Praxisvorstellung

Vorstellung der musiktherapeutischen Praxis „Ohrmuschel“

Von Anne Oeckinghaus

Mein Weg zur Musiktherapie
Mein Name ist Anne Oeckinghaus. Ich bin vor 13 Jahren von der Nordseeküste ins Ruhrgebiet gezogen. Dort habe ich 2009 meine musiktherapeutische Praxis Ohrmuschel eröffnet. Ich arbeite seitdem mit Müttern und Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, in Einzel- und Gruppenangeboten. Mein Weg zur Musiktherapie als psychotherapeutischem Beruf entstand aus der Auseinandersetzung mit meinen Eltern. Musik gehörte in meiner künstlerischen, akademischen Herkunftsfamilie zum Alltag. Musik war mir neben Kunst, Literatur und Theater ein sehr vertrautes Ausdrucksmedium. In meinem persönlichen Entwicklungs- und Abgrenzungsprozess konnte ich mit der Musik meine seelische Verfassung gut wiedergeben. Dies hat mir große Kraft gegeben. Diese Erfahrung wollte ich gerne an Menschen weitergeben.

Musiktherapeutisches Berufs­leben vor der Praxiseröffnung
Nach meinem Musiktherapie-Studium an der WWU Münster bei Frau Prof. Dr. Rosemarie Tüpker habe ich zunächst in einem Wohnheim für geistig behinderte Menschen u. a. in der Stiftung Alsterdorf in Hamburg gearbeitet. In meiner Diplomarbeit hatte ich mich mit der Frage nach der seelischen Behinderung von Menschen mit geistiger Behinderung beschäftigt. Welche Rahmenbedingungen sind nötig, dass unabhängig von körperlicher und geistiger Einschränkung die Bedürfnisse des Einzelnen kommuniziert werden können? Außerdem habe ich in einer Tagesklinik Musiktherapie mit heterogenen Gruppen gemacht. Auch hier die Frage: Wie gelingt Wiedereingliederung in die Gesellschaft, wenn jemand herausgefallen ist? Im Rahmen meiner Tätigkeit an einer Musikschule habe ich Therapeutisches Musizieren mit Kindern und Jugendlichen und Menschen eines Pflegeheims angeboten. Daraus entstanden inklusive Theaterstücke, inklusive Bandarbeit und in einer Kooperation mit einer Germanistin die musiktherapeutische Förderung von Kindern mit Legasthenie.
Vor der Ausbildung zur Diplom-Musiktherapeutin habe ich Lehramt für Musik, Katholische Religion und Theaterpädagogik für die Sekundarstufe I studiert. Ich habe in Schulen im Brennpunktmilieu mit Kindern und Jugendlichen Hip-Hop-Texte gedichtet, Samba- und Trommelgruppen und Stockkampf-Tanz gemacht, musikalisch frei improvisiert, eigene neue Spielideen entwickelt und an der Kommunikation gearbeitet.
Den Wechsel zwischen dem päda­gogischen und dem therapeutischen Setting empfinde ich als große Bereicherung. Auf der einen Seite gibt es den geschützten Raum, in dem der einzelne Mensch und seine individuelle Lebens- und Leidensgeschichte im Vordergrund stehen. Auf der anderen Seite steht die Herausforderung, mit immer heterogener werdenden Gruppen von MigrantInnen sowie Kindern aus sozial benachteiligten Kontexten zu arbeiten. Dadurch, dass ich beide Lebensbereiche der Kinder und Jugendlichen kenne, kann ich die Berichte der Lehrer und Erzieher realistisch einschätzen und kenne die verschiedenen Probleme und Sichtweisen.

Rahmenbedingungen und Konzeption der Ohrmuschel
Die Entwicklung meiner musiktherapeutischen Konzeption hängt eng mit meinen Erfahrungen im schulischen Kontext zusammen. Ich habe die Beo­bachtung gemacht, dass es in Gruppen oft einerseits sehr zurückhaltende und andererseits sehr temperamentvolle Menschen gibt. Die zurückhaltenden Menschen verschwinden oft in der Wahrnehmung der Gruppenleiterin, so dass man mitunter nicht einmal ihre Namen weiß. Die temperamentvollen Menschen prägen die Gruppenszenerie oft stark und irritieren manchmal, da die individuelle Wahrnehmung dieser zwei bis drei Menschen häufig die ganze Gruppe zu prägen scheint. Beide Gruppen haben wertvolle Kompetenzen. Die Zurückhaltenden haben eine gute Beobachtungsgabe, aber keinen Mut und keine Erfahrung, sich zu äußern. Die Temperamentvollen tragen häufig die ganze Verantwortung für die Gruppe, fühlen sich oft unter Druck, alles regeln zu müssen. Aus diesen Erfahrungen mit Jugendlichen habe ich das Konzept MuKomm – Musikalisches Kommunikationstraining entwickelt. Das erste MuKomm habe ich in der Hauptschule erprobt. Die Kinder und Jugendlichen verbesserten ihre Gefühlsregulation, übten Konflikt- und Streitsituationen, lernten sich in der Gruppe zu entspannen.
Im Austausch mit GrundschullehrerInnen habe ich die Rückmeldung bekommen, dass immer mehr hochindividualisierte Kinder in die Schule kommen, die keinerlei oder schlechte Gruppenkompetenzen haben und sich gegenseitig nicht helfen können, die Mühe haben, das Anderssein der Anderen zu akzeptieren. Daraufhin habe ich ein Gruppenangebot für Vorschulkinder zwischen vier und sechs Jahren entwickelt. Sechs bis acht Kinder treffen sich in einem Programm über 10 und 20 Wochen einmal pro Woche und arbeiten daran, ihre soziale und emotionale Kompetenz zu erweitern. Sie lernen, sich in einer neuen Gruppe zurechtzufinden, ihre Konzentration zu verbessern. Sie machen sprachliche Fortschritte, Fortschritte in der Fein- und Grobmotorik, werden in ihrer Selbstständigkeit angeregt, werden mit einem vielfältigen Repertoire an Liedern, Spielen und Tänzen in ihrer Gesamtpersönlichkeit gefördert und angeregt.
Das MuKomm-Programm biete ich mittlerweile auch in Gruppen mit Flüchtlingskindern an oder mit solchen Kindern, die in Bezug auf emotionale, soziale und sprachliche Bereiche als besonders förderungswürdig gelten.

Die Ohrmuschel von innen und von außen
Meine Praxis liegt in einem sehr ruhigen Hinterhof. Davor steht eine große Klanginstallation, die bei Wind schöne Töne erzeugt. Mir war wichtig, dass die 30 m2 große Praxis Ruhe und Klarheit ausstrahlt. Daher habe ich die meisten Instrumente hinter großen weißen Schranktüren versteckt. Im Therapieraum sind herkömmlich bekannte In­strumente wie Trommeln, Glockenspiele und Gitarren, aber auch ungewöhnliche Instrumente wie eine Lotusflöte, eine Schlitztrommel, ein Zupfpsalter, eine Sansula. Neben einem Klavier stehen noch zwei riesige Gongs, eine Klangwiege und ein Schlagzeug sichtbar im Raum. Einzelne Instrumente werden gezielt hervorgeholt, um sie in der Therapie zu nutzen.
In der musiktherapeutischen Beratung für Eltern mit Säuglingen oder Kleinkindern geht es unter anderem um Verhaltensauffälligkeiten, Sprachverzögerungen, sozialen Rückzug, Mutismus, Autismus, Hyperaktivität oder Mehrfachbehinderungen. Ab dem Alter von vier Jahren kommen die Kinder meist selbst zu mir, nehmen am MuKomm teil oder einzeln mit Themen wie Schulangst, Konzentrationsschwäche, Kommunikationsschwäche, Sprech- und Sprachstörungen, Verhaltensauffälligkeiten. Die erwachsenen Menschen kommen wegen depressiven Verstimmungen, Ängsten, Selbstfindungskrisen, Wahrnehmungsstörungen, körperlichen Beschwerden wie Migräne oder Tinnitus. Immer wieder habe ich auch Menschen in Behandlung, die im Wachkoma liegen oder dement sind.
Ich arbeite in meiner Praxis vorwiegend mit der freien Improvisation. Wenn Menschen bisher keinerlei Erfahrung damit hatten, klingt die Musik zu Beginn oft zart, schüchtern, tastend, später manchmal kess, herausfordernd, testend, selbstbewusst, eigensinnig. Es geht in erster Linie nicht darum, ein Instrument spielen zu lernen oder Musikstücke einzustudieren. Gespürte, gehörte und selbst gespielte Musik kann etwas in Bewegung bringen und dies kann befreien, verändern, heilen. Durch das Experimentieren mit einem Instrument, durch das Erzeugen von Klängen oder Rhythmen kann man sich öffnen, sich eigener Gefühle, Denkmuster oder Blockaden bewusst werden, Neues testen und Gegenimpulse setzen. Wenn ich mir vornehme, mutiger zu sein, dann kann ich das beim Musikmachen beispielhaft üben.

Erlebnisse aus meinem Berufsalltag
Ein Junge kommt neu in meine MuKomm-Gruppe. Er spricht bisher nur wenig Deutsch, ist aber sehr aufgeschlossen und neugierig. Er sitzt wie alle anderen Kinder auf einer „sicheren Insel“. Wir ruhen uns aus oder bewegen uns von der Insel weg, um mit den anderen zu spielen, zu tanzen, mit den Instrumenten Kontakt aufzunehmen. Der Junge erzählt mit brüchigen Worten, aber sehr eindeutig das Erlebnis eines Vierjährigen von der Flucht über das Wasser, bei dem Menschen gestorben sind und bei der sie auf einer Insel gestrandet sind. Dort waren Menschen, die sich um sie gekümmert haben. Dort gab es Edelsteine und er schliff sich bei nächster Gelegenheit aus einem Rohdiamanten ein Messer. Zum Ende der Reise beginnt er bei dem Spiel der Oceandrum bitterlich zu weinen. Wir trösten ihn mit einem Lied. Er sagt, wie froh er sei, hier auf festem Boden zu stehen.
Eine andere Situation bezieht sich auf eine Frau, die einen leichten Autismus und eine geistige Behinderung hat. Im Alltag eckt sie immer wieder mit Menschen an, da sie sich minderwertig und oft nicht verstanden fühlt. Allerdings hat diese Dame eine große Gabe, Musik zu machen und hört leidenschaftlich gerne klassische Musik. Dann treten alle sozialen Schwierigkeiten in den Hintergrund. Letzte Stunde war der Ärger darüber wieder besonders groß. Auf meinem Vorschlag hin wählt sie eine Musik aus, schließt die Augen, setzt sich bequem hin, genießt schmunzelnd und summend die Musik, erzählt hinterher von schönen Erinnerungen daran, dass sie mit 12 Jahren in Kroatien schwimmen gelernt hat und wie schön die Zeit war. Da war noch alles gut. Beim Musikhören hat die Klientin ein Selbstbewusstsein und eine Klarheit, die ihr manchmal im Alltag fehlt.

Zukunftspläne
Ich liebe die Arbeit mit den Menschen in meiner Praxis. Gerne würde ich noch mehr Gruppen zur freien Improvisation für Studierende, mit meiner Balintgruppe, mit jugendlichen Mädchen machen. Ich möchte weiterhin die Musiksprache pflegen, sei es mit Kindern mit dem Rett-Syndrom, Mutismus, William-Bourne-Syndrom, mit Frühgeborenen, mit Schreikindern. In diesem Frühjahr habe ich mein zehnjähriges Jubiläum gefeiert. Eine Tanztherapeutin, die zu Besuch kam, fasste den Tag zusammen, indem sie sagte, der Ort der Ohrmuschel leiste einen Beitrag zum Frieden und zur Demokratieerziehung. Schön wär’s.

Die Autorin:

Anne Oeckinghaus
Diplom-Musiktherapeutin, Zertifizierte Musiktherapeutin DMtG, Heilpraktikerin (Psychotherapie), Lehrerin für Musik, Religion, Theater
Ohrmuschel Praxis für Musiktherapie, Hingbergstraße 118 c, 45470 Mülheim an der Ruhr, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.ohrmuschel-therapie.de