Zum Mitmachen

Kleine Hilfen mit Atem, Bewegung und Stimme

Von Sabine Rittner

„Vom Klang des Selbst“

„Zwei Seelen wohnen – ach! –
in meiner Brust.
 Die eine will sich von der anderen trennen.“ (Goethe, Faust I)

„Faust beklagte, dass er zwei Seelen in seiner Brust habe.
Ich habe eine ganze sich zankende Menge.
Da geht es zu wie in einer Republik.“ (Bismarck)

Wir alle kennen diese inneren Ambivalenzen und Konflikte. Sie machen einerseits menschliche Grundthemen aus, können andererseits aber auch die Chance auf Wachstum, persönliche Entwicklung und Heilung in sich tragen.1)
Heute lade ich Sie zu einer Übung ein, die sich eignet zur Klärung innerer Zweifel, zur Entscheidungsfindung oder zur Entspannung zehrender Ambivalenzen und widerstrebender Persönlichkeitsteile. Dabei stellt sich die Methode der kreativen Externalisierung von Persönlichkeitsteilen als besonders geeignet dar, in welcher Ideen aus der „Internal Family Systems Therapy“ mit Bodenankern, sowie mit musiktherapeutisch-körperorientierten Elementen kombiniert werden. Die Übung besteht im Erspüren und Darstellen von zwei verschiedenen Persönlichkeitsteilen, sowie der Kommunikation zwischen dem Selbst und diesen Teilen. Sie ist geeignet sowohl zur Selbstfürsorge und Selbstbehandlung, als auch in Einzel- und Gruppenpsychotherapie oder Selbsterfahrung einsetzbar.
Teile sind – sehr vereinfacht gesagt – neuronale Erfahrungsnetzwerke und multisensorisch gespeicherte Erinnerungsspuren in unserem Gehirn. Richard C. Schwartz übertrug die systemische Sichtweise aus der Familientherapie auf die Innenwelt und respektierte die Multiplizität unserer inneren Anteile als etwas Naturgegebenes, anstatt sie als Störung zu sehen. So entwickelte er eine neue Methode, die „Internal Family Systems Therapy“ (IFS).2) Inzwischen ist IFS in den USA als evidenz-basiertes Verfahren anerkannt und seine besondere Wirksamkeit in fünf Bereichen festgestellt: Verbesserung des allgemeinen Wohlbefindens, Verbesserung von Angst, Depression, körperlicher Gesundheit und persönlicher Resilienz.
In der IFS wird das „Selbst“ der Menschen als weise, kompetent und unverletzt angesehen. Im Zustand des Selbst erlebt der Mensch Empathie für seine Persönlichkeitsteile, seine verschiedenen Seiten und Facetten. Ein IFS-Grundprinzip (das diese Methode auch von anderen Teile-Therapien unterscheidet) besteht darin, dass die Beziehung zu den Teilen grundsätzlich vom Selbst ausgehend gestaltet wird, so dass möglichst keine Interaktion der Teile untereinander stattfindet.3)
Für die Durchführung dieser Übung sind etwa 45 Minuten erforderlich und ein Raum mit ausreichend Platz am Boden. Wenn irgend möglich, ziehen Sie ihre Schuhe aus. Sollten Sie die Übung für ein bestimmtes Anliegen machen wollen, so könnte es erleichternd sein, sich von einer Person Ihres Vertrauens die einzelnen Schritte begleitend vorlesen zu lassen.
In den Schritten 1., 4. und 6., in denen zum Tönen angeregt wird, ist unzensiert und absolut bewertungsfrei jeglicher hörbarer Stimmausdruck möglich: summen, singen, Konsonanten-Geräusche, Atemgeräusche… Vermieden werden sollte jedoch das Sprechen, es kommt erst ganz zum Schluss beim Austausch (8.) zum Zuge. Das behutsame Mittönen der anleitenden Person kann ggf. den Stimmeinsatz erleichtern, ihn schützend begleiten.
Benötigte Materialien: 3 große, weiße, runde Pinnwand-Karten oder 3 kleine Blätter weißes Papier (DIN A5) und Farbstifte oder Wachskreiden, Heft und Stift zum Aufschreiben

Und nun der Ablauf der Übung in 8 Schritten:
Innerlich Kontakt zum „Selbst“ aufnehmen (das ist dort, wo Sie gelassen sind, vertrauensvoll, zuversichtlich, interessiert, offen, neugierig, mitfühlend, mutig, kreativ, verbunden, klar, verlässlich, zentriert; wo Sie in Ihrer Mitte ruhen; wo Sie Kontakt zu ihren Herzensqualitäten haben…).
Ein Symbol, eine Farbe, etwas Atmosphärisches dazu auf ein Blatt skizzieren.
Dem Bild einen Platz am Boden geben.
Sich mit einem bewussten Schritt mit Ihren Füßen in das Bild hineinstellen und dabei die sofortige Körperreaktion wahrnehmen, spontane Gedanken, Gefühl, Empfindung.
Dies hörbar ausdrücken im angenehmen, wohligen Tönen „für sich selbst“ (z.B. summen, singen, Atemgeräusch…).
Mit einem bewussten Schritt wieder aus dem Bild heraustreten.
Zwei verschiedene Persönlichkeitsteile wahrnehmen (A und B):
Beide Teile mit einem Symbol/Farbe/Strichen/farblich Atmosphärischem auf je einem Blatt malend skizzieren.
Den beiden Blättern in Beziehung zum „Selbst“ auf den Boden einen Platz geben.
Sich in den Teil A in einem bewussten Schritt mit den Füßen hineinstellen: sofort die spontane Körperreaktion wahrnehmen, Gedanken, Gefühl, Empfindung, Veränderung des Atems…
„Was möchte der Teil, dass Sie von ihm erfahren?“
„Was glaubt der Teil, wozu er gut ist?“
Wieder heraustreten, sich lösen vom Teil A.
Sich erneut in das „Selbst“-Bild hineinstellen:
„Was fühlen Sie diesem Teil A gegenüber?“
„Gibt es etwas, das Sie ihn wissen lassen möchten?“
Dies hörbar und sichtbar ausdrücken mit einer Bewegung/Geste/dem Atem/mit Tönen, Lauten, Stimmklang, Geräuschen/Wort, Satz/Gedanke… und lassen Sie es zu dem Teil A hinfließen.
Stille.
Heraustreten aus dem Bild, Abstand nehmen.
Jetzt die 3 Bilder ggf. anders gruppieren, ihre Plätze am Boden verändern – so, wie es sich jetzt passender anfühlt
Sich in den Teil B mit einem bewussten Schritt hineinstellen: sofort die spontane Körperreaktion wahrnehmen, Gedanken, Gefühl, Empfindung, Veränderung des Atems…
„Was möchte der Teil, dass Sie von ihm erfahren?“
„Was glaubt der Teil, wozu er gut ist?“
Wieder heraustreten, sich lösen von Teil B.
Sich erneut in das „Selbst“-Bild hineinstellen:
„Was fühlen Sie diesem Teil B gegenüber?“
„Gibt es etwas, das Sie ihn wissen lassen möchten?“
Drücken sie dies hörbar und sichtbar aus mit einer Bewegung/einer Geste/dem Atem/mit Tönen, Lauten, Stimmklang, Geräuschen/Wort, Satz/Gedanke… und lassen Sie es zu dem Teil B hinfließen.
Stille.
Heraustreten, Abstand nehmen.
Die 3 Bilder nochmals anders gruppieren, ihre Plätze am Boden verändern – so, wie es sich jetzt stimmiger anfühlt.
Wichtig: Zum Abschluss eine gute Endposition für alle drei Bilder am Boden finden und diese mit etwas Abstand auf sich wirken lassen.
„Gibt es etwas, was Sie mit Ihren Teilen verabreden möchten? Möchten Sie zu einem anderen geeigneten Zeitpunkt nochmals Kontakt mit ihnen aufnehmen?“
„Bedanken Sie sich bei ihren Teilen für deren Kooperationsbereitschaft.“
Schreiben Sie nieder, was Sie entdeckt, was Sie wiedergefunden haben, was sich heilsam und unterstützend verändert hat. Wenn möglich, ist ein Austausch zu zweit zu empfehlen bzw. ein Nachgespräch in der Gruppe – ohne jedoch das als heilsam Erfahrene zu zerreden, es zu „zeranalysieren“.
Sollten Sie sich in einem fragilen psychophysischen Gesundheitszustand befinden, so empfehle ich sehr, die Übung in Begleitung einer kompetenten Person Ihres Vertrauens zu machen.
Ich wünsche Ihnen klärende, heilsame und klangvolle Erkundungen Ihrer Innenwelt im Außen und freue mich, wenn Sie mir Ihre Erfahrungen mitteilen mögen:
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Die Autorin:

Sabine Rittner
ist Musikpsychotherapeutin, approbierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, Psychotherapeutin (HP), Hypnotherapeutin, Traumatherapeutin mit Spezialisierung in der Arbeit mit veränderten Bewusstseinszuständen, körperorientierter Therapie und systemischer Therapie mit der inneren Familie (IFS). Sie ist tätig am Institut für Medizinische Psychologie der Universitätsklinik Heidelberg (Lehre, Psychotherapie, Musiktherapie- und Bewusstseinsforschung), sowie in eigener Praxis (Therapie, Supervision, Coaching). Seit fast 40 Jahren leitet sie Seminare, bildet aus und hält Vorträge weltweit. Umfangreiche Publikationen zu den Themenkomplexen Bewusstseinsforschung – Klang – Trance – Stimme – Musiktherapie. Weitere Informationen: www.SabineRittner.de

Anmerkungen
1) Sonneborn, Uta (2013): Die Systemische Therapie mit der Inneren Familie. Psychotherapie 18 Jg. (2013), Bd. 18–2. München: CIP-Medien, München.
2) Büchertipps:
Schwartz, Richard C. (2016): Systemische Therapie mit der inneren Familie. Vorwort von Helm Stierlin. Stuttgart: Klett-Cotta.
Holmes, Tom und Laurie (2013): Reisen in die Innenwelt. Systemische Arbeit mit Persönlichkeitsanteilen. München: Kösel.
3) Internetadresse für mehr Informationen: www.ifs-europe.net