich Sie mit den folgenden zwei Praktiken ein: Brabbeln Sie sich selbst in Balance und kommen Sie beim Musizieren über Vibrationen in eine entspannte Präsenz.
Sie brauchen nicht auf Ihre eigene Demenz zu warten, um in den Genuss des oben beschriebenen Brabbelns zu kommen. Auch schon in früheren Jahren können Sie damit experimentieren. Nach anstrengenden Tagen hilft das Brabbeln, um sich wieder ins innere Gleichgewicht zu bringen. Dazu suchen Sie sich ein vertrauensvolles Gegenüber – eine Freundin, Ihren Teddybär oder die geduldige Katze des Nachbarn. Setzen Sie sich gegenüber, richten Sie den Abstand zwischen Ihnen stimmig ein und machen Sie es sich bequem. Nun „berichten“ Sie Ihrem Vertrauenswesen von Ihrem Tag. Aber anstatt sich in ausschweifenden Worten, in Einzelheiten, Urteilen und Assoziationen zu verlieren, brabbeln Sie mit allen auftauchenden Emotionen, was Sie erlebten. Mit Stimmlauten, Silben und Tönen erzählen Sie, was Ihnen durch den Sinn geht: „Blablabla bla blabla blaaaa... !“ Der Zuhörer kann lauschend dabeisitzen, innerlich die gehörte Stimmung mit Farben, Klängen, Gefühlsworten oder Bildern beschreiben oder laut in derselben „Sprache“ mitmusizieren. Zeitsparend können Sie beide sich auch gleichzeitig die persönlichen Erlebnisse erbrabbeln. … Sie brabbeln sich so innere Turbulenzen, Verspannungen und unerwünschte Zustände „vom Leib“ – Sie kommen zu sich. Musikern und Musiktherapeuten dient die Brabbelpraxis zur täglichen Psychohygiene, um die verschiedenen inneren Zustände während der Arbeit wirklich dort zu lassen. Sinnvoller ist es oft, beispielsweise von fremden Stimmungen erst gar nichts mitzunehmen.
Dazu, um bereits während der Arbeit entspannt in Balance zu bleiben, dient die im Folgenden beschriebene Praxis. Sie ist inspiriert durch die Vibrationsübungen von Jonny Soling. Nehmen Sie eine stabile und bequeme Standposition ein und ein Instrument zur Hand. Spüren Sie das Instrument und fangen Sie mit einfachen Tönen an zu spielen, z.B. auf den leeren Saiten auf Streichinstrumenten. Spüren Sie, wie das Instrument vibriert? An welchen Berührungspunkten mit dem Instrumentenkörper spüren Sie ein Kribbeln? … Gehen Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit von einer Kontaktstelle zur nächsten. Wo spüren Sie die Vibrationen stärker, wo schwächer? Gibt es unterschiedliche Kribbelqualitäten, je nachdem, welchen Ton Sie gerade spielen – gröber, feiner, kitzeliger, sanfter, runder, spitzer…? … Als nächstes spielen Sie einen Klang, der deutlich zu spüren ist; bei Streichinstrumenten bietet sich z.B. die leere Doppelsaite der tiefsten Töne an. Wandern Sie mit der Aufmerksamkeit durch Ihren Körper: Kribbelt‘s in den Händen, in den Armen oder im Kopf? Kitzelt es im Bauch oder in den Beinen? Nehmen Sie einfach wahr, was Sie spüren, und bewerten Sie es nicht. Wenn Sie nichts spüren, spüren Sie eben „Nichts“. … Wandern Sie weiter bis Sie schließlich bei den Füßen landen – vibriert es an den Fußsohlen? Unter den Zehen, den Ballen, den Fersen? … Versuchen Sie hier die Kribbelwahrnehmung zu maximieren: Senken Sie dazu die Anstrengung des Spielens, entspannen Sie bewusst einzelne Körperteile und reduzieren Sie auch das „Spürenwollen“ – spüren Sie nun das Kribbeln deutlicher oder anders? … Spielen Sie ein Musikstück, das Ihnen in den Sinn kommt, und spüren Sie den Vibrationen während des Spielens nach. Maximieren Sie die Vibrationen, egal wie es sich anhört – so als wenn taube Zuspürer Ihnen lauschen und nur die Vibrationen „hören“. … Schließlich gehen Sie zur Arbeit und spüren dort während des Musizierens die Vibrationen, v.a. an den Fußsohlen und Daumen. So behalten Sie die Erdung und Präsenz, vor und während Begegnungen, inmitten der vielen Atmosphären – und zaubern nebenbei ästhetisch schöne Klänge.

 

Die Autorin:

Selma Suzan Emiroglu
Geb. 1976. Musiktherapeutin, Physikerin mit Promotion im Bereich Psychoakustik, Folkmusikerin. Derzeit tätig in präventiver musiktherapeutischer Arbeit, u. a. mit einem Seminarangebot zum Pausen-, Arbeits- und Selbstmanagement als Burnout-Prophylaxe.
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Referenzen, Literatur und weiterführende Information:

  • Feil, Naomi (2010): Validation in Anwendung und Beispielen: Der Umgang mit verwirrten alten Menschen. 6. Auflage. München: Ernst Reinhardt Verlag.
  • Sonntag, Jan (2013): Demenz und Atmosphäre. Musiktherapie als ästhetische Arbeit. Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag GmbH.
  • Jonny Soling: www.malungsfolkhogskola.se