Musiktherapeutischer Klinikspaziergang

SIGMA-Zentrum, Bad Säckingen am Hochrhein

Fachkrankenhaus für Interdisziplinäre Psychiatrie, Psychotherapie und Psycho­somatische Medizin

Von Simone Maier-Hanemann

Die Klinik
Das Sigma-Zentrum ist eines der größten Privatkrankenhäuser für Psychia­trie, Psychotherapie und Psychosomatik in Deutschland. Es liegt in Bad Säckingen am Hochrhein, einem traditionsreichen und beschaulichen Kurort am Südhang des Schwarzwaldes, direkt am Hochrhein, der die Grenze zur Schweiz darstellt. Das Sigma-Zen­trum ist Teil des Stadtverbundes MetroBasel und der HealthRegion Freiburg, die gut erreichbar die nächsten Zentren darstellen. Die Klinik liegt mit eigenem Park und unmittelbar am Kurpark im Grünen. Zu Fuß sind es in den historischen Stadtkern nur wenige Minuten.
Betritt man den Eingangsbereich des Sigma-Zentrums, hat man den Eindruck, im Foyer eines sehr luftigen, großzügig gestalteten, modernen Hotelgebäudes anzukommen. Dieser erste Eindruck bestätigt sich beim weiteren Rundgang durch die Klinik in allen Bereichen. Gut ausgestattete, angenehm eingerichtete Patientenzimmer, gepflegte Flure und Räume mit Grünpflanzen und Kunstgegenständen, exklusiv ausgestattete Therapieräume, eine differenzierte Küche und einen parkartigen Garten, der zum Wohlfühlen und Entspannen einlädt.
Die Geschichte der Klinik beginnt im Jahr 2000, als sie noch unter anderem Namen und in einem anderen Gebäude mit knapp 20 Patienten und einer Handvoll Personal ihre Arbeit aufnahm. Das ganzheitliche Konzept der Klinik sah ein auf den einzelnen Patienten abgestelltes individuelles Behandlungsangebot mit multimodalen Ansätzen vor. Immerhin vom ersten Tag dabei war die Musiktherapie mit zunächst einer 40%-Stelle. Zur Verfügung waren bereits einige Instrumente, ein Therapieraum und ein „Kämmerle“ als Büro. Aufgrund der Therapieerfolge und hoher Patientenzufriedenheit wuchs die Klinik und mit ihr die Musiktherapie: Der Stellenplan wurde ausgeweitet, weitere Therapieräume geschaffen, ein Raum für Einzeltherapie wurde mit neuem In­strumentarium ausgestattet. Es wurden Übe-Parzellen eingerichtet und zusätzlich ein weiterer großer Raum, der von den Patienten zum Musizieren außerhalb der Therapien frei genutzt werden konnte.
2008 zog die Klinik dann in das heute noch genutzte Gebäude. Aktuell arbeiten vier Musiktherapeuten/innen im Sigma-Zentrum: außer mir sind dies Regina Eichenauer, Tanjef Gross und Claudia Zindel. Es gibt drei Räume für Einzeltherapien, einen Gruppenraum und ein „Office“ mit vier zusätzlichen Computerarbeitsplätzen. Nach wie vor wird den Patienten weiterhin ein großer Raum zur Verfügung gestellt, den sie außerhalb der Therapien zum Musizieren nutzen können. Seit 2009 finden regelmäßig Sigma-Konzerte mit jungen Talenten und arrivierten internationalen Künstlern statt, die für Patienten und Besucher spielen. Außerdem gehört das Sigma-Zentrum zu den „Singenden Krankenhäusern“ in Deutschland. Eine eigene Sigma-CD „Lieder als Ressource“, „Achtsamkeit und Meditation“ wurde 2016 herausgebracht.
Wenn man den Werdegang der Klinik in den vergangenen Jahren betrachtet, ist eine wichtige Konstante vor allem die kreative Veränderung, die man in vielen Bereichen beobachten kann und wofür die konzeptionelle Entwicklung der Musiktherapie ein gutes Beispiel ist:
Am Anfang gab es in der Musiktherapie je ein Konzept für das Einzel- und das Gruppensetting. Nach und nach wurden die Räume für die Einzeltherapie einer konzeptuellen Struktur zugeordnet, und nicht in jedem Therapieraum findet sich das gleiche Instrumentarium. Es sind jedem Raum Schwerpunkte zugeordnet und entsprechend diesem sind sie mit Instrumenten ausgestattet. Dies zeigt sich in der indikationsorientierten Gestaltung und Einrichtung, der die musiktherapeutische Anwendung des In­strumentariums und dessen Nutzungs- und Behandlungsoptionen zugrunde liegt. Es gibt Schwerpunkte wie die Klangliege oder eine Erweiterung mit Gong, Klangschalen und Liege, die je nach Indikation angewendet werden.
Alle Räume können von allen Musiktherapeuten genutzt werden. Dazu wurde die Planung so gestaltet, dass die Räume in halben Tagen gewechselt werden und jeder Therapeut bei der Planung der Therapiestunden durch die Wahl des Raumes die entsprechenden instrumentalen Voraussetzungen definieren kann.

Das Therapieangebot
Im Sigma-Zentrum werden Patienten mit sämtlichen psychiatrischen, psychosomatischen und vielen neurologischen Diagnosen behandelt. Um bei steigender Patientenzahl weiter einen persönlich und familiär erscheinenden Rahmen zu erhalten, wurden die Teams auf drei multiprofessionelle Abteilungen verteilt. Jede Abteilung wird geführt von einem/r Chefarzt/ärztin, der psychiatrischen Stellvertretung, somatischen Ärzten, Psychotherapeuten, Psychologen, Fachtherapeuten verschiedenster Bereiche und Pflegekräften. Hinzu kommt eine angeschlossene Tagesklinik.
Eine abteilungsübergreifende Tagesstruktur hat sich der Spezialisierung angepasst. In jedem Team finden tägliche Morgen- und Mittagsbesprechungen statt, so dass jeder über die Entwicklung des Patienten jederzeit im Bilde ist. Für ein reflektiertes und achtsames therapeutisches Handeln bietet das Sigma-Zentrum auch eine Vielzahl an Intervisionen und Supervisionen: Als Teamsupervision sowie als Fallsupervision, als Einzelsupervision und als Gruppensupervision, die sich patientenbezogen ausrichten.
Im klinischen Alltag in der Sigma-Klinik werden die Patienten von einem Arzt aufgenommen, im Team dem fallführenden Psychologen zugeteilt und einer Gesprächsgruppe zugewiesen. Sie bekommen einen Mitpatienten als „Paten“, der sie durch die Klinik führt, mit den Gepflogenheiten aus Sicht der Patienten vertraut macht und während des Aufenthalts eine Vertrauensperson sein kann. Ebenso werden die Patienten am Tag nach ihrer Ankunft dem gesamten Abteilungsteam vorgestellt, um einen ersten „Blickkontakt“ mit den Behandlern zu bekommen. In den Einzelgesprächen mit dem fallführenden Psychologen wird dann entschieden, welche Therapien und fachtherapeutischen Angebote dem Patienten während seines stationären Aufenthalts verordnet werden. So erfolgt auch die Zuweisung zur Musiktherapie. Zum Überblick über die hohe therapeutische Dichte erhalten Patient und die Therapeuten jede Woche einen genauen Wochen-Stundenplan über alle ihre therapeutischen Termine.

Musiktherapie
Als Musiktherapeutin bin ich nicht nur für die Behandlung von Patienten zuständig, sondern, als wichtiger Qualitätsfaktor, auch für die Vernetzung mit anderen Kollegen, z.B. zum Austausch über Diagnosen, Behandlungsfortschritte oder Biografisches. Dazu zählt auch die gezielte Auswahl und Pflege des musiktherapeutischen Settings: Raum, Instrumentarium, Gruppe.
Das Musiktherapeutische Gruppenangebot im Sigma-Zentrum wurde auf unterschiedliche Ziele und Indikationen hin konzipiert und im Laufe der Jahre ergänzt und komplettiert:
Basis ist eine Gruppe für bis zu acht Patienten, die zweimal wöchentlich für 90 Minuten stattfindet und prozesshaft, psychotherapeutisch gruppendynamisch arbeitet. Diese Form der Gruppe ist neben der Gesprächsgruppe und anderen Fach­therapiegruppen eines der Herzstücke jeder Therapie.
Ergänzt wurde das Angebot, als mehrere Patienten gleichzeitig mit einer Tinnitusproblematik belastet waren. Daraus entstand ein neues Gruppenkonzept für Patienten mit Tinnitus. Es war faszinierend, dass sowohl Patienten als auch Klinikleitung mit Begeisterung gemeinsam mit den Therapeuten dafür ein neues Konzept mit gegenseitiger Unterstützung entwickeln konnten. Seitdem findet die Tinnitusgruppe einmal wöchentlich für 50 Minuten statt.
Als nächste Gruppe entstand auf Patientenwunsch die Singgruppe, die eine „therapiefreie“ Begegnung anbietet, die ganz auf Freiwilligkeit beruht. Die Singgruppe wurde im Verlauf zum Chor und führte schließlich zum „Singenden Krankenhaus“. In Form von „Stimme und Atem“ wurde ein zusätzliches Angebot eingeführt, bei dem es nicht um das Singen von Liedgut geht, sondern um den Umgang mit der Stimme und dem Atmen. Dies ist ein niedrigschwelliges Angebot, in dem einstimmige mantrenähnliche Lieder gesungen werden, welche mit Bewegungen verbunden und durch experimentelle Übungen mit der Stimme und dem Atem ergänzt werden.
Das für mich zur Zeit spannendste Konzept ist die „Neurologische Musiktherapiegruppe“ unter dem Namen „Kognitives Training“. Auch ihre Konzeption entstand aus der Erweiterung der Indikationen bei zahlreichen Patienten. Die bisherigen Musiktherapiegruppen wurden den Patienten mit kognitiven Einschränkungen nicht gerecht. Sie benötigten mehr Struktur und Übung, niederschwellige Angebote und kürzere Therapiedauern. Dies führte zu der Überlegung, wie das neurologische Konzept von Prof. Dr. M. H. Thaut für unsere Klinik übertragbar wäre. Auch hierfür gab es viel Unterstützung von der Klinikleitung und den Kollegen. Schon nach kurzer Zeit wurde aufgrund der zunehmenden Nachfrage deutlich, dass eine Gruppe nicht ausreichte und der Anspruch an die Übungen differenziert werden musste. So wurde eine zweite Gruppe installiert. Die beiden Gruppen wenden sich an unterschiedliche Klienten: Die erste Gruppe ist für ältere Patienten, deren Leistungsfähigkeit nach Möglichkeit erhalten werden soll; die zweite Gruppe richtet sich an jüngere Patienten, deren Leistungsfähigkeit wieder gesteigert werden kann. Im zweiten Schritt unterschieden wir dann auch diagnosespezifisch: Patienten, deren Leistungsfähigkeit z.B. durch eine Depression, Belastungsreaktion oder eine Traumafolgestörung eingeschränkt ist, haben andere Fähigkeiten, als Personen nach einem Schlaganfall oder mit Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson oder Multipler Sklerose. Beide Gruppen arbeiten eher übend und weniger prozesshaft, also nicht an den Gefühlen und Bedürfnissen der Gruppenmitglieder orientiert. Die Neurologische Musiktherapie findet sowohl als Einzeltherapie als auch in der Gruppe statt. Zur Konzeption dieses komplexen Angebots fanden im Sigma-Zentrum eine interne Fortbildung sowie eine Weiterbildung mit Prof. Thaut statt.
Zuletzt entstand noch das „Bandprojekt“, bei dem Patienten während ihres Klinikaufenthaltes auch in sozialen und kommunikativen Aspekten des Alltags Erlebensmöglichkeiten zur Verfügung gestellt bekommen. Es ist ein weiteres, eher offenes Angebot mit Projektcharakter. Hier kann z.B. eine Gruppe jüngerer Menschen gemeinsam unter Anleitung einer Musiktherapeutin spontan das Musikmachen im Bandformat ausprobieren. Dies hat wesentlich zur Konzeption der „Youngster-Gruppe“ beigetragen. Diese entstand aus der Erfahrung, dass Patienten unter 25 Jahren in der normalen Gesprächstherapiegruppe ihre identitäts- und ablösungsbezogenen Themen nur unzureichend bearbeiten können und von dem Austausch innerhalb ihrer Peergroup besser profitieren. In die Youngstergruppe werden neben dem Gruppengespräch bewusst kreative Medien mit einbezogen. Sie wird seit anderthalb Jahren von einem Psychologen/einer Psychologin gemeinsam mit einer Musiktherapeutin geleitet.

Fallbeispiel Kognitives Training NMT
Frau M. wurde mit einer Depression für das Kognitive Training angemeldet. Folgendes wurde u.a. als Indikation für die Gruppe beschrieben: Gedankenkreisen, Konzentrationsstörungen, Gedächtnisstörungen, Antriebsarmut, starke Unterschiede in der Selbst- und Fremdwahrnehmung.
Frau M. selbst hatte zu Beginn keine große Lust und fühlte sich mit den klar strukturierten Übungen überfordert. Bei einer Übung zur Aufmerksamkeit, die sich durch unterschiedliche Signale und Ebenen auszeichnete, gelang es ihr nicht, wegen der erhöhten Aufmerksamkeit ihren sonstigen Gedankenkreisen Raum zu geben, sie war so konzentriert, dass sie die Dauer nicht bemerkte und konnte sich in die Gruppe einbringen. Am Ende der Stunde konnte sie eine hohe Ziffer für die Konzentration und die Dauer der Konzentration vergeben.

Übungsaufbau:
Am Klavier wird in vier Lagen eine rhythmische Vorgabe gemacht, welche für die Patienten ein Zeichen für eine körperliche Aktivität anzeigt (stampfen, klatschen auf die Oberschenkel, in die Hände klatschen, schnipsen). Ein weiteres Signal kommt von der Trommel. Immer wenn die Trommel gespielt wird, haben alle Patienten Pause, es sei denn, eines ihrer zwei Instrumente wird angespielt, dann hat die Antwort auf diese „Anfrage“ 1. Priorität. Dies gilt auch dann, wenn das Klavier eine Vorgabe machte. Die Antwort hat immer 1. Priorität.

Die Autorin:

Simone Maier-Hanemann
Jahrgang 1972. Erzieherin, Diplom-Musiktherapeutin (FH) DMtG, Neurologische Musiktherapeutin, Systemische Therapeutin/Paar- und Familientherapeutin

Arbeitsfelder:
Psychiatrie / Psychosomatik, Neurologie, Altenpflege, Jugendhilfe, aufsuchende Familientherapie
Mitglied des Vorstands der DMtG

Aktuell Studium:
Mehrdimensionale Organisationsberatung, Supervision und Coaching an der Uni Kassel